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Litauen plustert sich auf

Baltischer Staat bewertet seinen Start in die EU-Ratspräsidentschaft als äußerst gelungen

Von Kay Wagner, Brüssel *

Es sind Ferien in Europa, und auch in Brüssel schlägt der Puls des Lebens zurzeit spürbar ruhiger. Das bedauert insbesondere Litauens Regierung.

Das Land, das seit dem 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft ausübt, hat dieser Aufgabe genauso entgegengefiebert wie bisher alle anderen osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten. Die Aufgabe, Sitzungen und Verhandlungen des EU-Rats zu leiten, werten diese Staaten als deutliches Zeichen der historischen Wende: Aus dem vermeintlichen Abseits der Weltgeschichte kommen sie plötzlich an die Spitze Europas. Wenn auch nur für sechs Monate. Aber immerhin. Eine willkommene Gelegenheit, um zu glänzen. Um sich als wahre und fähige Europäer zu zeigen.

Für so ein Vorhaben ist die zweite Jahreshälfte als Zeitraum für die Ratspräsidentschaft äußerst undankbar. Denn von den sechs Monaten werden mindestens eineinhalb gleichsam verschenkt. Kaum hat die Präsidentschaft am 1. Juli begonnen, verabschiedet sich das EU-Geschehen in den Urlaub. Die litauischen Minister zum Beispiel hatten gerade noch Zeit, vor den Ausschüssen des EU-Parlaments ihre Programme vorzustellen, Lob oder Skepsis dafür entgegenzunehmen – dann wurde im Parlament die Sommerpause eingeläutet. Wiedersehen im September.

So geht es auch mit den meisten Sitzungen der Ministerräte. Was bleibt, ist die Arbeit im Hintergrund, die wenig Öffentlichkeit verspricht. Dem Elan der Ratspräsidentschaft wird dadurch schnell der Schwung genommen.

Dazu kommt noch, dass die wechselnde Präsidentschaft grundsätzlich an Glanz verloren hat. Die Leitung der EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs übt seit dem Vertrag von Lissabon ein ständiger EU-Ratspräsident aus, zurzeit Herman Van Rompuy. Um die Außenpolitik kümmert sich jetzt eine ständige Beauftragte, derzeit Catherine Ashton.

Die EU-Ratspräsidentschaften müssen also mehr Hintergrundarbeit leisten. Auch die Litauer müssen das akzeptieren. Doch der Drang zum Rampenlicht bleibt, gerade bei den neueren EU-Mitgliedern. Das macht die Mitteilung deutlich, die die Litauer pünktlich als Bilanz des ersten Monats ihrer Ratspräsidentschaft am Mittwoch veröffentlichten. »Der Anfang der EU-Ratspräsidentschaft fiel deutlich intensiver als gewöhnlich aus, wir haben die ersten Ergebnisse schneller erzielt«, lobt der ständige Vertreter Litauens bei der Europäischen Union, Raimundas Karoblis, die außergewöhnliche Arbeit seines Teams. »Wir haben jedoch auch das Unerwartete gut gemeistert«, führt der Diplomat weiter aus. Es folgt eine Liste von EU-Vorhaben, -Entscheidungen und -Treffen, bei denen die Litauer dank ihrer neuen Rolle natürlich federführend dabei waren, die aber auch ohne Litauer mit hoher Wahrscheinlichkeit genau so stattgefunden hätten. Zum Beispiel die Entscheidung der EU, den militärischen Arm der Hisbollah als terroristische Organisation einzustufen. Oder die Gründung einer »ad hoc Arbeitsgruppe« von Experten aus der EU und den USA, zu Fragen des Datenschutzes.

Litauen hat das gemeistert. Aber seine Vorgänger, die Iren, hätten es ebenso gut. Dass die litauische Präsidentschaft das verschweigt, muss man den Balten nicht übel nehmen. Die Premiere ist allemal etwas Besonderes.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 2. August 2013


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