Die Skepsis überwiegt - Doch ein Bundeswehreinsatz sollte schon sein
Pressekommentare zum Friedensabkommen in Makedonien
Im Folgenden wollen wir ein paar Auszüge aus Leitartikeln und Kommentaren deutscher Zeitungen zum Friedensabkommen in Skopje dokumentieren.
Süddeutsche Zeitung: Ein "vertrackter Vertrag"
Im Kommentar von Peter Münch heißt es u.a.:
.. Frieden wird nicht auf dem Papier, sondern in den Köpfen
geschlossen. Um einen Konflikt zu beenden, der schon viel Leid
und noch mehr Hass produziert hat, muss mindestens eine von
drei Voraussetzungen erfüllt sein: Einsicht oder Erschöpfung
oder militärischer Zwang von außen. Nichts davon ist in
Mazedonien wirklich gegeben.
Einsicht? Gewiss, die politischen Vertreter der Mazedonier und
der Albaner haben nach zähem Ringen den Vertrag
unterschrieben, der ihnen vorgelegt worden ist. Zudem sagte
UCK-Führer Ali Ahmeti der Nato die Entwaffnung der albanischen
Rebellentruppe im Gegenzug für eine Amnestie zu. Alles bestens
also, einerseits. Andererseits aber hatte Premierminister Ljubco
Georgievski das von ihm nun brav unterzeichnete Papier vorab
als "schändliche Kapitulation" gebrandmarkt. Das gibt die
Richtung vor für die nun folgenden Parlamentsdebatten und
Abstimmungen über das Abkommen, bei denen die
Feierstimmung schnell in Katzenjammer umschlagen kann. Und
auch die UCK ist gewiss nicht der einheitliche Block, mit dem die
Nato rechnet. Schon ist eine neue Miliz unter dem Namen
Albanische Nationalarmee (AKSh) auf den Plan getreten, die den
Kampf in Mazedonien fortführen könnte.
Erschöpfung? Sowohl die großspurigen Worte des Premiers wie
auch die - faktische oder taktische - Spaltung der UCK zeigen,
dass nach wie vor beide Seiten an militärische Erfolge glauben.
Angesichts des aufgeheizten Klimas und der Vertreibung von
mehr als hunderttausend Menschen fällt die militärische Agitation
auch auf fruchtbaren Boden.
Und der militärische Zwang? Die Nato steht im Wort, bis zu 3500
Mann zur Waffenernte zu entsenden. Doch diese schwache
Truppe droht zum Spielball der Konfliktparteien zu werden. Die
Albaner dürften kaum mehr als ihre alten Vorderlader entsorgen,
und von einer Waffenabgabe der in den letzten Wochen
ausgerüsteten Mazedonier war ohnehin nie die Rede. Die
Friedenstruppe läuft also Gefahr, ins Schussfeld zweier gut
gerüsteter Kontrahenten zu geraten, die weder erschöpft sind
noch vernünftig.
Süddeutsche Zeitung, 14.08. 2001
Matthias Rüb fordert in der FAZ u.a. mehr Bereitschaft zum Risiko von der NATO:
... Wenn die Ankunft der Nato mit
ihren Soldaten von den meisten Mazedoniern gegenwärtig
herbeigewünscht wird, dann aus unterschiedlichen und
widersprüchlichen Erwartungen. Die Mazedonier und ihre
Parteien hoffen, die Nato möge mit der UÇK binnen kurzem
"aufräumen", während die meisten Albaner und zumal die
Rebellen wollen, daß sich die Nato in einer Art Pufferzone
entlang der gegenwärtigen Frontlinie festsetzt.
Nato-Generalsekretär Robertson prägte bei der Sitzung des
Nato-Rates noch am Montag abend in Brüssel angesichts dieser
und anderer Unwägbarkeiten der Operation "Ernteeinsatz" das
Wort, wonach die in der jetzigen Form vorgesehene Mission
der Nato in Mazedonien zwar Risiken berge, ein späterer
Einsatz der Allianz in irgendeiner anderen Form aber in jedem
Fall mit noch viel größeren Gefahren verbunden wäre. Auch
weist man in Skopje darauf hin, daß schon in der jetzigen
Einsatzplanung für offiziell zunächst nur 30 Tage eine Option
für eine Verlängerung des Mandats vorgesehen ist.
