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CIA ohne Augen

Rückzug des US-Geheimdienstes aus Bengasi "katastrophaler Verlust"

Von Rainer Rupp *

Wegen seiner Berichterstattung über Libyen hat das US-Außenministerium CNN scharf kritisiert. Das berichtet die Washington Post am Montag. Der Nachrichtensender hatte sich in einem Beitrag auf die Tagebucheinträge des am 11. September bei einem Anschlag in Bengasi ermordeten US-Botschafters Christopher Stevens berufen, und soviel Wahrheit kam nicht gut an in Washington. Das Tagebuch war im zerstörten US-Konsulat von Journalisten gefunden worden war. Stevens war während des Krieges gegen das Regime von Staatschef Muammar al-Ghaddafi Koordinator der US-Waffenhilfe für die Rebellen und mitverantwortlich für die Ermordung des gefangenen Ghaddafi durch einen islamistischen Mob. In seinem Tagebuch hatte Stevens u.a. auf eine gestiegene Präsenz der in Ostlibyen ohnehin bereits reichlich vorhandenen radikalislamistischen Gruppen hingewiesen. Derzeit, schrieb er damals, sei es gefährlich, in Libyen zu bleiben. Letztere Erkenntnis scheint in Washington allerdings erst nach dem Tod des Botschafters angekommen zu sein, was für die dort operierenden US-Geheimdienste nur als empfindliche Schlappe bezeichnet werden kann.

Unter dem Personal der US-amerikanischen Mission, das unmittelbar nach dem Anschlag in Bengasi evakuiert wurde, befanden sich auch »mehr als zwei Dutzend CIA-Agenten und andere Geheimdienstmitarbeiter«. Ihr Abzug – so die New York Times vom Montag – war »ein bedeutender Rückschlag für die CIA-Bemühungen«, die islamistischen Aktivitäten in Ostlibyen aufzuklären und insbesondere eine Reihe von bewaffneten Extremistengruppen zu beobachten. Zugleich werde durch den Rückzug der CIA aus Bengasi die Suche nach den gefährlichen MANPADS stark eingeschränkt. Dabei handelt es sich um moderne schultergestützte Flugabwehrraketen aus dem Arsenal Ghaddafis, die nach dessen Sturz den islamistischen Extremisten in die Hände gefallen sind. Außerdem habe die CIA die Anwerbung und Ausbildung libyscher Agenten in Bengasi einstellen müssen. »Es ist ein katastrophaler Verlust«, zitiert das New Yorker Blatt einen hohen US-Beamten, der in Libyen gedient hat und anonym bleiben wollte, »Uns sind beide Augen ausgestochen worden.«

Washington ist es bisher nicht gelungen, unter den vielen islamistischen Exrebellengruppen, die in Bengasi und den meisten anderen Städten des Landes das Sagen haben, einen Schuldigen für den Angriff auf das US-Konsulat auszumachen. Jetzt versucht es die US-Regierung offensichtlich mit einer Konfrontationsstrategie, den libyschen Konflikt zwischen den extremistischen Milizen einerseits und der US-Marionetten-Regierung in Tripolis und deren schwachen Armee- und Polizeikräften anderseits zu forcieren. Am Montag hat daher das Oberkommando der libyschen Armee allen bewaffneten Gruppierungen und Rebellen befohlen, innerhalb von 48 Stunden die besetzten Staatsgebäude zu verlassen. Zugleich waren in den letzten Tagen in etlichen Städten »Massendemonstrationen« der Bürger gegen die Milizen organisiert worden, offensichtlich, um die Bevölkerung auf die nächste Phase im Bürgerkrieg einzustimmen.

Eine Gruppe bewaffneter Bürgermilitärs sei bereits aus einem Gebäude nahe der Autobahn zum internationalen Flughafen Tripolis verdrängt worden, meldeten die libyschen Behörden am Montag. Allerdings dürfte es unwahrscheinlich sein, daß sich die islamistischen Milizen auch in ihren Hochburgen kampflos von der Macht verdrängen lassen. Indem sie jedoch den offenen Kampf gegen die Regierungstruppen aufnehmen, müssen sie ihre Deckung in der Bevölkerung verlassen, wodurch sie besser mit den Methoden der modernen Aufstandsbekämpfung – bis hin zum Einsatz von Killerdrohnen – vom US-Militär bekämpft werden können. Letzteres wird dabei nicht zögern, seiner libyschen Marionettenarmee »brüderliche« Waffenhilfe zu leisten.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 25. September 2012


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