Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Streit um Waffen für die Rebellen

Frankreich und USA wollen Gaddafi-Gegner ausrüsten / NATO-Generalsekretär dagegen *

Die USA, Frankreich und Großbritannien sind mit erwogenen Waffenlieferungen an die Aufständischen in Libyen auf Widerstand gestoßen. Russland, aber auch mehrere NATO-Mitglieder lehnten Waffenlieferungen ab.

Die Aufständischen in Libyen geraten immer stärker unter Druck. Die Truppen von Staatschef Muammar al-Gaddafi stießen am Mittwoch weiter in Richtung Osten vor. Der Übergangsrat der Rebellen in Bengasi bat deshalb die internationale Gemeinschaft erneut um Waffenlieferungen, was sofort einen neuen Streit in der NATO um den Libyen-Einsatz auslöste.

Die USA zeigen sich offen für eine materielle Unterstützung der Rebellen. Präsident Barack Obama schloss in einem NBC-Interview nicht aus, auch Militärhilfen in Betracht zu ziehen, um ihren Vormarsch zu unterstützen. Obama stellte sich damit hinter seine Außenministerin Hillary Clinton. Diese hatte sich mit ihrem französischen Kollege Alain Juppé bereits auf der Londoner Libyen-Konferenz offen für die Forderungen der Rebellen gezeigt, aber auch betont, dass noch Informationen über die libysche Opposition fehlten.

Im Gegensatz zu den USA lehnt NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen Rüstungsgüter für die Aufständischen strikt ab. Seiner Ansicht nach ist eine Bewaffnung der Rebellen nicht von der UN-Resolution 1973 gedeckt. »Unsere Aufgabe ist es, Menschen zu schützen, nicht, sie zu bewaffnen«, sagte Rasmussen dem britischen Sender Sky News. Auch Italien erklärte sich strikt gegen einen solchen Schritt. »Die Rebellen zu bewaffnen wäre eine kontroverse, eine extreme Maßnahme und würde die internationale Gemeinschaft sicherlich spalten«, erklärte der Sprecher des Außenministeriums in Rom, Maurizio Massari.

Nach Ansicht Großbritanniens lässt die UN-Resolution 1973 nur »sehr begrenzte« Möglichkeiten zu, Waffen an die Gaddafi-Gegner zu liefern. Laut Außenminister William Hague plant London keine Waffenlieferungen nach Libyen. »Andere Länder können das tun, aber wir haben nicht vor, die Rebellen in irgendeiner Form zu bewaffnen und haben dafür im Moment keine Pläne«, sagte Hague am Dienstagabend in BBC.

Mögliche Lieferungen des Westens an die libyschen Rebellen finden auch in Moskau keine Zustimmung. Russland warnte die NATO vor einer »kreativen Auslegung« der UN-Resolution 1973. Moskaus NATO-Botschafter Dmitri Rogosin bezeichnete das Vorgehen der Allianz in Brüssel als »Testfall« für die künftigen Beziehungen. Außenminister Sergej Lawrow sagte in Moskau, es müsse eine demokratische Führung in Tripolis geben. »Aber die Libyer sollten das selbst ohne Einmischung von außen entscheiden.«

Italien bekräftigte seine ablehnende Haltung: »Die Rebellen zu bewaffnen wäre eine kontroverse, eine extreme Maßnahme und würde die internationale Gemeinschaft sicherlich spalten«, erklärte der Sprecher des Außenministeriums in Rom, Maurizio Massari, in einem Radio-Interview.

Die Ausrüstung der libyschen Rebellen mit Waffen ist für die Bundesregierung derzeit kein The- ma. Mit solch »hypothetischen Fragen« beschäftige sich die Regierung nicht, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans am Mittwoch in Berlin. Von der Kritik Obamas an der Passivität einiger Nationen fühle sich die Bundesregierung nicht angesprochen. »Ich glaube, dass hinreichend erkennbar ist, dass Deutschland hinschaut«, sagte Steegmans zum Vorwurf der Ignoranz einiger Staaten.

* Aus: Neues Deutschland, 31. März 2011


Reinfeldt gibt Libyen-Einsatzbefehl

Schweden bietet Jagdflugzeuge an

Von Gregor Putensen **


Auch Schweden beteiligt sich mit Jagdflugzeugen am Militäreinsatz in Libyen. Wie Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt am Dienstag (29. März) in Stockholm mitteilte, hat seine Regierung zustimmend auf eine entsprechende Anfrage der NATO reagiert.

