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NATO mit Klartext: Gaddafi muss weg

Ziele der UNO-Resolution längst überschritten *

Im Libyen-Krieg gehen Frankreich, Großbritannien und die USA nach Einschätzung der Regierung in Paris längst über die von der UNO festgelegten Ziele hinaus.

Das Engagement der drei Staaten überschreite »sicherlich« bereits die Entschließung des Sicherheitsrates, sagte der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet am Freitag (15. April). Schließlich sei in der Resolution 1973 keine Rede von der Zukunft des Machthabers Muammar al-Gaddafi. Kein großes Land könne es aber hinnehmen, »dass ein Staatschef seine Probleme löst, indem er auf seine Bevölkerung schießt«, sagte Longuet. Deshalb sei Frankreich sich mit Großbritannien und den USA darüber einig, dass Gaddafi »nicht Libyens Zukunft ist«.

Derweil hat Russland einen als Zeitungsartikel veröffentlichten Appell Frankreichs, Großbritanniens und der USA für eine Ablösung Gaddafis kritisiert. Außenminister Sergej Lawrow sagte nach einer Tagung des NATO-Russland-Rates am Freitag (15. April) in Berlin, eine solche Forderung sei durch die UNO-Resolution nicht gedeckt.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen begrüßte hingegen den Dreieraufruf gegen Gaddafi. »Ich denke, dieser Artikel spiegelt die Einigkeit im Ziel und in der Entschlossenheit der Verbündeten wider«, sagte er am Freitag zum Abschluss eines Treffens der NATO-Außenminister in Berlin. »Die NATO ist absolut entschlossen, ihren Einsatz so lange fortzusetzen, wie es eine Bedrohung der libyschen Zivilbevölkerung gibt«, sagte der Generalsekretär des Bündnisses. »Und es ist unmöglich, sich vorzustellen, dass diese Bedrohung mit Gaddafi an der Macht verschwindet.«

Rasmussen behauptete, es gebe keinerlei Vorbereitungen für den Einsatz von Bodentruppen. Nach Angaben eines Generals hat der Pakt indes bereits mit den Vorplanungen für den Einsatz solcher Truppen in Libyen begonnen. Diese könnten notwendig werden, um humanitäre Hilfslieferungen militärisch abzusichern, hatte der Chef des Stabes im militärischen NATO-Hauptquartier, General Manfred Lange, in einem Interview mit Deutsche Welle TV erklärt.

Auch die EU hat ein Konzept für einen möglichen Militäreinsatz zum Schutz humanitärer Hilfe in Libyen beschlossen. Als nächstes soll ein Operationsplan folgen.

* Aus: Neues Deutschland, 16. April 2011


Krieg bis zum Endsieg

Libyen weiter bombardieren: Obama, Sarkozy und Cameron schwören auf Kampf ein bis zu Ghaddafis Abgang. EU beschließt Konzept für Militärintervention

Von Rüdiger Göbel **


Die NATO soll in Libyen weiter bombardieren, bis zum Sturz der Regierung Muammar Al-Ghaddafis. Eine Verhandlungslösung kommt für den Westen nicht in Frage. Insbesondere die UN-Vetomächte und NATO-Mitglieder USA, Großbritannien und Frankreich machen sich für eine Intensivierung des Krieges gegen das nordafrikanische Land stark. Die NATO müsse Libyen weiter angreifen, bis der Revolutionsführer verjagt sei, sonst mache die Welt sich schuldig, behaupteten US-Präsident Barack Obama, der britische Premier David Cameron und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy in einem gemeinsamen Zeitungsartikel. Ihr Kriegsappell war am Freitag (15. April) unter anderem via Washington Post, Times und Le Figaro verbreitet worden.

Man werde nicht eher ruhen, bis die Libyen-Resolutionen des Weltsicherheitsrats durchgesetzt seien. »Laut der UN-Resolution 1973 ist es unsere Pflicht und unsere Aufgabe, die Zivilisten zu beschützen. Das ist es, was wir tun«, behauptet das Kriegstrio in seinem Brandbrief. »Solange Ghaddafi an der Macht ist, müssen die NATO und ihre Koalitionspartner ihre Operationen weiterführen, so daß Zivilisten geschützt bleiben und Druck auf das Regime aufgebaut wird.« Ghaddafi und dessen Familienmitglieder müßten »definitiv« gehen, sonst drohe Libyen zu einem »Zufluchtsort für Extremisten« und einem »gescheiterten Staat« zu werden.

