Ausländer können Terror entrinnen
Libyen versinkt im Bürgerkrieg / Gefechte um Tripolis / Gaddafi will Berater bleiben *
Zehntausende Ausländer haben Libyen verlassen. Viele warten noch darauf, in Sicherheit gebracht zu werden. Während Libyens Staatschef Gaddafi in Tripolis um die Macht kämpft, scheint ihm der Osten des Landes mit seinen reichen Ölvorkommen bereits entglitten zu sein. Auch südwestlich der libyschen Hauptstadt toben Kämpfe.
Deutschland und weitere Staaten haben Kriegsschiffe zur Evakuierung von Bürgern aus den umkämpften Regionen Libyens entsandt. Nach Schätzungen des Auswärtigen Amts hielten sich am Donnerstag (24. Feb.) noch rund 160 Deutsche in Libyen auf. Um bei der Rettung zu helfen, wurden drei Schiffe der Bundesmarine mit insgesamt rund 600 Mann an Bord entsandt. Sie befänden sich auf dem Weg in die Bucht Große Syrte vor Libyen, sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums. Auch Griechenland schickte eine Fregatte.
Aktuelle Meldungen: EU will Sanktionen
Die Europäische Union will mit Sanktionen ein Ende der Gewalt in Libyen erzwingen. Die 27 EU-Mitgliedsstaaten einigten sich am 25. Feb. im Grundsatz auf Kontosperrungen und Einreiseverbote für die Herrscherfamilie von Machthaber Muammar el Gaddafi, wie ein EU-Diplomat in Brüssel sagte. Zudem verständigten sich die EU-Länder auf ein Embargo für Waffen und andere Güter, die zur Unterdrückung von Demonstranten eingesetzt werden können.
Hinsichtlich der EU-Sanktionen sei "die politische Weichenstellung erfolgt", hieß es aus Berliner Regierungskreisen. Es werde darauf gesetzt, dass der "formale Beschluss" dann Anfang nächster Woche erfolge. Die Details der Sanktionen werden nun von Experten der EU-Staaten ausgearbeitet. Dann muss ein offizieller einstimmiger Beschluss der 27 EU-Staaten erfolgen.
NATO tagt
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen berief angesichts der dramatischen Lage in Libyen noch für Freitag eine Dringlichkeitssitzung des Nordatlantikrats, des höchsten Entscheidungsgremiums des Bündnisses, ein. Auch der UN-Menschenrechtsrat tagte in einer Sondersitzung zur Lage in Libyen.
Meldungen der Nachrichtenagenturen am 25. Februar 2011
Hunderttausende Ausländer aus aller Welt warteten in Libyen auf ihre Ausreise auf dem See-, Luft- oder Landweg. Die EU forderte ihre Mitgliedsstaaten auf, in der Nähe stationierte Kriegsschiffe bereitzustellen, um die noch rund 6000 in Libyen befindlichen Europäer in Sicherheit zu bringen. Es sollten sämtliche Möglichkeiten geprüft werden, die EU-Bürger aus Libyen zu bringen, sagte Kommissionssprecher Raphael Brigandi.
Vor allem für die asiatischen Länder sind die logistischen Herausforderungen groß. In Libyen sitzen mehr als 150 000 asiatische Arbeiter fest. China charterte für 15 000 seiner mehr als 33 000 in Libyen arbeitenden Bürger vier griechische Fähren und schickte Charter-Flugzeuge nach Tripolis. Die Türkei spielt bei der Rückholaktion eine wichtige Rolle: Ankara erlaubte 21 Staaten, ihre Bürger über die Türkei heimzuholen.
Libysche Truppen, die auf den Befehl von Staatschef Muammar al-Gaddafi hören, sollen am Donnerstag die Stadt Al-Sawija südwestlich der Hauptstadt Tripolis angegriffen haben. Al-Sawija gleiche einem »Schlachthaus«, sagte ein Augenzeuge am Donnerstag dem arabischen Sender Al-Arabija.
Gaddafi selbst meldete sich mit einer weiteren bizarren Rede zu Wort. Der Herrscher, der vom libyschen Fernsehen diesmal nicht gezeigt, sondern nur per Telefon zugeschaltet wurde, erklärte, in Al-Sawija spiele sich derzeit eine »Komödie« ab. »Wenn ihr einander töten wollt, dann tut das«, sagte er an die Adresse der Einwohner der Stadt.
