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USA verhaften Staatsfeind in Libyen

Präsident Obama beruft sich bei der Festnahme Ahmed Abu Khatallahs auf das Recht zur Selbstverteidigung

Von Mirco Keilberth, Tripolis *

Die USA haben den mutmaßlichen Drahtzieher des Anschlags auf ihr Konsulat im libyschen Bengasi 2012 gefasst. Ahmed Abu Khatallah soll nun vor Gericht gestellt werden.

Präventive Verhaftung auf ausländischem Territorium: Der von einem US-amerikanischen Kommando in Libyen gefasste Ahmed Abu Khattalah soll nach Angaben der Regierung in Washington weitere Angriffe auf USA-Bürger geplant haben. Khattalah wird bereits für den tödlichen Anschlag auf das USA-Konsulat 2012 in Bengasi verantwortlich gemacht. Wegen seiner Pläne sei die Festnahme vom Recht auf Selbstverteidigung gedeckt, teilte die Regierung von Präsident Barack Obama den Vereinten Nationen mit, wie die »New York Times« berichtete. Der Zugriff erfolgte am vergangenen Wochenende.

Ahmed Abu Khatallah ist Mitgründer der islamistischen Miliz Ansar al-Scharia und Anführer von ein paar Dutzend Kämpfern, die unter dem Namen Abu Ubaidah bin Jarrah ihre ultrakonservative Weltanschauung auf den Straßen Bengasis durchsetzten. Beim Sturm auf das Konsulat in Bengasi am 11. September 2012, dem Jahrestag des Anschlags auf das World Trade Center in New York, hielt sich US-Botschafter Chris Stevens in dem schlecht bewachten Gebäude in der Milizenhochburg Libyens auf. Für die Sicherheit in den umliegenden Straßen waren Revolutionäre der Brigade 17. Februar verantwortlich. »Deren Unterstützung des bewaffneten syrischen Widerstandes war den US-Amerikanern nicht ungelegen«, glaubt der ehemalige libysche Botschaftsmitarbeiter Hamsa aus Bengasi.

Während des offenbar spontanen, aber gewalttätigen Angriffs von rund 50 Islamisten am Abend des 11. September erstickte Botschafter Stevens in einem Schutzraum des Gebäudes, ohne dass die Angreifer ihn zu Gesicht bekamen. Nachbarn entdeckten den Diplomaten zufällig und brachten ihn ins Krankenhaus, wo er verstarb.

Drei weitere Botschaftsmitarbeiter starben, als die Islamisten Stunden später das wenige Kilometer entfernte CIA-Hauptquartier in Bengasi ausfindig machten und mit Mörsern angriffen.

Abu Khatallah wurde während der Aktion auf dem Konsulatsgelände gesehen. Bei einem Treffen im Tibesti-Hotel bestritt der 43-Jährige vergangenes Jahr, die Aktion geleitet zu haben. »Wir hörten von Problemen in der Botschaftsgegend, ich habe nur ein paar Nachbarn vor den Flammen retten wollen«, behauptete er.

»Abu Khattalah war unter den zwölf von der US-Staatsanwaltschaft Gesuchten der ruhigste, von der langen Haft unter Gaddafi irgendwie gebrochen. Kaum vorstellbar, dass er eine Miliz geführt haben soll«, sagt Mohamed, ein ehemaliges Mitglied von Ansar al-Scharia, einer mehrere tausend Mann starken Truppe, die sich als soziale Bewegung versteht.

Mohamed behält seinen Nachnamen aus Sicherheitsgründen für sich. Er glaubt, zu dem Angriff auf die Botschaft sei es gekommen, »weil die Milizen nicht recht wussten, was die US-Amerikaner eigentlich in Bengasi machten.« Dass die US-Militärmaschinerie ausgerechnet Abu Khatallah aufgriff und nicht mächtigere Milizenführer, wundert viele in Bengasi, auch wenn sie die Aktion insgeheim befürworten.

Schon sein öffentliches Auftreten spricht dafür, dass er in der mafiaähnlichen Milizenstruktur, die von Syrien bis Mali aktiv ist, keine wichtige Rolle mehr spielte. Obama brauchte wohl dringend einen innenpolitischen Erfolg, mutmaßt ein Café-Besucher.

Unterdessen spitzt sich der offene Krieg zwischen der sogenannten »Nationalen Armee« und den Islamisten in Bengasi zu. Gerüchte von einem bevorstehenden Großangriff auf den Flughafen Benina machen die Runde. Von dort lässt der pensionierte General Khalifa Haftar die Ansar al-Scharia, die Rafalla Schati und andere religiösen Gruppierungen bombardieren. Gegen den Willen der Armeeführung.

Zeitgleich mit der US-Kommandoaktion setzten mit Haftar verbündete Armee-Einheiten dieser Tage erstmals Panzer in Bengasi ein. Die Operation »Würde« erfüllt alle Merkmale eines Putsches. Haftar, einst General Gaddafis, begründet sein eigenmächtiges Vorgehen mit der Unterwanderung des Innen- und Verteidigungsministeriums durch Islamisten.

»Wir verteidigen Libyen gegen den politischen Islam und Europa gegen Extremisten wie Abu Khatallah mit seinen Kämpfern aus Syrien, Irak und Afghanistan«, sagt Mohamed al-Hegazi, Sprecher der Nationalen Armee. Mit der US-Aktion ist er zufrieden und hat dafür einen triftigen Grund. »Die US-Amerikaner haben vor zwei Jahren die islamistischen Milizen in Bengasi gewähren lassen, weil sie in den Krieg gegen Baschar al-Assad nach Syrien gezogen sind. Diese Kooperation endete mit dem tragischen Tod des Botschafters. Jetzt sollen sich die US-Amerikaner um die Extremisten kümmern, für deren Macht sie mitverantwortlich sind.«

* Aus: neues deutschland, Freitag 20. Juni 2014


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