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Madagaskar könnte wählen

Gericht streicht amtierenden Präsidenten und zwei seiner Vorgänger von Kandidatenliste

Von Christian Selz *

Am vergangenen Samstag hat das Spezialgericht für Wahlen (CES) in Madagaskar den Präsidentschaftsambitionen des ehemaligen Staatschefs Didier Ratsiraka, von Amtsinhaber Andry Rajoelina und der Frau von dessen Vorgänger Marc Ravalomanana, Lalao, ein jähes Ende gesetzt. Das Tribunal war erst eine Woche zuvor vom Parlament ins Leben gerufen worden. Das Urteil, die erste Entscheidung des neuen Gerichts, stieß bei der Afrikanischen Union (AU) und beim wichtigen politischen Regionalblock, der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas (SADC), auf zufriedene Zustimmung. Das Lager Ravalomananas kündigte allerdings Proteste an. Die seit 2012 bereits mehrfach verschobenen Wahlen sollen die seit Jahren schwelende Krise in dem verarmten Inselstaat vor der Südostküste Afrikas beenden. Wann sie tatsächlich stattfinden, ist weiterhin ungewiß. Angekündigt sind sie eigentlich für den morgigen Freitag. Beatrice Attalah, Vorsitzende der Wahlkommission, erklärte allerdings bereits am 10. August, daß der erste Wahlgang im Oktober stattfinden könnte.

Fraglich ist dann vor allem, vor welcher Wahl die mehrheitlich unter der Armutsgrenze lebenden Madagassen dann überhaupt stehen. Die derzeit verbliebenen 31 Kandidaten sind weitgehend unbekannt. Es ist zu aber erwarten, daß sowohl Ravalomanana als auch Rajoelina, der seinen Kontrahenten 2009 mit Hilfe des Militärs aus dem Amt geputscht hatte, neue Strohmänner für ihre Bewegungen aufstellen. Dem erst kürzlich aus dem Exil in Frankreich zurückgekehrte Ratsiraka waren ohnehin nur geringe Chancen eingeräumt worden. Wie Lalao Ravalomanana wurde ihm die Formalie zum Verhängnis, nicht mindestens sechs Monate vor Einreichen seiner Kandidatur in Madagaskar gelebt zu haben. Ein erstes Urteil, das die Kandidatur der beiden bestätigte, weil sie sich nicht freiwillig im Ausland aufgehalten hatten, kassierte das CES damit. Rajoelina, der wie Marc Ravalomanana ursprünglich erklärt hatte, nicht antreten zu wollen, hatte seine Unterlagen erst nach Bekanntwerden der Kandidatur von dessen Frau eingereicht – und damit zu spät.

Die Scharmützel um die Macht charakterisieren die politischen Verhältnisse im zweitgrößten Inselstaat der Welt treffend. Die Wahlen in dem von Korruption durchzogenen Land sind in erster Linie ein Verteilungskampf der herrschenden Cliquen, wirklichen Gestaltungsspielraum haben die Regierungen in der Hauptstadt Antananarivo längst nicht mehr. Ratsiraka, 1975 als revolutionärer Sozialist angetreten, gab seine Linie bereits zu Beginn der 80er Jahre zugunsten der mit Krediten garnierten Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf. Ravalomanana, der den Molkereibetrieb seiner Eltern mit Weltbankkrediten bis zu seinem Sturz zum Großunternehmen ausbaute, verfestigte den marktradikalen Kurs weiter. Zum Ende seiner Amtszeit ließ er Proteste blutig niederschießen, die sich gegen seine Selbstbereicherung und den Verkauf der Hälfte des fruchtbaren madagassischen Ackerlandes an den südkoreanischen Konzern Daewoo richteten. Der derzeitige Putsch-Präsident Rajoelina, ein gelernter DJ, warb zwar mit Sozialprogrammen, kann und will die Vormacht der internationalen Finanz­institutionen in dem völlig von Agrarprodukten und Rohstoffen abhängigen Land aber auch nicht durchbrechen.

Mit einem wirklichen Politikwechsel ist auch nach den Wahlen daher kaum zu rechnen. Daß das vom Parlament eigens dafür eingerichtete Wahlgericht nun auf die Forderungen von SADC und AU einschwenkt, könnte allerdings zumindest ein Hoffnungsschimmer in Richtung einer stärkeren regionalen Einbindung sein.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. August 2013


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