Gaddafi-Sohn Saif al-Islam widersprach Berichten über Angriffe der libyschen Luftwaffe auf Zivilisten. Seit Beginn der Unruhen seien einige wenige Menschen gestorben, sagte er im libyschen Rundfunk. »Aber (...) von Hunderten oder Tausenden zu sprechen und von Luftangriffen, das ist ein Witz selbst vom militärischen Standpunkt aus«, sagte er.
Al-Saadi, ein anderer Gaddafi-Sohn, sagte der »Financial Times« am Donnerstag (24. Feb.) in einem Telefoninterview, 85 Prozent des Landes seien »sehr ruhig und sehr sicher«. Sein Bruder Saif al-Islam arbeite derzeit an einer Verfassung für Libyen. Sein Vater werde künftig als Berater einer neuen Regierung fungieren, sagte Al-Saadi. »Mein Vater wird bleiben als großer Vater, der Ratschläge gibt.«
* Aus: Neues Deutschland, 25. Februar 2011
Unklare Lage in Libyen
Ghaddafi angeblich vom Militär isoliert
Von Karin Leukefeld, Damaskus **
Libyens Staatschef Muammar Al-Ghaddafi zeigte sich am Donnerstag (24. Feb.) weiterhin entschlossen, dem innen- und außenpolitischen Druck nicht nachzugeben. Arabische Medien berichten, daß sich der Küstenstreifen von der ägyptisch-libyschen Grenze bis nach Tobruk und Bengasi bis etwa 120 Kilometer vor Tripolis unter Kontrolle der Opposition befände.
Am Donnerstag (24. Feb.) erhielt der Oberst Unterstützung sowohl von seiner Tochter Aischa als auch von seinem Sohn Saadi Ghaddafi. Aischa Ghaddafi dementierte Berichte, sie habe versucht, mit einem Flugzeug nach Malta zu fliehen, wie der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira zuvor berichtet hatte. Saadi Ghaddafi nannte seinen Vater einen »großen Vater und Berater« für jedes neue Regime, das nach dem »positiven Erdbeben«, das Libyen derzeit erschüttere, regieren werde. 85 Prozent des Landes seien »völlig ruhig und sicher«, sagte er gegenüber der britischen Financial Times. Sein Bruder Saif Al-Islam, der als Nachfolger seines Vaters gilt, arbeite an einer neuen Verfassung, die bald veröffentlicht werde.
Saif Al-Islam lud derweil internationale Medien nach Libyen ein, um sich davon zu überzeugen, daß die Bilder von Toten und Verletzten auf den Straßen und in Krankenhäusern gefälscht seien. Augenzeugen berichteten, daß Sicherheitskräfte in der Nacht zuvor Leichen von den Straßen beseitigt sowie Tote und Verletzte aus Krankenhäusern abtransportiert hätten.
Derweil haben sich weitere Offiziere von Oberst Ghaddafi abgewendet. Zwei Piloten der Luftwaffe, die den Befehl erhalten hatten, Bengasi zu bombardieren, sprangen mit Fallschirmen ab und ließen die Maschine zerschellen. Dem früheren Protokollchef Ghaddafis, Nouri Al-Masmari, ist inzwischen die Flucht nach Frankreich gelungen. In Paris sagte er in einem Fernsehinterview, Ghaddafi sei vom Militär isoliert, er könne sich nicht einmal mehr auf seine eigene Garde verlassen.
Um die noch bis zu 6000 Europäer aus Libyen herauszuholen, schließt die EU einen militärischen Einsatz nicht länger aus. Das sei »eine der Möglichkeiten«, die im Zuge eines Notfallplans erwogen würden, hieß es am Donnerstag beim Europäischen Auswärtigen Dienst. 5000 EU-Bürger wurden demnach bereits in Sicherheit gebracht. Spiegel online berichtete, daß drei deutsche Kriegsschiffe vor die Küste Libyens geschickt werden sollen, um die Evakuierung der Deutschen aus Libyen sicherzustellen.
** Aus: junge Welt, 25. Februar 2011
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