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Stoppt den Libyen-Krieg

Rußland und China kritisieren US-geführte Angriffe scharf. UN-Sicherheitsrat kommt zu Sondersitzung zusammen. EU steht geschlossen hinter Bombardement

Von Rüdiger Göbel *

Die USA, Großbritannien und Frankreich haben am Montag ihre Angriffe auf Libyen fortgesetzt. Angaben der NATO-Staaten zufolge wurden libysche Flugzeuge zerstört und ein Vormarsch libyscher Truppen auf die Rebellenhochburg Bengasi gestoppt. Eines der Bombenziele war auch die Residenz von Revolutionsführer Muammar Al-Ghaddafi in der Hauptstadt Tripolis. Bei dem Liquidierungsversuch wurde ein dreistöckiges Gebäude komplett zerstört. Angaben über Tote und Verletzte wurden nicht gemacht. Die USA sprachen davon, eine Kommandozentrale ausgeschaltet zu haben, die libysche Führung nannte den Angriff einen »barbarischen Akt«. Unweit des attackierten Ziels sollen sich 300 Menschen aufgehalten haben. Über den Verbleib von Staatschef Ghaddafi wurden nichts bekannt.

Die unter der Fahne des 1969 gestürzten Königs Idris kämpfenden Aufständischen in Libyen nutzen die Angriffe für eigene Geländegewinne. AFP zufolge versuchten sie am Montag unter anderem, die Stadt Aschabija einzunehmen. US-Vizeadmiral William E. Gortney sicherte weiteren Beistand zu. Wenn die Regierungstruppen »gegen Aufständische vorrücken, ja, dann nehmen wir sie unter Feuer«, zitierte die Agentur dapd den Militär.

Das massive militärische Bombardement stieß am Montag international auf Kritik. In der ägyptischen Hauptstadt Kairo attackierten Demonstranten den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, ob seiner Unterstützung der Angriffe auf das Nachbarland. In Athen folgten am Sonntag abend Tausende Griechen einem Aufruf der kommunistischen Partei KKE und demonstrierten vor der US-Botschaft gegen die Luftangriffe auf Libyen. US-Präsident Barack Obama ist während seiner Lateinamerika-Reise ebenfalls mit Protesten konfrontiert.

Kritik am Krieg gab es aus dem Iran, aus Bulgarien und Belarus sowie mehreren lateinamerikanischen Staaten. Auch China und Rußland, von denen die Kriegsermächtigung durch die UNO in der vergangenen Woche nicht mitgetragen, aber auch nicht verhindert worden war, gingen auf Distanz. Die Parteizeitung der chinesischen Kommunisten kritisierte am Montag das westliche Vorgehen in Libyen harsch und verglich es mit den US-geführten Invasionen im Irak und in Afghanistan. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten verletzten internationales Recht. Der russische Regierungschef Wladimir Putin schließlich bezeichnete die Libyen-Resolution des UN-Sicherheitsrats als »mittelalterlichen Aufruf zur Führung eines Kreuzzugs«. Laut AFP sollte der Weltsicherheitsrat noch am Montag zu Beratungen über die militärischen Angriffe auf Libyen zusammenkommen – hinter verschlossenen Türen.

Die Europäische Union unterstützt hingegen geschlossen den Krieg gegen Libyen. Die Mitgliedsstaaten seien »entschlossen zu einem gemeinsamen und resoluten Handeln«, damit die UN-Resolution und die Entscheidungen des Pariser Libyen-Gipfels »vollständig umgesetzt werden können«, heißte es in der Abschlußerklärung eines EU-Außenministerstreffens am Montag in Brüssel. Außerdem verhängte die EU weitere Sanktionen gegen Libyen. Noch in dieser Woche soll die NATO offiziell das Kommando übernehmen. Bislang wird dies von der Türkei blockiert. Die Bundesregierung bereitet im Windschatten des neuen Krieges eine Ausweitung des Einsatzes in Afghanistan vor. Ein Mandat zum AWACS-Einsatz soll bereits am Mittwoch im Kabinett beschlossen und noch in dieser Woche im Bundestag beraten werden.

* Aus: junge Welt, 22. März 2011


Vorlauter Redner des Tages: Wladimir Putin **

Im Weltsicherheitsrat enthielt sich Rußland bei der Libyen-Resolu­tion der Stimme, am Montag regte sich der russische Ministerpräsident Wladimir Putin auf, daß westliche Mächte unter Berufung auf das Papier einer Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Menschenrechte und Demokratie per Bomben vom Himmel herabregnen lassen. Laut Putin ist die Resolution »nicht vollwertig und zudem schädlich«, sie erinnere »an einen mittelalterlichen Aufruf zu einem Kreuzzug. Faktisch erlaubt sie eine Invasion in ein souveränes Land.« Die Regierung Rußlands, so Putin, beschäftige sich nicht mit außenpolitischen Aktivitäten: »Wir sind für sozialökonomische Fragen zuständig. Eine persönliche Meinung ist aber vorhanden.« Das Regime Muammar Al-Ghaddafis entspreche zwar »in keinem einzigen Parameter« den Kriterien der Demokratie, dies gebe aber anderen Ländern kein Recht, sich in die inneren Konflikte einzumischen und »eine der Seiten in Schutz zu nehmen«. Putin betonte, die US-Politik der Einmischung in Konflikte in anderen Ländern werde zu einer stabilen Tendenz. Dies sei »gewissenlos und unlogisch«.

Zur gleichen Zeit, da Putin vor Arbeitern einer Raketenfabrik in Wodkinsk sprach, hielt US-Kriegsminister Robert Gates an der Marineakademie in St. Petersburg eine Rede, in der er dazu aufforderte, »Formen zu überlegen, in denen die russischen Militärs im Rahmen internationaler Koalitionen handeln könnten«. Für heute ist ein Treffen von Gates mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew geplant, der es für angebracht hielt, Putins Bemerkungen sofort als »unangebracht« abzukanzeln.

Putin kündigte in Wodkinsk an, Rußland werde für die Raketenfertigung bis 2020 insgesamt umgerechnet 1,9 Milliarden Euro ausgeben. Außenminister Sergej Lawrow verurteilte am selben Tag in Kairo die Intervention, NATO-Botschafter Dmitri Rogosin warf dem Westen Täuschungsmanöver vor. (asc)

** Aus: junge Welt, 22. März 2011


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