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Libyen-Klage gegen Obama

US-Kongressabgeordnete gehen wegen Kriegseinsatz in Nordafrika vor Gericht

Von Olaf Standke *

Während NATO-Bomber am Donnerstag (16. Juni) erneut eine Residenz Gaddafis in Tripolis angriffen und dessen Sohn Saif al-Islam in einem Interview für Wahlen unter internationaler Aufsicht warb, haben Kongressabgeordnete in den USA Präsident Obama in Sachen Libyen verklagt.

Zehn Kongressabgeordnete der Republikaner wie der Demokraten haben jetzt in einer ungewöhnlichen Koalition Barack Obama verklagt, weil der USA-Präsident eine parlamentarische Genehmigung für den Waffengang gegen Libyen hätte einholen müssen. Sie berufen sich dabei auf den War Powers Act von 1973, wonach das Weiße Haus binnen 60 Tagen vom Kongress ein Plazet für Militäreinsätze braucht – oder die Truppen innerhalb von 90 Tagen abgezogen werden müssen. Wie der Republikaner John Boehner, Mehrheitsführer des Repräsentantenhauses, erklärte, ende diese Frist am Sonntag. Die Luftangriffe gegen das Gaddafi-Regime begannen am 19. März.

»Wir haben die Gerichte angerufen, um das amerikanische Volk vor den Folgen dieser illegalen Politik zu schützen«, betonte der demokratische Abgeordnete Dennis Kucinich. Dazu gehören die Kriegskosten, die in den USA ebenfalls zunehmend Kritik finden. Eine Resolution des Repräsentantenhauses forderte auch hier Aufklärung, zumal vor dem Hintergrund eines riesigen Schuldenbergs. Republikaner und Demokraten verhandeln über die Anhebung der derzeitigen Schuldengrenze von 14,3 Billionen Dollar, ohne die im August die Zahlungsunfähigkeit des Staates drohe.

Das Weiße Haus verteidigt den Kriegseinsatz gegen die Kongress-Kritik. In einem detaillierten Report erklärte die Regierung, Obama habe nicht die Zustimmung des Parlaments einholen müssen; die Militäroperation der USA sei »in Natur, Umfang und Dauer begrenzt«, es gebe keine Bodentruppen, keine »aktiven Schusswechsel mit feindlichen Kräften«. Man unterstütze die Kampfeinsätze der NATO nur. Damit bewege sich der Präsident im Rahmen der Verfassung, so Obama-Sprecher Jay Carney. Boehner sprach dagegen von »kreativen Argumenten« der Regierung, die weitere Fragen aufwerfen würden.

Viele Fakten sprechen für sich: So wurden bisher über 10 000 Luftangriffe geflogen, drei Viertel davon von NATO-Partnern. Sie setzten mit 20 Schiffen auch das Waffenembargo durch. Wie das libysche Staatsfernsehen berichtete, seien jetzt bei Bombardements erneut zwölf Menschen in einem Bus in Kikla getötet worden.

Die USA stellten zur Zeit vor allem rund 70 Prozent der geheimdienstlichen Kapazität und trügen den Großteil der Betankung der Kampfflugzeuge, heißt es im Report. Zudem würden unbemannte US-Drohnen »eine begrenzte Zahl klar definierter Ziele« angreifen. Die bis zum 3. Juni angefallenen Kosten bezifferte das Weiße Haus auf 716 Millionen Dollar. Das ist laut einem internen Pentagon-Papier weit mehr als vorgesehen und bisher bekannt.

Die libysche Führung signalisierte indes ihre Bereitschaft zu Wahlen unter internationaler Aufsicht als Ausweg aus der Gewalt. Sie »könnten innerhalb von drei Monaten« stattfinden, sagte Gaddafi-Sohn Saif al-Islam der italienischen Zeitung »Corriere della Sera«.

