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Deutsche G36-Sturmgewehre illegal in Libyen

Monatelanger Verdacht erhärtet – ermittelnde Staatsanwaltschaft gibt sich dennoch total ahnungslos

Von René Heilig *

In Libyen wurde und wird mit G36-Sturmgewehren aus Deutschland getötet. Entgegen allen Beteuerungen scheint klar: Die Kriegswaffen, deren Export nach Libyen illegal ist, sind bei Heckler & Koch in Oberndorf (Baden-Württemberg) hergestellt worden.

Seit März berichtete ND wie auch andere Medien mehrfach darüber, dass Gaddafi-Treue wie Rebellen mit deutschen Sturmgewehren des Typs G36, der Standardwaffe der Bundeswehr, ausgerüstet sind. TV-Sequenzen und Fotos belegen das. Doch die Herstellerfirma Heckler & Koch bestritt bereits Anfang März die von »selbst ernannten Experten« aufgestellten Behauptungen über Lieferungen nach Libyen. Die Firma, gegen die die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ermittelt, weil G36 von der mexikanischen Polizei illegal auch in Aufstandsregionen verwendet werden, betonte, man halte sich »an Recht und Gesetz der Bundesrepublik«. Auch die Frage, wie G36 nach Georgien gelangten, beantwortete die baden-württembergische Waffenfirma nicht. Kinderrechte kennen keine Herkunft

Nun berichten jedoch Augenzeugen, dass den Rebellen beim Vorrücken auf Gaddafis Hauptquartier in der vergangenen Woche G36 in großer Anzahl in die Hände gefallen sind. Die Waffen sind in Deutschland produziert worden. Das beweisen entsprechende Prägestempel: HK G36 KV, Kal. 5,56 mm x 45, dann ein Bundesadler mit zugefügtem N für Normalbeschuss durch das mit Geweihstangen symbolisierte Beschussamt Ulm. Die Buchstaben AD verweisen auf das Herstellerjahr: 2003.

Unklar ist dagegen, wie viele Waffen über welche Wege ins Gaddafi-Land kamen. In amtlichen Rüstungsexportberichten sind sie nicht aufgeführt, und das zuständige Bundeswirtschaftsministerium bestreitet gegenüber der »Stuttgarter Zeitung«, eine Exportgenehmigung erteilt zu haben.

2010 hatte die Kripo München gegen Herrschersohn Saif al-Arab al-Gaddafi wegen Waffenschmuggels ermittelt – bis sie von »oben« gestoppt wurde. Die enttäuschten Fahnder sind sich jetzt aber sicher, dass Saif solche Mengen im Diplomatengepäck nicht geschmuggelt haben kann. Bleibt der Verdacht, potente Zwischenhändler könnten eingeschaltet worden sein. Von der Herstellerfirma? Oder sind staatliche Stellen in die Straftat verwickelt?

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, die wegen der Mexiko-Vorwürfe gegen Heckler & Koch – nach eigener Aussage – ermittelt, hörte angeblich am Dienstag »durch einen Journalisten zum ersten Mal« davon, dass G36-Sturmgewehre in Libyen gesehen wurden. Man prüfe nun, ob es einen Anfangsverdacht geben könnte, hieß es auf ND-Nachfrage. Dass entsprechende Hinweise im vergangenen halben Jahr mehrfach in den Medien waren, dass sie im Bundestag zur Sprache kamen und die Firma behauptete, es könne sich auch um eine Nachbildung als Soft-Air-Waffe handeln, ist den »Ermittlern« völlig entgangen.

Falls Herstellungs- und Schmuggelzeitraum annähernd zusammenfallen, wären Nachfragen vor allem an die Potentaten der rot-grünen Koalition zu richten. Unter Schröder und Fischer wurde eine geheime Ausbildung libyscher Elitekämpfer vereinbart. 30 deutsche Polizisten und Soldaten waren 2005 und 2006 dazu »in ihrem Urlaub« eingesetzt. Das Parlamentarische Gremium zur Geheimdienst-Kontrolle befand im April 2008, der BND habe mit der Aktion nichts zu tun gehabt.

* Aus: Neues Deutschland, 1. September 2011


NATO will in Libyen weiter präsent sein

Optionen auf Luftraumüberwachung und Küstenkontrolle / Rebellen: Aufstand kostete 50 000 Tote **

Die NATO will auch nach einem Ende des Militäreinsatzes in Libyen weiter Flagge zeigen. NATO-Soldaten könnten für eine begrenzte Zeit den Luftraum überwachen und Schiffe vor der Küste Libyens kontrollieren.

Eine weitere Paktpräsenz im Luftraum und vor der Küste Libyens vereinbarten die Vertreter der 28 NATO-Staaten am Mittwoch im NATO-Rat in Brüssel. Eine Entsendung von Bodentruppen ist derzeit offiziell nicht im Gespräch.