Das Ja des konservativen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt zum Libyen-Einsatz der schwedischen Luftwaffe kam keineswegs überraschend. Im Gegenteil – schon unmittelbar nach dem UN-Sicherheitsratsbeschluss über die Errichtung einer Flugverbotszone über Libyen vernahm man gleichsam ein ungeduldiges Hufescharren kampfeslustiger Schlachtrosse nicht nur aus dem militärfreundlichen Lager der bürgerlichen Parteien, von Industrie und dominierenden Medien. Dieses Mal demonstrieren auch die unter neuer Führung stehenden Sozialdemokraten und die Grünen eine fast rückhaltlose Unterstützung für die Beteiligung Schwedens an der »humanitären« Militärintervention des Westens in Libyens innerstaatlichen Konflikt. Selbst Linksparteiführer Lars Ohly plädierte für ein Eingreifen in den dortigen Bürgerkrieg, was aber sowohl in den Reihen seiner Partei als auch in deren Sympathisantenkreisen Widerspruch provozierte.

Am Dienstag (29.März) trat Reinfeldt schließlich mit der Erklärung vor die Presse, dass »Schweden jetzt in den Kriegseinsatz« ziehe. Das offizielle Ersuchen der NATO um Bereitstellung entsprechender Luftwaffenkapazitäten für den Libyen-Krieg war bereits in informellen, sogenannten Unter-der-Hand-Absprachen vorbereitet worden.

Die Voraussetzungen für den Einsatz sieht Reinfeldt mit Verweis auf den Sicherheitsratsbeschluss gegeben. Außerdem erwarte man am Freitag im Reichstag eine überzeugende Mehrheit für einen entsprechenden Parlamentsbeschluss. Danach soll Schweden acht JAS-Gripen-Kampfflugzeuge, einen Hercules-Transporter und einen Funkmessaufklärer sowie insgesamt 130 Soldaten stellen. Im Unterschied zu NATO-Staaten wie Frankreich, Großbritannien, den USA, Dänemark und Norwegen, die bisher durch Bombardierung von Gaddafi-Truppen aktiv in das Bürgerkriegsgeschehen eingegriffen haben, will sich Schweden auf die Durchsetzung des Flugverbots über Libyen beschränken. Werden schwedische Flugzeuge dabei angegriffen, sollen sie jedoch das Feuer erwidern können.

Für Schwedens Rüstungsindustrie bedeutet die Krise in Libyen eine außerordentlich willkommene Gelegenheit, sich mit ihren Kampfflugzeugen gegen die internationale Konkurrenz zu profilieren. Das Land steht mit seinen JAS-Gripen in Brasilien und Indien im erbitterten Wettbewerb um die Neuausstattung der Luftstreitkräfte dieser Staaten gegen die Angebote Deutschlands (Eurofighter), Frankreichs (Rafale) und der USA (F-18).

Der Libyen-Einsatz bietet nunmehr die Möglichkeit, das bisherige waffenpsychologische Manko der schwedischen Flugzeugproduzenten – der bisher letzte Einsatz ihrer Flugzeuge unter Kriegsbedingungen datiert aus den Jahren 1961-63 in Kongo (Kinshasa) – zu tilgen. Sie könnten ihr Produkt fortan ebenso wie ihre Konkurrenten mit dem Label »combat proved« – »im Kriegseinsatz erprobt«– versehen.

** Aus: Neues Deutschland, 31. März 2011


Neue Gräben

Von Olaf Standke ***

Seit Mittwoch (30. März) hört im Krieg gegen Libyen alles auf das NATO-Kommando. Oder möglicherweise auch nicht. Denn kaum hat der Nordatlantik-Pakt nach langem Hin und Her die Befehlsgewalt für die von einigen arabischen Ländern unterstützten Militäroperationen des Westens über und vor dem nordafrikanischen Land übernommen, tun sich in der Allianz neue Gräben auf. Jetzt streitet man darüber, ob die Aufständischen nicht nur wie bei den heftigen Gefechten zwischen Rebellen und Regierungstruppen um die strategisch wichtige Ölstadt Ras Lanuf massive Luftunterstützung durch Bombardements erhalten sollen, sondern auch direkte Hilfe am Boden durch Waffenlieferungen. Frankreich drängte zuerst darauf, nun können sich das auch die USA vorstellen und lesen die schwammige UN-Resolution ebenfalls mit ihrer ganz speziellen Brille.

