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Freiwild in Libyen

Verprügelt, gefoltert, beraubt – Milizen machen Jagd auf Schwarzafrikaner

Von Mel Frykberg, Tripolis (IPS) *

Farrah Hamary sieht verzweifelt aus, in der feuchten Hitze in Tripolis tropft ihm der Schweiß vom Gesicht. Der Libyer hat Angst, seinen richtigen Namen zu nennen und will sich auch nicht fotografieren lassen. Sein Rücken ist mit Narben bedeckt, auf seinen Armen sieht man Brandmale durch ausgedrückte Zigaretten. Die Knochen seiner linken Hand sind nicht mehr richtig zusammengewachsen, nachdem sie ihm von Milizionären gebrochen wurde.

Der 39jährige stammt aus der sudanesischen Konfliktregion Kordofan. Nach Libyen kam er bereits vor etlichen Jahren und lebt seitdem vom Verkauf von Obst und Gemüse auf dem Suq-Al-Ahad-Markt in dem Viertel Kasr Ben Gashir in Tripolis. Den Großteil seiner mageren Einkünfte schickt er in den Sudan, wo seine Frau und sein Kind leben.

Hamary lebt seit den Angriffen in ständiger Angst. Er fiel der Fatih-Miliz in die Hände, die die Einwohner seines Viertels einschüchtert und erpreßt. Die Kämpfer tragen tagsüber Militäruniformen und nachts Zivilkleidung. Sie stehlen und verlangen Schutzgeld. Ihre Opfer sind vorwiegend Schwarzafrikaner. Der Sudanese Hamary fiel der Miliz auf, als ein Freund von ihm im Juli in der Nähe von Kasr Ben Gashir einen Autounfall hatte und er ihm zu Hilfe eilte. Kurz darauf kamen die Kämpfer herbei und verschleppten Hamary in ihr Hauptquartier, wo sie ihn zwei Tage lang folterten.

»Ich wurde kopfüber aufgehängt und erhielt Schläge auf die Fußsohlen. Sie schlugen mich außerdem mehrmals mit einer Eisenstange auf den Rücken und die Arme, bis ich zu bluten anfing. Außerdem wurde ich mit einem Stuhl traktiert, und auf meinen Armen wurden Zigaretten ausgedrückt«, berichtet er über sein Martyrium. »Meine Hand wurde dabei gebrochen und ist noch immer nicht in Ordnung.«

Die Miliz stahl sein Auto und konfiszierte seinen Paß, für dessen Rückgabe sie von ihm 5000 libysche Dinar (umgerechnet rund 3000 Euro) forderte. Als Hamary wieder frei kam, meldete er den Vorfall der sudanesischen Botschaft in Tripolis, die ihm ein Schreiben für die Polizei mitgab. Auch sudanesischen Diplomaten wurden bei bewaffneten Überfällen mehrere Fahrzeuge geraubt.

»Die Polizei war an meiner Geschichte nicht sonderlich interessiert, sondern sagte mir, ich solle gehen«, erklärt Hamary. »Sie hat Angst vor den Milizen, die schon die Polizeiwache angegriffen und Waffen gestohlen haben. In diesem Land fehlt es an Recht und Ordnung.«

»Die Lage im Land hat sich noch nicht stabilisiert, und es gibt keine Zentralgewalt, die das gesamte Territorium regieren kann«, stellten die Internationale Liga für Menschenrechte (FIDH) und die Organisation »Migreurop« in einem im Juni veröffentlichten gemeinsamen Bericht fest, nachdem sie zahlreiche Lager von Migranten in Libyen besucht hatten. »Bewaffnete Milizen und Einzelpersonen entscheiden inzwischen, wie Migranten behandelt werden – jenseits jeder Rechtsordnung. Die Milizen kontrollieren Einwanderer, nehmen sie fest und halten sie in improvisierten Lagern gefangen. Unter dem Vorwand von Sicherheitsgefahren rechtfertigen sie ihre ›Reinigungsaktionen gegen Illegale‹. Schwarzafrikaner sind ihr erstes Ziel.«

* Aus: junge Welt, Montag, 08. Oktober 2012


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