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Über Libyen fliegt nur noch die NATO

Die Flugverbotszone ist erzwungen, doch der Westen will jetzt Gaddafis Sturz

Von Roland Etzel *

Das Militärbündnis hat seine Angriffe auf die libysche Armee weiter ins Landesinnere ausgedehnt. Am Donnerstag wurde neben Tripolis auch Sabha weit im Südwesten attackiert. Frankreich erklärte die Flugverbotszone für hergestellt.

Französische Kampfjets vom Typ Rafale und Mirage haben am Donnerstag erneut libysche Militärstellungen »250 Kilometer südlich der Küste« mit Lenkwaffen bombardiert. Nach Angaben der Streitkräfte in Paris waren in der Nacht zuvor insgesamt zehn französische Flugzeuge im Einsatz. Die internationale Militärallianz dehnte ihre Luftangriffe am selben Tag auf den bisher verschonten Süden des Landes aus. Nach Angaben aus libyschen Sicherheitskreisen bombardierte die Allianz unter anderem Ziele in der Stadt Sabha, rund 1000 Kilometer südlich von Tripolis gelegen.

Am Vortage hatten britische Militärs bereits erklärt: Nach tagelangen massiven Bomben- und Raketenangriffen der internationalen Allianz ist Libyens Luftwaffe kampfunfähig. Dies – die Einrichtung einer Flugverbotszone für libysche Maschinen – war vor Beginn der Internationalisierung der Libyen-Krise im Westen als Ziel genannt worden. Die regulären Streitkräfte Libyens sollten daran gehindert werden, beim Vorgehen gegen die Anti-Gaddafi-Einheiten in den nordöstlichen Küstenstädten die Luftwaffe einzusetzen, was zum Beispiel in der Großstadt und Rebellenhochburg Bengasi zu einer erheblichen Bedrohung der Zivilbevölkerung hätte führen können. Nun aber, so betonte der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet am Donnerstag, sei die Flugverbotszone über Libyen umgesetzt Die Flugzeuge der Alliierten könnten nahezu ungestört im Luftraum über Libyen operieren und die Flugverbotszone überwachen. Da aus Libyen nichts Gegenteiliges verlautete, ist die Zone damit offenbar hergestellt.

Der Luftkrieg geht aber genauso offensichtlich nicht nur weiter, sondern wird auf weitere Gebiete ausgedehnt. Die französischen und anderen Bomber verstoßen damit nicht gegen Buchstaben des Mandats; allerdings gegen dessen ursprünglich verkündete Zielstellung. In New York ließen sich die kriegführenden Mächte vor einer Woche vom UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 1973 ein Mandat ausstellen, das es ihnen erlaubt, auch am Boden libysche Artillerie und Panzer, selbst Infanterieeinheiten ohne schwere Waffen anzugreifen. Die Resolution ist »weich« genug formuliert, um das zuzulassen. China und Russland fordern – jetzt – eine Präzisierung. Dazu bedarf es aber einer neuen Abstimmung des Sicherheitsrates. Dort dürfte ein Ja schwer zu erreichen sein. Paris und Washington diskutieren längst öffentlich über das eigentliche Ziel des Luftkriegs – den Sturz Muammar al-Gaddafis. Dies wäre keineswegs von der Resolution 1973 gedeckt und damit ein Verstoß gegen das Völkerrecht – unabhängig davon, was immer an Vorwürfen gegen Gaddafi vorgebracht wird.

In der NATO wollen da jedoch nicht alle mitmachen, vor allem nicht unter der selbsternannten Führungsmacht Frankreich. Die Türkei zum Beispiel fordert, dass die Mitglieder der westlichen Koalition zunächst sämtliche Militäraktivitäten gegen Libyen einstellen. Wenn dann die NATO die Leitung der Operation übernehme, so müsse sie sich auf die Einhaltung des Flugverbots beschränken.