Aber nicht jeder in der Allianz will einer solchen Interpretation folgen. Noch sperrt sich auch NATO-Generalsekretär Rasmussen gegen diese ungedeckte Auslegung des Mandats, weiß er doch am besten, wie mühsam es schon war, alle Bündnismitglieder unter den augenblicklichen Kriegshelm zu bekommen. Doch der Druck wächst, befindet sich die nach Einschätzung von US-Militärs chaotisch agierende Anti-Gaddafi-Guerilla doch inzwischen wieder auf dem Rückzug. Und so war aus Paris schon forsch zu hören, wenn die NATO zu »schüchtern« operieren sollte, müsse man eben über unilaterale Aktionen nachdenken.

*** Aus: Neues Deutschland, 31. März 2011 (Kommentar)


Blut für Öl

Westallierte wollen Waffen liefern Von Werner Pirker ****

Die Kriegsallianz versucht nicht einmal mehr, den Eindruck zu erwecken, sich an den von der UN-Resolution 1973 vorgegebenen Rahmen für ein militärisches Eingreifen in Libyen zu halten. Die Verpflichtung zum Schutz der Zivilbevölkerung (Responsability to protect) erweist sich immer offenkundiger als verlogener Vorwand für eine Militärintervention zugunsten der vom Westen favorisierten Seite im libyschen Bürgerkrieg. Zuletzt haben Kampfjets der Westalliierten bei Ras Lanuf in die Kämpfe um die strategisch wichtigen Ölstädte eingegriffen. Damit auch klar wird, wofür das Blut im Kampf um Li­byen vergossen wird.

Aus eigener Kraft bringen die Aufständischen so gut wie gar nichts zustande. Der von den westlichen Medien angestellte böse Vergleich der Gaddafi-Truppen mit Hitlers Volkssturm dürfte auf die »Turnschuh-Rebellen« weit eher zutreffen. Hätte die imperialistische Luftwaffe nicht interveniert, wäre der Bürgerkrieg wohl schon zugunsten der legitimen Staatsmacht entschieden. Doch selbst die Luftüberlegenheit wissen die einheimischen Bodentruppen der Aggressoren nicht zu nutzen. Deshalb stand auf der Libyen-Konferenz in London, an der auch die Quislinge vom libyschen »Nationalrat« teilnahmen, die Belieferung des Anti-Gaddafi-Lagers mit Waffen zur Erörterung an. Die schlichte Tatsache eines über Libyen verhängten Waffenembargos wurde von US-Außenministerin Clinton mit der Bemerkung in Abrede gestellt, daß dieses durch die jüngste UN-Resolution aufgehoben worden sei. Es ist der Fluch dieser Resolution, daß ihrer phantasievollen Auslegung keine Grenzen gesetzt sind.

Das (noch) nicht völkerrechtsverbindliche Schutzverpflichtungs-Prinzip ist dabei, die Staatensouveränität als Kernelement der UN-Charta zu verdrängen. Mit der völkerrechtswidrigen Umdeutung des Völkerrechts aber ist es um dieses geschehen. Das System der internationalen Beziehungen wird zunehmend von der Logik des Interventionismus beherrscht. Begriffe wie regime change (Regimewechsel) oder state building (Staatsbildung), die eigentlich innere Angelegenheiten reflektieren sollten, sind zu Codewörtern ausländischen Eingreifens geworden. Die vorgeblichen Überbringer von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit setzen das formal-demokratische Prinzip, auf dem das Völkerrechtsregime basiert, außer Kraft, ersetzen internationales Recht durch ihre Willkürherrschaft, die Gewaltenteilung durch die Vorherrschaft der imperialistischen Exekutivmacht.

Unter der Präsidentschaft Barack Obamas findet die Politik der Bush-Krieger weitgehend ungebrochen ihre Fortsetzung. Der neue Häuptling des weißen Rassismus in der Welt wollte die US-Hegemonialpolitik freilich effektiver und weniger abenteuerlich als sein Vorgänger gestalten. Der abenteuerlichen Versuchung, in Libyen die Entwicklungsrichtung der arabischen Revolte umzudrehen, konnte aber auch er nicht widerstehen.