Das weitere militärische Vorgehen wollen EU und NATO auf einer informellen Sitzung in der kommenden Woche beraten. Auf dem Außenministertreffen des Militärpakts am Donnerstag und Freitag in Berlin wurde lediglich das Kriegsziel bekräftigt: Ghaddafi muß weg.

Zur Erreichung dieses Ziels wird bewußt gegen die UN-Resolution 1973 verstoßen. Diese sieht den Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen vor, nicht aber den nun favorisierten »Regime Change«, wie am Freitag der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet im Fernsehsender LCI einräumte. Außerdem besteht ein Waffen­embargo gegen das nordafrikanische Land, zu dessen Durchsetzung sich die NATO ermächtigt hat – allerdings nur selektiv. Die Zeit berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe detailliert, wie an die Aufständischen Kriegsgerät geliefert wird, nicht zuletzt in die heftig umkämpfte Stadt Misurata.

Rußlands Außenminister Sergej Lawrow forderte beim NATO-Frühjahrsgipfel in Berlin ein Ende der Angriffe in Libyen. Die Strategie, erst mal »gehörig zu bombardieren«, um dann mit Verhandlungen zu beginnen, funktioniere nur selten. Notwendig sei es nun, schleunigst einen politischen und diplomatischen Prozess auf den Weg zu bringen, bei dem die afrikanischen Nachbarstaaten eine führende Rolle spielten. »Ultimaten von außen« seien nicht zielführend, betonte Lawrow. »Übermäßige« militärische Gewalt bringe zudem nur zusätzliche Opfer in der Zivilbevölkerung.

Die Europäische Union beschloß derweil ein Einsatzkonzept für eine Militärintervention in Libyen. Zuletzt hatte Schweden seine Ablehnung aufgegeben. Voraussetzung für den Einsatz ist eine offizielle Anfrage des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA), die aber weiter ausbleibt. Anders als bei den NATO-Angriffen will die Bundesregierung an der EU-Mission deutsche Soldaten direkt beteiligen.

Die Tochter Ghaddafis rief am Freitag (15. April) in der libyschen Hauptstadt Tripolis zu einem Ende der NATO-Angriffe auf. »Laßt unseren Himmel mit euren Bomben in Ruhe«, rief ­Aisha laut AP mit hochgestreckter Faust vor Hunderten jubelnden Libyern. »Wir sind ein Volk, das nicht besiegt werden kann.« Tags zuvor hatte das Staatsfernsehen Aufnahmen gezeigt, auf denen Ghaddafi in einem offenen Geländewagen stehend durch die Straßen von Tripolis fährt. Die NATO hatte an diesem Tag wieder Ziele in der Hauptstadt bombardiert.

** Aus: junge Welt, 16. April 2011


Longuets Geständnis

Von Detlef D. Pries ***

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen beharrt immer noch darauf, dass der »Einsatz« des Militärpakts in und über Libyen streng dem Mandat des UN-Sicherheitsrats folgt. Derweil bekennt Frankreichs Verteidigungsminister Gérard Longuet offen, dass die Allianz der Willigen »sicherlich« längst über die vom Sicherheitsrat im März gebilligten Ziele hinausschießt.

Die UN-Resolution 1973 – so vieldeutig sie formuliert ist – erlaubt militärische Maßnahmen zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung. Kritiker bestritten nicht nur von Anfang an, dass dieses humanistische Anliegen durch einen Luftkrieg zu erreichen ist, sie bezweifelten auch, dass damit die wahre Absicht der Interventen beschrieben ist. Und sie sehen sich bestätigt. Denn längst wird das eigentliche Ziel lauthals verkündet: »Gaddafi muss weg, und zwar für immer und sofort!« Von einem gewaltsam durchzusetzenden Regimewechsel ist in der UN-Resolution jedoch keine Rede. Die Überschreitung des Mandats ist offensichtlich.

Richtig ist: Kein Staatschef darf seine Probleme lösen, indem er auf seine Bevölkerung schießt. Realität ist, dass dies leider viel zu oft versucht wird. Die jüngsten Geschehnisse im arabischen Raum offenbaren indes, dass und wie Mächtige, die sich zur »internationalen Gemeinschaft« erklären, je nach Gutdünken und eigenem Interesse beschließen, den einen Aufstand mit militärischer Gewalt zu unterstützen, den anderen aber zusammenschießen zu lassen. Manche nennen das Doppelmoral, eigentlich ist es unmoralisch. Jedenfalls ist es kein Beispiel dafür, dass Probleme mit politischen und diplomatischen Mitteln zu lösen sind.

*** Aus: Neues Deutschland, 16. April 2011 (Kommentar)


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