Vom Ausnahmezustand zum Kriegszustand?
Makedonische Regierung berät schärfere Maßnahmen
Vor einer Woche, am 28./29. April 2001, flammte der Bürgerkrieg in Makedonien wieder auf. Bewaffnete albanische Terror-Kommandos haben an jenem Wochenende an der Grenze zum Kosovo eine Patrouille der makedonischen Armee überfallen und dabei acht Soldaten getötet und weitere vier
verletzt. Bei den Soldaten habe es sich um Angehörige der Armee-Spezialeinheit der "Wölfe" gehandelt. Sie seien in einen Hinterhalt geraten.
Es war das erste schwere Vorkommnis dieser Art, seit
die makedonische Polizei und die Armee im März
albanische Kämpfer der so genannten Nationalen
Befreiungsarmee (UCK) aus den Bergen über Tetovo vertrieben
haben.
Nach Angaben eines Sprechers des makedonischen Innenministers Stevo
Pendarovski seien die Soldaten am Samstagabend (28.04.)
beim Dorf Vejce von Maschinengewehren und Raketenwerfern
beschossen worden. Die makedonischen Streitkräfte hätten das
Feuer erwidert und die "Angreifer" zum Rückzug gezwungen. Pendarovski sprach von einem "vereinzelten Zwischenfall".
dpa meldete am 29. April, vor dem Zwischenfall hätte ein "Kommandant" der UCK mit dem Decknamen "der
Lehrer" (mesuesi) mit einem Blutbad
gedroht, falls die UCK weiterhin nicht als Verhandlungspartner
anerkannt werde. "Wir fordern nachdrücklich, dass wir unter
internationaler Vermittlung mit am Verhandlungstisch sitzen",
sagte der UCK-Kommandant im Kosovo. "Die Kämpfe werden
weitergehen, weil niemand zu unseren Forderungen eine ernste
Haltung gezeigt hat." Weiter sagte er, die UCK-Freischärler seien nicht geschlagen, sondern im Gegenteil gestärkt. Die UCK habe allerdings "ihre Strategie geändert". Auf die Politik der Regierung in Skopje, die alle politischen Albaner-Parteien einbinden und gleichzeitig die UCK isolieren wolle, reagieren die bewaffneten Albaner mit Gewalt. Mit einer "solchen Regierung wird der Krieg verlängert", sagte "der Lehrer" im dpa-Interview. "Es wird mehr Blutvergießen geben."
Aus dem Westen gab es die üblichen empörten Reaktionen. Nato-Generalsekretär George Robertson verurteilte den Anschlag als "feigen Akt von Extremisten". US-Außenamtssprecher Philip
Reeker erklärte: "Die Vereinigten Staaten rufen alle politischen
Parteien und Gruppen Mazedoniens auf, sich der Verurteilung
des sinnlosen Gewaltakts anzuschließen und den Prozess des
politischen Dialogs fortzusetzen, in dem sie begriffen sind." Die
Friedenstruppe KFOR verstärkte - zum wievielten Mal? - die Überwachung des
Grenzgebiets. Eine wirkungsvolle Kontrolle der UCK, die vom Kosovo aus operiert, konnte aber bis heute nicht erreicht werden.
Nach dem Überfall vom 28./29. April verstärkte die makedonische Armee ihre Offensive gegen die UCK. Die Angriffe konzentrierten sich auf die Dörfer Vaksince, Lipkovo und Slupcane nahe der nördlichen Grenze
Mazedoniens. Die Armee setzte Maschinengewehre und Geschütze ein. Am 3. Mai kamen zwei Grenzsoldaten bei einem Überfall bei Vaksince durch die UCK ums Leben. Ein Soldat wurde von den Terroristen gefangen genommen.
"Die Dörfer in den Bergen beim Lipkovo-See sind mehrheitlich von
Albanern bewohnt. Eines der Dörfer, Avacinovo, gilt als ein
Zentrum illegaler Geschäfte. Im Bergwerk Lojane in dem Gebiet
wurden vor zwei Jahren Tonnen von Waffen und
Militärausrüstung für die UCK im Kosovo entdeckt. Im Zentrum
der Gemeinde Lipkovo erklärte unlängst der
DPA-Parlamentsabgeordnete Hisni Sakiri, er schließe sich der UCK
an. Anschließend verschwand er in den Bergen."
Süddeutsche Zeitung, 05. Mai 2001
Inzwischen zählen auch Zivilisten zu den Opfern der Kämpfe. Der Sprecher des makedonischen Verteidigungsministeriums, Gjorgi Trendafilov, behauptete, die UCK in den Bergen
benutze Kinder und Frauen als menschliche
Schutzschilde. Die Behörden hatten die Bewohner der Dörfer vor
Beginn der Angriffe am 3. Mai aufgefordert, die Dörfer zu verlassen und vorübergehend im nahe gelegenen Kumanovo Zuflucht zu suchen. Diesem Aufruf seien aber nur etwa 200 Menschen gefolgt.
Während verschiedene UCK-Sprecher im Kosovo (!) die makedonische Armee dafür verantwortlich machen, dass Zivilisten ums Leben kommen (die Soldaten schießen "wahllos" in die Dörfer), heißt es aus dem Verteidigungsministerium, die Armee schieße "gezielt" auf "Objekte der Terroristen". Die Neue Zürcher Zeitung stellt fest: "Es scheint die Strategie der albanischen Rebellen zu sein, die Sicherheitskräfte zu massiven Gegenschlägen zu provozieren. Sie nimmt dabei den Tod von Zivilisten in Kauf. So lässt sich Hass produzieren." (NZZ, 05.05.2001)
Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung (vom 05.05.01) verschob das makedonische Parlament eine für den 4. Mai vorgesehene Krisensitzung auf Dienstag, den 8. Mai. Auf dieser Sitzung will die Regierung Ljubco Georgievskis eine
Entschließung verabschieden lassen, in der die internationale
Gemeinschaft aufgefordert wird, die UCK auf die Liste der
Terroristen zu setzen. Die Albaner-Parteien und auch der
Koalitionspartner DPA (Demokratische Partei der Albaner) hatten
sich zwar schon von der UCK distanziert, ihre Mitglieder aber
bisher nur als "Extremisten" bezeichnet.
Am 5. und 6. Mai spitzte sich die Lage im Norden Makedoniens weiter zu.
Die Armee schloss mit Panzern und Artillerie
einen Ring um eine Gruppe von Dörfern an der Grenze zur
jugoslawischen Provinz Kosovo. In Vakcine und Slupcane
setzten Panzergeschosse mehrere Häuser in Flammen.
Ein hochrangiger Vertreter der albanischen Partei sagte in
Skopje, nach unbestätigten Berichten seien in der
jüngsten Kampfrunde bis zu zehn Zivilisten getötet
worden, darunter ein Mitglied der größten albanischen
Partei und ein neunjähriges Kind.
Wegen der Kämpfe mit
albanischen Rebellen im
Norden des Landes hat
die makedonische
Regierung nun sogar Beratungen
über die Ausrufung des
Kriegszustandes
angekündigt.
Ministerpräsident Ljubco
Georgievski sagte am
Samstagabend (5. Mai) nach
einem Treffen mit
Präsident Boris Trajkovski
und Armeevertretern,
man habe die Maßnahme
gründlich diskutiert, meldete die Nachrichtenagentur Reuters am 6. Mai. Vor
einer Entscheidung
müssten in die
Beratungen jedoch die
anderen Parteien
einbezogen werden. Die Regierung denke über die Ausrufung des
Kriegsrechtes nach, "nicht weil Armee und Polizei den
Angriffen nicht standhalten könnten, sondern weil wir
ihnen damit mehr Bewegungsspielraum geben können",
sagte Georgievski. Das Kriegsrecht räumt den Sicherheitskräften größere Kompetenzen ein. Es
muss nach der makedonischen Verfassung im Parlament mit einer Zweidrittel-Mehrheit verabschiedet werden.
Die Europäische Union (EU) äußerte sich besorgt über die
aufgeflammten Kämpfe. "Es ist sehr wichtig,
extremistische Gruppen zu isolieren, weil Gewalt und
Terrorismus niemals den Weg nach vorne seien können",
sagte Schwedens Außenministerin und EU-Ratspräsidentin Anna Lindh bei einem
Treffen mit ihren Kollegen aus der Union im schwedischen
Nyköping dem Reuters-Fernsehen. Hier irrt Frau Lindh, wie ein Rückblick auf die Erfolgsgeschichte der UCK im Kosovo 1998/99 zeigt. Damals waren Gewalt und Terrorismus, gepaart mit dem Willen des Westens, das Milosevic-Regime entscheidend zu schwächen, die Voraussetzungen zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Im Ergebnis des Krieges wurde das Kosovo zu einem UN-Protektorat, faktisch von Jugoslawien abgetrennt, von Serben und anderen Minderheiten "ethnisch gesäubert" und von ehemaligen UCK-Führern sowie anderen albanischen Separatisten (z.B. Rugova) politisch beherrscht.
In einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung vom 5. Mai hieß es :
"Scheinbar unaufhaltsam gräbt sich das Land hinein in einen
Nationalitätenkonflikt zwischen Slawen und Albanern, dessen
Ausbruch zehn Jahre lang hatte verhindert werden können. Die
Lunte wurde nun von außen gelegt - vom Kosovo aus, wo sich
radikale Kräfte in einen albanischen Nationalwahn
hineingesteigert haben. Doch befeuert wird dieser Konflikt
mittlerweile auch im Innern Mazedoniens. Die neue Offensive der
Regierungstruppen, ausgelöst durch Mordanschläge der
Albanermiliz UCK, wird zu einer Militarisierung in den Köpfen
führen und die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten radikalisieren."
Die Beschreibung des Konfliktverlaufs ist einigermaßen zutreffend. Bezeichend ist aber das Ausklammern der politischen Verantwortung der KFOR, damit also vor allem der NATO, die es im Kosovo nicht geschafft (oder nicht gewollt) haben, die UCK zu entwaffnen und die Grenze zu Makedonien wirkungsvoll abzuriegeln und zu kontrollieren.
Pst
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