Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Frauen wie Kriegsbeute behandelt"

Libyen könnte für Frauen zum zweiten Afghanistan werden. Libyerinnen, die für ihre Rechte eintreten, werden beleidigt und bedroht. Ein Gespräch mit Aicha Almagrabi *

Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Aicha Almagrabi ist Professorin an der Zaytuna-Universität in Tripolis und Leiterin der Organisation für die Verteidigung der Gedankenfreiheit.


Im vergangenen Oktober war es zwei Jahre her, daß Staatschef Muammar Al-Ghaddafi gestürzt und brutal ermordet wurde. Was hat sich seitdem für Frauen in Libyen verändert?

Die Lage hat sich alles andere als verbessert, denn auch die wenigen Rechte, die wir besaßen, haben wir verloren. Polygamie ist nach wie vor in Libyen verbreitet. Doch unter der Herrschaft von Ghaddafi von 1969 bis 2011 brauchte ein Mann immerhin noch die Zustimmung seiner Frau, um ein zweites Mal zu heiraten. Inzwischen ist sie nicht länger erforderlich.

Das erste, was Mahmud Dschibril (als Vorsitzender des Nationalen Übergangsrats) in seiner berühmten Rede zum Ende des Bürgerkriegs 2011 angekündigt hatte, war die Überarbeitung des Polygamiegesetzes. Erst danach sprach er vom Wiederaufbau des Landes und der Zivilgesellschaft.

Libysche Frauen wurden wie Kriegsbeute behandelt. Wenn sie öffentlich protestieren, müssen sie mit Gewalt rechnen. Frauen, die für ihre Rechte eintreten, werden ständig beschimpft, schikaniert und bedroht. Wir waren Teil der Revolution, auch unter uns gab es Märtyrerinnen, doch hat uns das politisch nicht geholfen.

Einige Frauen sitzen aber doch heute in der Regierung?

Das stimmt, aber sie haben große Mühe, die Stellung zu halten. Die Parteien bedienten sich ihrer zu Wahlkampfzwecken. Der »Ausschuß der 60«, der die neue Staatsverfassung entwerfen soll, zählt lediglich sechs weibliche Mitglieder. Einer der Parlamentarier im Allgemeinen Nationalkongreß schlug sogar vor, Männer und Frauen bei Beratungen räumlich voneinander zu trennen. Auch andere Zahlen sprechen für sich: 90 Prozent aller Lehrer sind Frauen, doch nur zwei von ihnen in Positionen, in denen sie Entscheidungen treffen.

Es gibt auch Gerüchte über neue Fatwas, islamische Rechtsgutachten, die Frauen verbieten sollen, ohne männliche Begleitung durch das Land zu reisen.

Das würde mich nicht wundern. Ich lebe außerhalb der Stadt und wurde am 13. Februar auf dem Weg zur Arbeit von einer Gruppe bewaffneter Männer angehalten. Sie richteten anderthalb Stunden lang ihre Gewehrläufe auf mich, nur weil ich mich nicht in der Begleitung eines Mannes befand. Ich brachte den Vorfall in die Medien. Am 14. März organisierten wir einen »Marsch für die Würde der Frau«. Wie üblich wurden wir beschimpft, mißhandelt und belästigt.

Ist die zunehmende Gewalt im Land das dringlichste Problem für libysche Frauen?

Sie ist nur eines von vielen Problemen. Frauen sind ans Haus gefesselt, und die Straßen sind für sie nicht sicher. Es gibt viele Überfälle und sogar Entführungen. Dennoch ist kein Wille erkennbar, Frauenrechte in der neuen Verfassung zu verankern. Ein großes Problem besteht zudem darin, daß Frauen sich nur in geringem Maße zivilgesellschaftlich engagieren. Zu Beginn der Revolution von 2011 waren wir sehr stark, doch diese Stärke hat seit Kriegsende nachgelassen.

Heute sind wir sehr enttäuscht, weil wir an der Revolution teilgenommen haben und jetzt mit ansehen müssen, wie man unsere Idealvorstellungen von Freiheit und Gerechtigkeit durch Fatwas und religiöse Reden zu unterlaufen sucht. Fatwas haben einen großen Einfluß auf die jüngeren Generationen.

Was kann den Libyerinnen in dieser schwierigen Lage helfen?

Selbst im unwahrscheinlichen Fall, daß wir schließlich doch eine auf den Menschenrechten basierende Verfassung erhalten, bräuchten wir eine weitere Revolution, um die Denkweise libyscher Frauen zu verändern. Vor allem aber muß vor dem Entwurf einer Verfassung die Herrschaft der Milizen und der bewaffneten Gruppen beendet werden, die außerhalb von Armee und Polizei agieren. Wenn dies nicht geschieht, bewegen wir uns in Richtung des »afghanischen Modells«, was die Rechte von Frauen angeht.

Interview: Karlos Zurutuza, IPS

* Aus: junge Welt, Freitag, 3. Januar 2014


Zurück zur Libyen-Seite

Zur Libyen-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage