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Chávez will in Libyen vermitteln

Rebellen lehnen Gespräche mit Ghaddafi ab. Deutsche Botschaft in Tripolis geschlossen

Der libysche Mittelmeerhafen Brega mit den zweitgrößten Öl- und Erdgasanlagen des Landes rückt mehr und mehr in das Zentrum des Kampfes zwischen Rebellen und Truppen von Machthaber Muammar Al-Ghaddafi. Die Rebellen gaben an, in der Stadt rund 100 regierungstreue Soldaten gefangengenommen zu haben. Beobachter interpretierten die militärische Entwicklung, daß Ghaddafis Einheiten nicht stark genug seien, die Rebellen zu vertreiben. Auf der anderen Seite fehle auch den Rebellen die Offensivkraft gegen Ghaddafis Hochburgen im Westen– ein militärisches Patt. Die deutsche Botschaft in Tripolis ist aus Sicherheitsgründen geschlossen worden.

Sprecher der libyschen Opposition haben an die internationale Gemeinschaft appelliert, ihr Luftunterstützung gegen die Regierungstruppen zu geben. Westliche Regierungen – allen voran die USA – haben sich jedoch vorerst zurückhaltend zum Einsatz militärischer Mittel in der Libyen-Krise geäußert.

Ermächtigt vom Weltsicherheitsrat leitete der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag Ermittlungen gegen Ghaddafi und einige seiner Söhne ein. Luis Moreno-Ocampo sagte, es gehe um mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

In Den Haag liefen aber auch fieberhafte Bemühungen, drei am Sonntag von Truppen Ghaddafis gefangengenommene niederländische Soldaten freizubekommen. »Wir tun alles dafür, daß die Besatzung sicher nach Hause zurückkehren kann«, sagte Ministerpräsident Mark Rutte. Die Besatzung eines Hubschraubers sei am Sonntag bei einer Evakuierungsaktion für Arbeiter in Sirte gefangengenommen worden. Die Zahl der Flüchtlinge hat nach UN-Angaben mittlerweile die Marke von 180000 überschritten.

Die Arabische Liga beriet derweil einen Friedensplan des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez für Libyen. Die Rebellen lehnen jedoch Gespräche mit Ghaddafi ab. (dapd/Reuters/jW)

* Aus: junge Welt, 4. März 2011


In der Kriegsfalle

Libyen-Friedensplan abgelehnt

Von Werner Pirker **


Ein vom libyschen Oberst Muammar Al-Ghaddafi und dem Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez, vorgelegter Plan für ein Ende der Gewalt in Libyen ist von den Aufständischen am Donnerstag umgehend abgelehnt worden. Sie haben sich somit für eine Fortsetzung der Gewalt entschieden. Das Nein zu einer friedlichen Lösung im libyschen Bürgerkrieg dürfte ihnen umso leichter gefallen sein, als sie sich der vollen Unterstützung durch die westliche Interventionsgemeinschaft sicher sein können. Zwar ist auch aus den Weltordnungszentren ständig die Forderung nach einer Einstellung der Gewalt in Libyen zu vernehmen, doch die bezieht sich ausschließlich auf Maßnahmen bei der Aufstandsbekämpfung. Die Option einer friedlichen Lösung, wie sie von den Hegemonialmächten angesichts der Volksaufstände in Tunesien und Ägypten stets beschworen wurde, befindet sich im libyschen Fall außerhalb ihres Vorstellungsvermögens.

Es stellt sich somit nur noch die Frage, ob der gewaltsame Sturz des Ghaddafi-Regimes von den Aufständischen aus eigener Kraft vollzogen werden kann, oder ob es dazu einer imperialistischen Militärintervention bedarf. Kommt letzteres Szenario zum Zug, würde das den Charakter der gegenwärtigen Auseinandersetzung schlagartig verändern. Noch handelt es sich um einen nationalen Aufstand mit dem Ziel eines – auch von Washington und Brüssel angestrebten – »Regime change«. Bei einem westlichen Eingreifen aber geriete die Herrschaft Ghaddafis umgehend in die Rolle eines nationalen Widerstandszentrums, dem sich auch Teile des Anti-Ghaddafi-Lagers anschließen könnten. Deshalb schrecken die ohnedies schon in zwei glücklosen Militärinterventionen verstrickten USA vor einem weiteren Kriegsabenteuer vorerst noch zurück. Außerdem würde die von den arabischen Massen in den Aufständen gegen ihre diktatorischen Regime an den Tag gelegte Zurückhaltung gegenüber den imperialistischen Förderern der einheimischen Reaktion, inklusive einer gewissen Bewunderung für das westliche Demokratiemodell, in eine neue Welle des Antiimperialismus umschlagen.

Zunehmend Sorgen bereitet der US-Diplomatie auch, daß Libyen zu einem gescheiterten Staat, zu einem, wie Außenministerin Clinton meinte, »gigantischen Somalia« werden könnte. Mit Schrecken werden die Antiterrorkrieger gewahr, daß der von ihnen unterstützte Aufstand einen Toten, das von Ghaddafi in Libyen weitgehend ausgeschaltete Al-Qaida-Netzwerk, zu neuem Leben erweckt hat. Es gäbe für den Westen genügend Gründe, den Ghaddafi/Chávez-Friedensplan nicht ungelesen zu verwerfen. Doch der von den USA und der EU an den Tag gelegte Aktionismus, die Einstimmung der »internationalen Gemeinschaft« auf eine diplomatische Totalblockade Libyens samt der Instrumentalisierung der internationalen Strafgerichtsbarkeit zur imperialistischen Lynchjustiz machen einen vernünftigen Ausweg aus der libyschen Krise nahezu unmöglich.

* Aus: junge Welt, 4. März 2011 (Kommentar)


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