In Deutschland bereitet die Bundestagsfraktion der Grünen eine Klage gegen die Bundesregierung vor, weil diese das Parlament bei einem Evakuierungseinsatz der Bundeswehr in Libyen übergangen hatte.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Juni 2011


Gefährliches Muster

Obama beharrt auf Recht, Kriege ohne Zustimmung des Kongresses zu führen

Von Knut Mellenthin **


Zehn demokratische und republikanische Abgeordnete wollen durch eine Klage vor dem Bundesgericht den vollständigen Rückzug der US-Streitkräfte aus dem Krieg gegen Libyen durchsetzen. Die Parlamentarier werfen Barack Obama vor, daß er versäumt habe, die gesetzlich vorgeschriebene Zustimmung beider Häuser des Kongresses einzuholen. Nach dem War Powers Act von 1973 hätte der Präsident dem Abgeordnetenhaus und dem Senat seine militärischen Maßnahmen gegen das nordafrikanische Land innerhalb einer 60-Tage-Frist vorlegen müssen. Diese lief schon am 20. Mai ab. Eine 90-Tage-Frist, die in Ausnahmefällen möglich ist, endet am kommenden Sonntag. Darauf hat der republikanische Sprecher des Abgeordnetenhauses, John A. Boehner, am Dienstag in einem Brief an Obama hingewiesen.

Schon am heutigen Freitag (17. Juni) laufen die 14 Tage aus, die dem Präsidenten vom Abgeordnetenhaus eingeräumt wurden, um umfassend über Verlauf und Kosten dieses Krieges Auskunft zu geben. Außerdem soll Obama nach dem Willen der Parlamentarier darlegen, warum er die gesetzlich vorgeschriebene Befragung des Kongresses nicht für erforderlich gehalten hat. Eine entsprechende Resolution hatte das Abgeordnetenhaus am 3. Juni mit 265 gegen 148 Stimmen verabschiedet.

Die Verfassung der USA sieht vor, daß die Entscheidung, Kriege zu eröffnen oder in Kriege einzutreten, beim Kongreß liegt. Darüber haben sich jedoch immer wieder Präsidenten eigenmächtig hinweggesetzt. Aufgrund der Erfahrung des Vietnamkrieges bekräftigte der Kongreß den Verfassungsgrundsatz 1973 durch den War Powers Act. Der damalige republikanische Präsident Richard Nixon versuchte vergeblich, das Gesetz durch sein Vetorecht zu stoppen.

Die Obama-Administration beharrt jedoch auf ihrer Auffassung, daß der Präsident das Recht habe, die US-Streitkräfte auch künftig unbegrenzt lange am Krieg gegen Libyen teilnehmen zu lassen. In einem am Mittwoch vorgelegten Bericht des Weißen Hauses wird bestritten, daß die militärischen Maßnahmen der USA in und um Libyen den Charakter von »Feindseligkeiten« im Sinne des War Powers Act haben. Zwar hatte die amerikanische Luftwaffe im März zu Beginn des Krieges sogar Kampfflugzeuge eingesetzt, aber seit Anfang April beschränke sich die Beteiligung der USA auf Unterstützung der NATO-Verbündeten hauptsächlich durch Aufklärung und Treibstofflieferungen.

Daß die Vereinigten Staaten über Libyen immer noch bewaffnete Drohnen fliegen lassen, ändert nach Meinung der beiden obersten Rechtsberater des Weißen Hauses, Harold H. Koh und Robert Bauer, nichts an der Lage. Entscheidend sei, daß keine amerikanischen Bodentruppen im Einsatz sind und daß das Risiko, in Feuergefechte mit libyschem Militär verwickelt zu werden, wegen dessen Schwäche minimal sei.

Mit dieser Argumentation schafft Obama nach Ansicht von Jack L. Gold­smith, der unter George W. Bush einer der obersten Juristen im Justizministerium war, einen gefährlichen Präzedenzfall: Nach dieser Theorie könne jeder Präsident Kriege mit Drohnen und allen Arten von Raketen führen, ohne sich um den War Powers Act kümmern zu müssen.