**** Aus: junge Welt, 31. März 2011 (Kommentar)


Rückschlag für Libyens Rebellen

Ras Lanuf wieder unter Gaddafis Kontrolle / Bombardements durch belgische Kampfflugzeuge *****

Obwohl NATO-Flugzeuge auch am Mittwoch libysche Bodenziele bombardierten, erlitten die vom Westen unterstützten Rebellen militärische Rückschläge. Russland forderte erstmals den Rücktritt Gaddafis. Dieser ermächtige Nicaragua, für Libyen in der UNO zu sprechen.

Belgische Kampfflugzeuge haben in Libyen mehrere Militäranlagen der Regierung Muammar al-Gaddafis bombardiert. Die vier Flugzeuge vom Typ F-16 setzten laser- und satellitengelenkte Präzisionsmunition ein, wie das belgische Verteidigungsministerium in der Nacht zum Mittwoch mitteilte. Der Einsatz sei ein Erfolg gewesen.

Nähere Informationen zu den Bombenangriffen gab es nicht, Opfer wurden wie stets nicht erwähnt. Belgien unterstützt den Libyen-Einsatz mit insgesamt sechs F-16. Die Kampfjets operieren vom griechischen Stützpunkt Araxos aus. Zudem beteiligt sich das Königreich mit einem Minenjagdboot.

Ungeachtet der Luftunterstützung durch die Kriegsallianz verloren die Milizen der Regierungsgegner in Libyen am Mittwoch an Boden und zogen sich auf Linien östlich der Raffineriestadt Ras Lanuf zurück. Truppen Gaddafis kontrollierten das westlich davon gelegene Bin Dschawwad, berichtete BBC. Die Aufständischen hatten am Dienstag unter heftigem Artilleriefeuer der Gaddafi-Truppen Bin Dschawwad aufgegeben.

Russland forderte am Mittwoch erstmals einen Regierungswechsel in Libyen. »Es ist klar, dass es eine andere, eine demokratische Führung geben muss«, sagte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau nach Angaben der Agentur Interfax. »Aber die Libyer sollten das selbst ohne Einmischung von außen entscheiden.« Lawrow forderte einen Waffenstillstand und die sofortige Aufnahme von Verhandlungen. Russland sei »besorgt« über den Einsatz von Gewalt, sagte der Außenminister. Bei der Abstimmung über eine Flugverbotszone in Libyen hatte sich die Vetomacht im UN-Sicherheitsrat der Stimme enthalten.

Die libysche Regierung hat derweil den Nicaraguaner Miguel d'Escoto zu ihrem Repräsentanten bei den Vereinten Nationen ernannt. D'Escoto, Priester und Vertrauter des nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega, ist derzeit UN-Botschafter des mittelamerikanischen Landes. Libyens Außenminister Mussa Kussa habe den ehemaligen nicaraguanischen Außenminister in einem Brief ermächtigt, in seinem Namen vor den Gremien der Vereinten Nationen zu sprechen. Libyens bisheriger UN-Botschafter Abdurahman Mohammed Shalgam war im Februar zurückgetreten. Nach Angaben Kussas hatten die USA Shalgams Nachfolger Ali Abdussalem Treki das Einreisevisum verweigert. Ortega habe d'Escoto in der vergangenen Woche nach New York geschickt, um für Gaddafi bei den UN einzuschreiten, hieß es am Dienstag in Managua.

Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao übte scharfe Kritik an dem internationalen Militäreinsatz in Libyen. Bei einem Treffen mit Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy sagte Hu, die Geschichte habe gezeigt, dass der Einsatz militärischer Gewalt nicht die Antwort auf Probleme sei, sondern diese noch komplizierter mache. »Wir rufen die betreffenden Parteien zu einer sofortigen Waffenruhe auf«, sagte Hu Jintao. Die Probleme müssten friedlich gelöst werden. China lehne den Einsatz von Gewalt in internationalen Angelegenheiten grundsätzlich ab und unterstütze alle politischen Bemühungen, die zu einer Entspannung führen könnten, sagte Hu im Gespräch mit Sarkozy.

***** Aus: Neues Deutschland, 31. März 2011


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