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NATO-Tricks gegen das Völkerrecht

Wenn das Beispiel Libyen Schule macht

Von Hans Voß *

Man mag zu Gaddafi stehen, wie man will. Man kann der Forderung zustimmen, dass er sich zurückziehen sollte. Das ist legitim. Legitim wäre es auch, derartige Forderungen an die Adresse anderer Despoten zu richten. Die rechtlichen Grenzen werden jedoch überschritten, wenn militärische Gewalt von außen angewendet wird, um einen Regimewandel zu erzwingen.

Beim militärischen Vorgehen der NATO geht es angeblich auch gar nicht um derartig weitreichende Ziele. Eine Flugverbotszone wurde eingerichtet, um die Zivilbevölkerung vor Angriffen aus der Luft zu schützen. Dieses Ziel ist längst erreicht. Dennoch setzen NATO-Flieger ihre Angriffe auf Bodenziele fort. Aus Veröffentlichungen des NATO-Hauptquartiers in Neapel ist ersichtlich, dass sich seit geraumer Zeit Bunker, Munitionsdepots und Panzer im Visier der Bomben und Raketen befinden: Offen hat der französische Verteidigungsminister Longuet zugegeben, dass der Rahmen der Sicherheitsratsresolution 1973 längst überschritten ist. Eine analoge Bestätigung findet man in einem gemeinsamen Artikel der Außenämter Frankreichs, Großbritanniens und der USA. Die NATO leugnet nicht länger, an einem umfassenden Krieg gegen einen verhassten Gegner beteiligt zu sein. Sie agiert de facto als Luftstreitmacht der Rebellen.

Angesichts dieser unbestreitbaren Tatsachen gewinnt das deutsche Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat ein anderes Gewicht. Die Entscheidung für ein (wenn auch beschränktes) militärisches Vorgehen wird in der deutschen Öffentlichkeit von der Diskussion überlagert, es habe sich um eine Entscheidung für oder gegen das Bündnis gehandelt. Verschleiert wird, dass die NATO in ihrer Gesamtheit in ein militärisches Abenteuer mit ungewissem Ausgang hineingezogen werden sollte. Dass Deutschland zögerte, einen solchen Freibrief zu erteilen, ist anerkennenswert. Man könnte es fast als Weitblick bezeichnen. Eine Schieflage in der deutschen Haltung entstand jedoch in dem Maße, wie sich die Bundesrepublik nach der Abstimmung bemühte, ihre Übereinstimmung mit den Verbündeten zu betonen.

Inzwischen ist klar geworden, dass Gaddafi durch NATO-Luftangriffe nicht zu vertreiben ist. Es ist übrigens noch nie gelungen, einen regierenden Herrscher durch Luftangriffe aus dem Amt zu jagen. Nicht umsonst fordern die Aufständischen nun auch Unterstützung durch Bodentruppen – ein paar »Berater« genügen ihnen nicht. Die NATO steht folglich über kurz oder lang vor der Frage, ob sie ihr Ziel durch den Einsatz eigener Bodentruppen doch noch erreichen kann. Nur bietet die Resolution 1973 des Sicherheitsrates dafür keine Rechtsgrundlage.

Trickreich wird im Brüsseler Hauptquartier als Ausweg aus dem Dilemma genannt, dass eine »Anforderung« der UN-Zentrale als Anlass genüge. Man ist sich offenbar der Tatsache bewusst, dass eine neue Resolution des Sicherheitsrats nicht zu haben ist. Die wäre aber erforderlich, da es sich um eine substanzielle Erweiterung des vorgegebenen militärischen Vorgehens handeln würde. Also erfindet man eine nebulöse »Anforderung«, eine Formel, die es in der UN-Charta nicht gibt.

Würde man dieser abenteuerlichen Konstruktion zum Durchbruch verhelfen, würde im Wirken der Vereinten Nationen ein völlig neuer Rechtstitel eingeführt. Rechtsverbindliche Resolutionen des Sicherheitsrats würden im Nachhinein im einseitigen Interesse umgeschrieben. Aber noch ist es nicht so weit.

* Dr. Hans Voß war u. a. DDR-Botschafter bei der KSZE und ist Vorstandsmitglied im Verband für internationale Politik und Völkerrecht.

Aus: Neues Deutschland, 21. April 2011



Militärberater für Libyens Rebellen

Einsatz von NATO-Bodentruppen wird weiter ausgeschlossen **

Nach Großbritannien haben auch Italien und Frankreich die Entsendung von Militärberatern nach Libyen bekannt gegeben. Die Aufständischen in Misrata fordern NATO-Bodentruppen. Eine direkte Antwort steht aus.

Die Verwicklung von NATO-Staaten in den Krieg in Libyen ist eine Stufe weiter: Italiens Verteidigungsminister Ignazio La Russa sagte am Mittwoch (20. April), zehn italienische Militärberater sollten bei der Ausbildung der Aufständischen helfen. Zuvor hatten Frankreich und Großbritannien selbiges verkündet. Laut Frankreichs Regierungssprecher François Baroin sind weniger als zehn Männer als Verbindungsoffiziere nach Libyen entsandt worden. Ziel sei die technische und organisatorische Beratung des oppositionellen Übergangsrates in Bengasi beim Schutz der Zivilbevölkerung, sagte eine Sprecherin des Außenministeriums am Mittwoch (20. April) in Paris. Großbritannien hatte am Dienstag die Entsendung von rund zwanzig Verbindungsoffizieren angekündigt.

Unterdessen hatte Rebellensprecher Nuri Abdullah Abdullati in Misrata am Dienstag erstmals die Entsendung britischer und französischer Soldaten auf der Basis »humanitärer« Prinzipien gefordert. »Wenn sie nicht kommen, werden wir sterben«, sagte der frühere Richter. Die Bitte sei vergangene Woche in Form eines Briefes an den Nationalrat in Bengasi übermittelt worden, da die Rebellen keinen direkten Kontakt zu den Koalitionstruppen haben. Bisher sei jedoch keine Antwort eingetroffen. Frankreichs Regierungssprecher François Baroin schloss am Mittwoch den Einsatz von Bodentruppen noch einmal aus. Die USA erwägen derweil immer noch Waffenlieferungen an libysche Rebellen. Man arbeite weiter an dieser Möglichkeit, sagte Außenamtssprecher Mark Toner in Washington. »Alle Optionen bleiben auf dem Tisch«, fügte er am Dienstag (19. April) hinzu.

Die Hilfsorganisation Oxfam hat die Europäische Union vor einem Militäreinsatz in Libyen zum Schutz humanitärer Hilfseinsätze gewarnt. Eine solche Entscheidung dürfe »nur als letzter Ausweg« gesehen werden, erklärte Oxfam-Sprecher Jamie Balfour-Paul am Mittwoch (20. April) in Brüssel. »Wir sind ganz klar noch nicht an diesem Punkt in Libyen.« Der Sprecher warnte: »Unsere Erfahrung in anderen Krisenländern weltweit zeigt, dass es niemals eine gute Idee ist, die Linien zwischen Militäreinsätzen und humanitärer Hilfe zu verwischen.«

** Aus: Neues Deutschland, 21. April 2011


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