In Brüssel hieß es, Voraussetzung für eine Fortsetzung des NATO-Einsatzes sei, dass die künftige libysche Regierung dies wünsche. Der Vorschlag Frankreichs, eine Beobachtermission mit deutscher Beteiligung nach Libyen zu schicken, hat indes wohl wenig Chancen auf Verwirklichung. »In unseren Gesprächen mit dem Übergangsrat wird ganz deutlich, dass die Libyer jede Art eines militärischen Einsatzes durch die UNO oder andere verhindern möchten«, sagte der Libyen-Sondergesandte Ian Martin in New York.

Frankreichs Außenminister Alain Juppé hatte in einem Gespräch mit der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« für eine Beobachtermission geworben. »Man wird Beobachter nach Libyen entsenden müssen. Es braucht eine Wiederaufbautruppe, aber keine Interventionstruppe.« Frankreich »wäre froh darüber», wenn Deutschland sich an einer Beobachtermission beteiligte, betonte Juppé weiter.

Unterdessen gibt es nach dem Ultimatum der Rebellen in der Heimatstadt des langjährigen Staatschefs Muammar al-Gaddafi, Sirte, bislang keine Anzeichen für eine Kapitulation. Die Bevölkerung in der rund 75 000 Einwohner zählenden Küstenstadt sei gespalten, berichtete der Nachrichtensender Al-Dschasira. Eine Hälfte plädiere für Kampf, die andere Hälfte für Kapitulation. Stammesälteste versuchten, die Gaddafi-Truppen wenigstens davon zu überzeugen, dass im Fall eines Kampfes Frauen und Kinder zuvor die Stadt verlassen könnten. Nach Rebellenangaben kamen seit Beginn des Aufstandes gegen Gaddafis Regierung vor sechs Monaten mindestens 50 000 Menschen ums Leben. Unabhängige Schätzungen lagen im Detail nicht vor.

Auch die in der Wüste gelegene Garnisonsstadt Sebha hat bislang das Ultimatum der Rebellen nicht akzeptiert. Die neuen Machthaber fordern, dass die letzten Gaddafi-Getreuen ihre Waffen bis zur Nacht vom Freitag zum Sonnabend (2./3. Sept.) strecken.

Eine Woche nach dem Fall der Hauptstadt Tripolis wollen nach Angaben der Aufständischen immer mehr Mitglieder aus dem inneren Zirkel Gaddafis aufgeben. Zu ihnen soll auch Gaddafis Sohn Al-Saadi gehören. Der für Tripolis zuständige Rebellenkommandeur Abdelhakim Belhadsch sagte Al-Dschasira: »Er hat darum gebeten, Teil der Revolution zu werden. Er bat um Garantien, damit er zu seinen Leuten in die Hauptstadt Tripolis zurückkehren kann. Er deutete an, wo er sich versteckt hält.« Die Rebellen haben nach den Worten von Belhadsch auch »unbestätigte Berichte, wo sich Gaddafi aufhält«. Arabische Medien spekulierten, dass der 69-Jährige in Bani Walid südlich von Tripolis untergetaucht sei. Die Stadt stehe unter dem Schutz der Warfalla, des größten libyschen Stammes, so der arabische Nachrichtensender Al-Arabija. Dagegen behauptete ein ehemaliger Leibwächter von Gaddafis Sohn Chamis, dass sich der Ex-Staatschef in die 770 Kilometer südlich von Tripolis gelegene Garnisonsstadt Sebha abgesetzt habe.

Derweil bleibt die Versorgungslage in der libyschen Hauptstadt kritisch. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon bat in New York die internationale Gemeinschaft um schnelle Hilfe. Nach jüngsten Schätzungen seien 60 Prozent der Einwohner in Tripolis ohne Wasser- und Abwassersysteme. Es sei unklar, wie lange die Reparatur von Pumpen noch dauern werde, sagte Ban Ki Moon.

73 der 193 UNO-Mitgliedsstaaten haben den Übergangsrat als rechtmäßigen Vertreter des libyschen Volkes anerkannt. China gehört nicht dazu. Allerdings will China einen offiziellen Beobachter zur internationalen Libyenkonferenz an diesem Donnerstag in Paris schicken.

** Aus: Neues Deutschland, 1. September 2011


Jamie Sheas Erben

Von Detlef D. Pries ***

NATO-Sprecher Jamie Shea war es, der während des Krieges gegen Jugoslawien den Begriff »Kollateralschaden« verbreitete. Der Tod von Zivilisten durch NATO-Bombardements wurde zur lässlichen Nebensache verharmlost. Angesichts heftiger Kritik riet Shea seinen Kollegen später, künftig offen über das Leid zu sprechen, das der Zivilbevölkerung zugefügt wird – »unabsichtlich«, wie er meinte. Dabei war Absicht in manchem jugoslawischen Fall durchaus zu unterstellen.

Oana Lungescu, Nachfolgerin des smarten Briten in der Brüsseler NATO-Zentrale, hält indes nichts von dessen Rat. Schon zu Beginn des Libyen-Krieges erklärte sie: »Jedes Ziel, das wir angreifen, ist ein militärisches Ziel.« Das ist freilich eine Sache der Interpretation, und dass die NATO ihr Mandat und ihre Ziele in Libyen »äußerst großzügig« auslegt, ist längst bekannt. Nie wird man also erfahren, wie viele der bisher 50 000 Toten, die der Rat der Rebellen bilanziert hat, aufs Konto der Militärallianz gehen. Beschwichtigung, Verharmlosung und Verschleierung bleibt die Aufgabe der NATO-Sprecher.