Der Prozeß der Entwaffnung der UÇK und der Stabilisierung
des Landes auf der einen Seite und der der parlamentarischen
Verhandlung samt abschließender Ratifizierung des
Friedensplanes auf der anderen Seite müßten parallel und damit
zeitgleich verlaufen, heißt es. Im Rahmenabkommen und in den
drei Anhängen werden den Staatsorganen und zumal dem
Parlament aber eine Unmenge von Aufgaben gestellt und sehr
viele knappe Fristen gesetzt. Eine ganze Fülle von wichtigen
Gesetzen muß entweder bis Ende der Legislaturperiode oder bis
Ende 2002 geändert werden. Da aber gemäß Friedensvertrag
schon spätestens am 27. Januar 2002 vorgezogene Wahlen
zum Parlament stattfinden sollen, bleiben nur noch wenige
reguläre Sitzungen des Parlaments, um die neuen oder
veränderten Gesetze zur kommunalen Selbstverwaltung und
deren Finanzierung, zur Polizei-, Bildungs- und
Parlamentsreform zu beraten und zu beschließen. Da keine der
beiden Seiten entscheidende Vorleistung ohne Garantie auf
prompte Gegenleistung bringen will, kann der gesamte
verzahnte Prozeß leicht ins Stocken geraten. Eine solche
Garantie scheint derzeit nur die Nato als "fairer Mittler"
gewähren zu können. Bei den langwierigen politischen
Verhandlungen für das Rahmenabkommen in Ohrid galt das
Prinzip, daß nichts als vereinbart gilt, solange nicht über alles
Einigung erzielt worden ist. Dieses Prinzip scheint auch beim
nicht minder schwierigen Prozeß der Implementierung des
Abkommens zu gelten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.08.2001
Die Frankfurter Rundschau widmet sich der Rolle der Bundesregierung. Martin Winter empfiehlt: "Im Zweifel abwarten" und schreibt u.a.:
Selbst wenn es neuerdings zum guten Ton gehört, sich über die Politik der ruhigen
Hand lustig zu machen, einem jedenfalls möchte man sie derzeit dringend
wünschen: dem Generalsekretär der Nato. Der Einsatz von Soldaten in einem am
Rande eines Bürgerkriegs entlangtaumelnden Land, und wenn auch nur zur Hilfe
bei einer freiwilligen Entwaffnung der Aufständischen, ist allemal von hohen und
schwer kalkulierbaren Risiken begleitet. Diese sorgsam zu wägen darf nicht von
dem Wunsch verdrängt werden, möglichst schnell Erfolge einzufahren.
... Grundlage der Bereitschaft der Regierungen der Nato, auch der deutschen,
Soldaten nach Mazedonien zu schicken, war die Versicherung des Bündnisses,
erst dann die Marschbefehle auszustellen, wenn der Waffenstillstand "belastbar"
und die Selbstverpflichtungen zur Entwaffnung überzeugend seien. Das
Friedensabkommen, die versprochene Amnestie, die Ankündigung von
Waffenniederlegungen und der wenige Tage alte, wackelige Waffenstillstand geben
zwar Anlass zur Hoffnung. Aber ist das auch schon belastbar? Da gibt es starke
Zweifel. Bevor die nicht ausgeräumt sind, sollte kein Soldat nach Mazedonien
geschickt werden.
Frankfurter Rundschau, 15.08.2001
Entgegengesetzter Ansicht ist der Berliner Tagesspiegel: Eine unverhüllte Aufforderung an die NATO zum Kriegseinsatz. Aus dem Kommentar von Hans Monath:
... Im Bundestag werden wieder Bedenken, Skepsis, Abwehr
und Kritik die Tonlage bestimmen, da nun der Nato-Einsatz zur Friedenssicherung
näherrückt und sich möglicherweise bald die Frage einer deutschen Beteiligung stellt:
Was ist mit der Entwaffnung der Rebellen? Wer weiß, ob nicht doch wieder geschossen
wird? Wer garantiert, dass der Einsatz in Mazedonien zeitlich begrenzt bleibt?
Alle diese Fragen sind berechtigt. Aber der durchgehende Verweigerungston der
deutschen Debatte zu Mazedonien ist innerhalb der Nato-Länder einzigartig und zeigt,
dass der offiziellen Berliner Außenpolitik etwas Wichtiges fehlt: der Rückhalt einer
politischen Klasse, die willens ist, eine neue, größere internationale Verantwortung zu
tragen. Der Start der rotgrünen Außenpolitiker vor drei Jahren hatte damals sogar deren
Kritiker beeindruckt: Die Zustimmung der deutschen Regierungslinken zum
KosovoEinsatz der Bundeswehr 1998 war erstaunlich klar. ...