* Aus: Neues Deutschland, 25. März 2011


Zur Person: General Carter F. Ham **

Obwohl die Bundesregierung der Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat und damit einem Kriegseinsatz die Zustimmung verweigert hat, wurden die andauernden Luftangriffe von Kampfjets und Marschflugkörpern bisher vom Südwesten Deutschlands aus koordiniert. In Möhringen bei Stuttgart hat das Afrika-Kommando der US-Streitkräfte (AFRICOM) sein Hauptquartier. Das jüngste der insgesamt sechs Regionalkommandos des Pentagon ist für die Beziehungen der US-Armee mit 53 afrikanischen Staaten zuständig und steuert, abgesehen von Ägypten, alle militärischen Aktivitäten der Supermacht auf dem schwarzen Kontinent. Oberkommandierender dort ist seit nicht einmal vier Wochen General Carter F. Ham – zuvor Befehlshaber aller US-Soldaten in Europa und einer der »untypischsten Generäle«, die es derzeit in der Army gebe, wie es im Radiosender NPR hieß.

Der 59-Jährige aus Cleveland im Bundesstaat Ohio sei immer ein bodenständiger Kerl geblieben und beliebt bei der Truppe. Er war in den 70er Jahren Gefreiter bei den Fallschirmjägern, ging dann zur Universität, absolvierte die Militärakademie mit Auszeichnung und stieg anschließend bis zum Vier-Sterne-General auf. Wiederholt war er auch in Deutschland stationiert. Ham beriet die saudi-arabischen Streitkräfte, kommandierte Truppen im nordirakischen Mossul und gab zu, nach diesem Einsatz psychologische Hilfe in Anspruch genommen zu haben. Auch das untypisch für die US-Armee.

In seiner Laufbahn hat Ham bei den Vereinten Generalstäben in Washington auch schon einmal die weltweiten Militäroperationen der USA beaufsichtigt. AFRICOM koordiniert jetzt erstmals seit seiner Gründung im Jahr 2008 einen Kriegseinsatz – natürlich nur, um Zivilisten zu schützen. »Wir haben keinen Militäreinsatz, die Opposition zu unterstützen«, sagt der General, der auch ankündigte, dass die USA schon bald das Libyen-Kommando abgeben würden.

Olaf Standke

** Aus: Neues Deutschland, 25. März 2011

Hoher Preis für Bomben auf Libyen: Militäreinsatz kostet Millionen Dollar

  • Das von den USA, Frankreich und Großbritannien angeführte Bündnis bombardierte am Donnerstag unter anderem einen Armeestützpunkt bei Tadschura etwa 30 Kilometer östlich von Tripolis. Wie die libysche Nachrichtenagentur JANA meldete, wurden dabei ein Wohnviertel getroffen und »eine beträchtliche Zahl« Zivilisten getötet. Frankreichs Außenminister Alain Juppé widersprach dem.
  • Aus Sabha hieß es, die Luftangriffe hätten mitunter eine Stunde lang angehalten. Die Wüstenstadt rund 750 Kilometer südlich von Tripolis gilt als Hochburg von Staatschef Muammar al-Gaddafi.
  • Die Streitkräfte Gaddafis setzten ihre Attacken auf Misratah fort. In der Nacht zu Donnerstag waren erneut Panzer in die drittgrößte Stadt des Landes eingerückt.
  • Die Kosten der Libyen-Militäraktion sind hoch. Nach manchen Expertenschätzungen kostet die Einrichtung einer begrenzten Flugverbotszone wie die in Libyen über stärker besiedelten Gebieten zwischen 30 und 100 Millionen Dollar pro Woche, konkrete Zahlen gibt es allerdings bisher nicht.
  • Eine Kommandostruktur für einen möglichen Einsatz der NATO in Libyen nimmt offenbar langsam Konturen an. Die Kommandos für die täglichen Einsätze sollten sich auf dem NATO-Stützpunkt in Neapel und auf dem Stützpunkt im norditalienischen Poggio Renatico befinden, hieß es in Brüssel. Der Gesamteinsatz solle im militärischen NATO-Hauptquartier Mons (Belgien) überwacht werden.
  • Das türkische Parlament hat einen Einsatz der Marine zur Kontrolle des Waffenembargos gegen Libyen genehmigt. Die Abgeordneten hätten dem in einer nicht öffentlichen Sitzung mehrheitlich zugestimmt, hieß es. Damit kann sich die Türkei mit fünf Marineschiffen und einem U-Boot an der Durchsetzung des Embargos beteiligen.
  • »Bürgerkriegsflüchtlinge, wie wir sie eventuell aus Libyen zu erwarten haben, sind Flüchtlinge, die unserer Solidarität bedürfen«, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag.
Agenturen/ND




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