Ganz groß darin ist Lungescus Kollege Roland Lavoie, der den Journalisten die Interpretationen des Militärkommandos in Neapel vermitteln soll. Vor einer Woche, am 23. August, tönte er lauthals, Muammar al-Gaddafi spiele für die NATO keine Rolle mehr, seine Präsenz im Lande habe »nur noch symbolischen Wert für seine Anhänger«. Sieben Tage später behauptete Lavoie das Gegenteil: Gaddafi habe nach wie vor »die Fähigkeit, eine bestimmte Art von Kommando und Kontrolle auszuüben«. Was heißen soll: Die NATO muss weiter bomben.

*** Aus: Neues Deutschland, 1. September 2011 (Kommentar)


NATO will bleiben

UN-Plan sieht längerfristige Präsenz der Militärallianz in Libyen vor

Von Knut Mellenthin ****


Die libyschen Rebellen haben sich ablehnend zu einem UN-Plan geäußert, internationale Militärbeobachter und Polizisten im Land zu stationieren. Das bestätigte am Dienstag der Sondergesandte des UN-Generalsekretär Ban Ki Moon für Libyen, Ian Martin. Er ließ dabei allerdings durchblicken, daß er diese Entscheidung nicht für endgültig hält. Zwar erwarte man zu diesem Zeitpunkt kein offizielles Ersuchen der Rebellen, bleibe aber bereit, »die umfangreichen Erfahrungen einzubringen, die die UNO in vielen Nach-Konflikt-Situationen erworben hat«.

Zuvor hatte der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrats der Rebellen, Mustafa Abdul Dschalil, erklärt, daß keine Hilfe von außen benötigt würde, um die Sicherheit aufrechtzuerhalten. Andererseits hatte Dschalil die NATO erst am Montag zur Fortsetzung ihrer militärischen Unterstützung aufgerufen. Noch deutlicher äußerte sich der Verteidigungsminister der Rebellenregierung, Dschalal Al-Digheily: »Selbst wenn die Kämpfe beendet sind, werden wir weiter die logistische und militärische Hilfe der NATO benötigen.«

Am Wochenende waren die Vorschläge einer von Ban Ki Moon eingesetzten Arbeitsgruppe für die künftige Rolle der Vereinten Nationen in Libyen durchgesickert. Die Autoren gehen davon aus, daß die UNO die »Übergangsbehörden« dabei unterstützen sollte, »die öffentliche Sicherheit wiederherzustellen«, die »Herrschaft des Rechts durchzusetzen«, »die Staatsautorität auszuweiten«, die öffentlichen Dienste in Gang zu bringen und die Wirtschaft wieder aufzubauen.

Zu diesem Zweck sollen – sofern die libysche Seite förmlich darum bittet und der UN-Sicherheitsrat zustimmt – 200 unbewaffnete Militärbeobachter entsandt werden, um »zur Vertrauensbildung und zur Durchführung vereinbarter militärischer Aufgaben beizutragen«. Dazu gehöre, bestimmte Kräfte im Rebellenlager von Übergriffen gegen ihre Kriegsgefangenen »abzuschrecken«. Außerdem sollen die Militärbeobachter als Kontaktstellen »zu den verschiedenen militärischen Akteuren, einschließlich eventueller internationaler Akteure« dienen.

Zwei Mitgliedstaaten seien bereits angefragt worden, ob sie zur Entsendung von Militärbeobachtern bereit wären. Ihre Antwort stehe noch aus. Nach Presseberichten soll es sich dabei um Jordanien und die Türkei handeln. Ein weiterer Vorschlag in dem Papier betrifft die Entsendung eines von der UNO mandatierten Polizeikontingents von 190 Personen.

Die Verfasser schätzen ein, daß die »Stabilisierung« Libyens nach Ende der Kämpfe »robusteren internationalen Beistand« erfordern könnte. Das wäre dann »eine Aufgabe, die eindeutig über die Kapazität der UNO hinausgeht«. Die kaum mißzuverstehende Empfehlung für diesen Fall: »Das von der NATO umgesetzte Mandat des Sicherheitsrats zum ›Schutz der Zivilisten‹ endet nicht mit dem Sturz der Gaddafi-Regierung, und die NATO wird daher weiterhin gewisse Verantwortungen haben.«

So ähnlich sieht das auch das westliche Bündnis selbst. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag führte der Sprecher für die Militäroperationen gegen Libyen, Oberst Roland Lavoie, aus: »Das Ende unserer Mission hängt nicht von der Ergreifung oder Nichtergreifung Ghaddafis ab. Es hängt davon ab, wie die NATO das Ausmaß der Bedrohung der libyschen Zivilbevölkerung einschätzt.« Und etwas später: Die entscheidende Frage sei, »ob die libyschen Behörden in der Lage sein werden, die Gesamtkontrolle über die Sicherheit ihres Landes zu übernehmen«.

**** Aus: junge Welt, 1. September 2011


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