Auch dem neuen Einsatz auf dem Balkan wird eine Mehrheit im Bundestag zustimmen,
wenn es zum Schwur kommt. Aber die Selbstqualen der Grünen und die halbherzige
Sammlungsbewegung der Einsatzverweigerer aus der SPD-Linken zeigen, dass die
Regierungslinke seit ihrem Kosovo-Wagnis, zu dem sie damals der Machtwille zwang,
ermattet ist.
... Schröder und Fischer scheinen gewillt, in Abstimmung mit den Partnern den deutschen
Gestaltungsspielraum in der internationalen Politik zu nutzen oder gar vorsichtig zu
erweitern ...
Deutschland wird nach vielen Querelen die paar hundert Soldaten für die Nato-Mission
in Mazedonien entsenden, wenn denn die Konfliktparteien dort die Voraussetzungen
schaffen. Aber es spricht wenig dafür, dass die parteiübergreifende Bewegung der
Kleinmütigen die nächste unbequeme oder risikoreiche Frage der deutschen
Außenpolitik mit mehr Elan entscheidet. Schade. Denn nur wer sich selbst vertraut, kann
das Vertrauen anderer gewinnen.
Tagesspiegel, 15.08.2001
Der etwas andere Kommentar kommt wie so oft von der "jungen welt". Werner Pirker befasst sich unter der Überschrift "Die Postmoderne" vor allem mit der Staatsfrage:
... In die Moderne tritt ein,
wer sich unter militärischem und diplomatischem Druck ein Abkommen aufnötigen läßt,
das seine nationale Existenz in Frage stellt. Mazedonien dürfte wohl eher in die
Postmoderne eingetreten sein. Denn mit der Moderne verbunden ist das Völkerrecht, das
von der Existenz gleichberechtigter Nationen ausgeht.
An sich würde die Anerkennung des Albanischen als Amtssprache sowie das albanische
Vetorecht in die eigene Volksgruppe betreffenden Fragen tatsächlich einen Fortschritt in
den zwischennationalen Beziehungen darstellen. Doch hier handelte es sich nicht bloß um
einen innermazedonischen Konflikt, sondern um eine bewaffnete Aggression der
kosovo-albanischen UCK gegen einen souveränen Staat.
Die Kosovo-Besatzungsmächte haben diese Aggression nicht bloß toleriert, sondern von
Beginn an die mazedonische Seite daran zu hindern versucht, ihrer Pflicht zur bewaffneten
Verteidigung der territorialen Integrität des Landes nachzukommen. Unter diesen
Umständen beinhaltet der innermazedonische Ausgleich eine Legitimierung der
UCK-Aggression. Denn eines ist auszuschließen: daß es dieser ethnoterroristischen
Organisation um die Herstellung nationaler Gerechtigkeit auf der Grundlage der
Multinationalität geht. Was sie davon hält, hat sie im Kosovo zur Genüge bewiesen. Das
Ergebnis westlicher »Vermittlungsbemühungen« aber wird die Herstellung eines - nach
Bosnien und Kosovo - dritten Protektoratsregimes auf dem Balkan sein. Angeblich, um
die UCK zu entwaffnen, in Wirklichkeit aber, um Skopje die beschränkte Souveränität
über sein Territorium deutlich zu machen.
Mazedonien solle als Staat aller seiner Bürger definiert sein, heißt es. In der Spezifik der
nationalstaatlichen Situation Mazedoniens bedeutet dies aber die Aberkennung einer
mazedonischen Nation. Nach westlicher Lesart existieren die Mazedonier als Titularnation
nicht, es gibt nur mazedonische Bürger slawischer und albanischer Nationalität. Was sind
also nun die mazedonischen Slawen? Würden Serben und Bulgaren gefragt werden, käme
die Antwort prompt: Südserben bzw. Westbulgaren. Für die Griechen wiederum sind die
Mazedonier keine Mazedonier, weil sie Slawen sind. Schon so mancher Balkankrieg ist
um die Beantwortung dieser Frage ausgefochten worden. Das mag zwar im Moment nicht
besonders aktuell sein. Eine Wiederholung ist dennoch nicht ausgeschlossen.
junge welt, 15.08.2001
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