** Aus: junge Welt, 17. Juni 2011


Krieg ist Krieg

Von Olaf Standke ***

Angriff ist die beste Verteidigung, sagte sich USA-Präsident Barack Obama – und fabrizierte eine juristische Volte der besonderen Art. Man kann sie auf den 32 Seiten eines eilig angefertigten Berichts seiner Regierung zur Causa Libyen nachlesen. Mit diesem Report will das Weiße Haus die Vorwürfe des Kongresses mit Blick auf die Rechtmäßigkeit des Militäreinsatzes und die wachsende Kritik in der US-amerikanischen Öffentlichkeit vor allem an den eskalierenden Kriegskosten entschärfen. Zuletzt hatten zehn Abgeordnete, Republikaner wie Demokraten, gar eine gemeinsame Klage gegen Obama angestrengt, weil der Präsident den Befehl zum neuen Waffengang ohne das notwendige parlamentarische Plazet erteilt habe.

Das war auch gar nicht notwendig, so der Kern der Antwort. Denn bei den NATO-Angriffen in Libyen handele es sich ja nicht um Krieg. Die Verfassung wurde nicht verbogen. Punktum. Wie hatte Obama als Wahlkämpfer den Vorgänger im Weißen Haus noch scharf attackiert, weil George W. Bush in seinem verheerenden Anti-Terror-Krieg immer wieder rechtsstaatliche Grenzen und präsidiale Befugnisse überschritten habe. Inzwischen scheint der gelernte Verfassungsrechtler Obama allerdings zum Winkeladvokaten zu mutieren. Sicher kann man auf die konservative Heuchelei verweisen, wenn die Republikaner Libyen jetzt im längst angelaufenen Wahlkampf instrumentalisieren. Doch auch Obama sollte wissen: Ein Krieg ist ein Krieg ist ein Krieg.

*** Aus: Neues Deutschland, 17. Juni 2011 (Kommentar)


Libysche Rebellen verteidigen Festung Europa

Italien schließt Abkommen mit Übergangsrat in Bengasi. Moskau und Peking fordern Ende der Gewalt ****

Italiens Außenminister Franco Frattini hat am Donnerstag (16. Juni) gegenüber dem Fernsehsender RAI Uno für den heutigen Freitag die Unterzeichnung eines »Kooperationsabkommens« mit dem selbsternannten Übergangsrat der libyschen Rebellen in Bengasi angekündigt. Dieses solle den Kampf gegen »illegale Einwanderung« nach Europa und »das Problem der Rückführung« regeln.

Italien, wo immer wieder Boote mit Flüchtlingen aus Afrika eintreffen, hatte mit der libyschen Regierung im Jahr 2009 ein ähnliches Rückführungsabkommen geschlossen. Danach ging die Zahl der ankommenden Flüchtlinge zurück, da diese schon in Nordafrika von den dortigen Behörden aufgehalten wurden. Seit dem NATO-geführten Luftkrieg gegen Libyen, an dem sich auch Italien beteiligt, werden die Flüchtlinge von den Behörden jedoch nicht mehr an der Fahrt über das Mittelmeer gehindert. Frattini sagte nun, die libyschen Rebellen hätten sich dazu verpflichtet, Flüchtlinge zurückzuschicken.

Die Präsidenten Rußlands, Dmitri Medwedew, und Chinas, Hu Jintao, haben unterdessen zu einem Ende der Gewalt in Libyen aufgerufen. Die UN-Resolution, mit der die NATO ihre Luftangriffe begründet, müsse strikt eingehalten und dürfe nicht weiter als erlaubt ausgelegt werden. Beide Mächte hatten sich, ebenso wie Deutschland, bei der Abstimmung über die Libyen-Resolution enthalten, seither das Vorgehen der Militärallianz jedoch wiederholt kritisiert. Mit Blick auf die Lage in Libyen und in Syrien erklärten die beiden Staatschefs, die internationale Gemeinschaft könne durchaus konstruktive Hilfe leisten, aber kein Land dürfe sich in die inneren Angelegenheiten eines Landes in der Region einmischen. Um die schwierige Lage im Nahen Osten und in Nord­afrika in den Griff zu bekommen, seien »legale und politische Mittel« nötig, erklärten Medwedew und Hu weiter. (AFP/jW)

**** Aus: junge Welt, 17. Juni 2011


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