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Machtkampf im Paradies

Auf Madagaskar bekriegen sich zwei Großunternehmer. Die Bevölkerung ist gespalten und das Ende offen. Auf wessen Seite schlägt sich die Armee?

Von Gerd Schumann *

Der madagassische Machtkampf zwischen den beiden Großunternehmern Marc Ravalomanana, derzeit Präsident, und Andry Rajoelina, derzeit Oppositionsführer, geht unvermindert weiter. Am Montag (16. März) lehnte Rajoelina, der seine Millionen vor allem im Unterhaltungs- und Medienbusineß machte, ein am Sonntag von Ravalomanana, der mit dem Mischkonzern Tiko unschätzbare Reichtümer aufhäufte, vorgeschlagenes Referendum ab. Die Abstimmung, die vorgeblich einer »Lösung der Staatskrise« dienen soll, sei überflüssig, so der 34jährige ehemalige Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo. Die Menschen hätten bereits deutlich gemacht, daß sie den Rücktritt des Präsidenten wollten, meinte er am Montag in einer Ansprache seines Radio- und Fernsehsenders Viva. Ravalomanana seinerseits bekräftigte umgehend, daß er im Amt bleiben werde.

Die Schlacht der beiden Kontrahenten dauert seit Dezember vergangenen Jahres an und spaltet das Land zusehends. Bisher fielen den Auseinandersetzungen fast 200 Menschen zum Opfer. Ende Januar waren mindestens 111 Plünderer und Aufständische von Polizisten erschossen worden; am 7. Februar starben bis zu 50 Demonstranten, die versucht hatten, den Präsidentenpalast zu stürmen.

Dabei galt der reichste Mann der ostafrikanischen Insel, die bis 1960 unter der Knute der – heute immer noch einflußreichen – französischen Kolonialmacht stand, 2002 als Hoffnungsträger großer Teile der Bevölkerung. Zum einen löste er den abgewirtschafteten Dauerstaatschef Didier Ratsiraka nach – nur kurz unterbrochener – nahezu 27jähriger Regentschaft ab; zum anderen versprach er jeder Familie Kühlschrank und Auto. Die hierfür notwendigen Mittel wollte er mittels einer »Modernisierung« des Landes durch eine neoliberale Öffnung erreichen – wie er zumindest vorgab. Dabei kam vor allem heraus, daß ausländische Konzerne sich ungehemmt breitmachten, der Präsident als Herr über Recht und Gesetz immer reicher und korrupter wurde – und die Mehrheit der 19 Millionen Einwohner weiter verarmte: Heute leben 70 Prozent von Subsistenzwirtschaft und weniger als einem Euro täglich.

Der Ausverkauf der viertgrößten Insel der Erde, deren Böden üppige Ernten an Getreide, Früchten aller Art und Gemüse hergeben könnten, wenn sie denn genutzt würden, brachte auch größere Teile der nationalen Bourgeoisie – Landbesitzer, Händler, Unternehmer – gegen Ravalomanana auf. Sein Kontrahent vereint nunmehr ein buntes Konglomerat aus Zehntausenden verarmten Menschen, Angehörigen der Mittelklasse, Studierenden und Kapitalisten hinter sich. Und mancher vom korrupten Präsidenten Enttäuschte sieht in Rajoelina mindestens das kleinere Übel und unterstützt ihn.

Dieser hatte sich am Wochenende – zum zweiten Mal innerhalb von anderthalb Monaten – zum Präsidenten einer Übergangsregierung erklärt. Doch ob dieses imaginäre Konstrukt tatsächlich Wirklichkeit wird, ob nicht gar eine Einigung der beiden Kontrahenten möglich ist – beide haben viel zu verlieren – oder ob es doch zum befürchteten Bürgerkrieg kommt...: Der Ausgang ist offen. Derzeit bleibt auch unübersichtlich, auf wessen Seite die Armee steht. Der Inselstaat Madagaskar könnte ein Paradies sein – und ist doch soweit davon entfernt.

* Aus: junge Welt, 17. März 2009


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