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Aggressive Rhetorik

Russischer Botschafter bei der NATO verurteilt westliche Interventionspläne in Libyen, hält einen Angriff des Bündnisses aber für unwahrscheinlich

Von Rainer Rupp *

Die libyschen Regierungstruppen gewinnen jüngsten Meldungen zufolge immer weiter an Boden. Zugleich wurden im UN-Sicherheitsrat in New York und beim Treffen der G-8-Außenminister in Paris die Differenzen über das weitere Verhalten gegenüber der libyschen Regierung erneut deutlich. Während Frankreich und Großbritannien weiter auf eine Flugverbotszone drängen hat sich zur gleichen Zeit auch der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kategorisch gegen eine Intervention der NATO in Libyen ausgesprochen. Derweil hat Oberst Ghaddafi den durch die militärischen Rückschläge zunehmend desorientiert Rebellen, eine Amnesty angeboten, wenn sie ihre Waffen niederlegen.

Gleichzeitig lockt Ghaddafi östliche Mächte mit Libyens Ölreichtum. Am vergangenen Sonntag hatte er sich laut der staatlichen Nachrichtenagentur Jana in Tripolis mit den Botschaftern Chinas, Rußlands und Indiens getroffen. Dabei habe er deren Ländern vorgeschlagen, bei der Förderung der Energiereserven Libyens mit eigenen Unternehmen den Platz der westlichen Ölkonzerne einzunehmen, die nach Ausbruch der Unruhen Libyen fluchtartig verlassen hatten.

Der russische Botschafter bei der NATO, Dmitri Rogosin, verurteilte in einem Interview des russischen Nachrichtensenders »Russia Today« (RT) westliche Medien und Regierungen, weil sie auf der Basis von Gerüchten eine humanitäre Intervention vorbereiten würden, um sich der Ölreserven des Landes zu bemächtigen.

»Wenn in Libyen nur Bananen wachsen würden, dann gäbe es im Westen kein so großes humanitäres Interesse an den Vorgängen in dem Land.« Fragen der Energieversorgung stünden aber ganz oben auf der Prioritätenliste der NATO-Länder. In der Hoffnung, so den Konflikt in Libyen schnell beenden zu können und eine Unterbrechung der Energieversorgung zu verhindern, habe sich der Westen vorschnell auf die Seite der Rebellen geschlagen. Außerdem hätten einige westlichen Ölkonzerne mit dem Ghaddafi-Regime noch eine Rechnung offen. Auch deren Drängen habe sicherlich zu den überhasteten Interventionsplänen westlicher Regierungen beigetragen.

Die Frage, ob er sich eine Situation vorstellen könne, bei der Rußland einer Flugverbotszone zustimmen würde, beantworte Rogosin positiv, aber nur, wenn eindeutig bewiesen würde, daß Kampfflugzeuge oder schweres militärisches Gerät gegen unbewaffnete (!) und friedliche Zivilisten eingesetzt würden.

»Tatsache ist aber, daß wie keine Fakten haben«, so der Botschafter. »Wir haben lediglich Berichte von BBC, CNN und anderen Medien, die einen Schützen zeigen, der sein Maschinengewehr in die Luft feuert. Aber zugleich haben wir noch kein einziges Flugzeug gesehen, das angreift. Statt dessen sehen wir Leute, die dem Schützen applaudieren, weil er so cool aussieht. Wenn tatsächlich ein Luftangriff stattfinden würde, dann würden sie anderes tun als zu applaudieren. Was die britischen und amerikanischen TV-Kanäle uns zeigen ist ein Schwindel. Sie schaffen die Illusion von Luftangriffen. Aber wo sind die Flugzeuge, die Bomben, die fallen? Wo sind die Verwüstungen und die Opfer von denen wir so viel hören? Wenn das alles wahr wäre, dann müßten die Beweise längst auf dem Tisch des UN-Sicherheitsrats liegen«.

Auf die Frage, ob eine unilaterale Invasion Libyens »ein Kriegsverbrechen darstellen« würde, antworte Rogosin mit einem klaren »Natürlich!« Egal, ob dies von der NATO insgesamt oder nur von einigen Mitgliedern gemacht würde, »eine vom Sicherheitsrat nicht autorisierte Intervention ist illegal«.

Derzeit liefen im Westen »zwei Prozesse« ab, fuhr Rogosin fort. Auf der politischen Ebene werde »aggressive Rhetorik« eingesetzt, kombiniert mit Beratungen zwischen den westlichen Staaten im UN-Sicherheitsrat, um Ghaddafi zu beeindrucken, während man bemüht sei, Ansprechpartner in der libyschen Opposition zu identifizieren«. Zugleich habe die NATO mit der »militärische Planung für unterschiedliche Optionen« begonnen. Um eine bessere Vorstellung über die Qualität und Stärke der libyschen Streitkräfte zu bekommen, insbesondere der Luftabwehr, führe die NATO derzeit umfangreiche Aufklärungsmissionen mit AWACS aus der Luft, Satelliten aus dem All und mit Schiffen vom Meer durch. Dennoch schätzt Rogosin die Bereitschaft der NATO, militärisch zu intervenieren als »so gut wie Null« ein.

* Aus: junge Welt, 16. März 2011

Lesen Sie das ganze Interview:

Western countries advocating intervention as pretext for oil grab - Russian envoy / Der Westen befürwortet eine Intervention als Vorwand für den Griff nach Libyens Öl
Russia's Envoy to NATO, Dmitry Rogozin expresses concern over NATO’s plans for military intervention in Libya / Russlands Gesandter bei der NATO äußert große Besorgnis über NATO-Pläne (Interview)




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