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NATO braucht rasch Bombenerfolge

Schwere Angriffe auf Tripolis / Kampfhubschrauber unterwegs / Eskalation auch am Boden?

Von René Heilig *

Kampfflugzeuge nicht näher bezeichneter NATO-Staaten haben in der Nacht zum Dienstag die – nach Ansicht von Korrespondenten – bisher schwersten Angriffe auf die libysche Hauptstadt geflogen. Angesichts ausbleibender militärischer und damit politischer Erfolge läuft den Angreifern die Zeit davon und die Kosten übersteigen alle Planungen.

Mindestens drei Menschen seien in Tripolis getötet, 150 verletzt worden, sagte ein libyscher Regierungssprecher am Dienstag (24. Mai). Der Chef der NATO-Operation »Unified Protector«, Kanadas Generalleutnant Charles Bouchard, bestätigte, man habe ein Fahrzeugdepot von Gaddafis Volksgarde am Bab-al-Asisija-Lager attackiert. Auch von dort sei die Gewalt des Regimes gegen Aufständische ausgegangen.

Man könne nicht zulassen, dass die Proteste gegen Gaddafi mit Waffengewalt zerschlagen werden. Deshalb wird der Einsatz gemeinsam mit den Alliierten fortgesetzt, bis Resolutionen der UNO erfüllt sind, betonten US-Präsident Barack Obama und der britische Premierminister David Cameron in einem Gastbeitrag für die britische Zeitung »The Times«.

Zusätzliche militärische Unterstützung würde helfen, den Druck auf das Regime Gaddafis zu erhöhen, ergänzte US-Außenministerin Hillary Clinton nach einem Treffen mit dem britischen Kollegen William Hague. Sie rief weitere NATO-Staaten auf, sich an der Operation gegen Libyen zu beteiligen

Bislang wird rund ein Viertel aller NATO-Einsätze von den USA geflogen, die auch den größten Teil der Geheimdienst-, Überwachungs- und Aufklärungskapazitäten stellen. Großbritannien absolvierte bisher ebenfalls rund 25 Prozent der seit dem 31. März geflogenen 8019 Einsätze. Bis Anfang des Monats hatte Frankreich 1200 und Italien 600 Flüge gegen Libyen zu verantworten. 13 der 28 NATO-Mitglieder stellen Material für den Libyen-Krieg zur Verfügung, an dem sich – inklusive weiterer Alliierter – rund 13 000 Soldaten mit über 300 Flugzeugen und 21 Schiffen beteiligen.

Zur NATO-Armada gehören zwei Kommandoschiffe aus Großbritannien und Frankreich. Während der britische Träger »Ocean« »Apache«-Kampfhubschrauber an Bord hat, bringt die »Tonnerre«, die am 17. Mai von Toulon ausgelaufen ist, unter anderem zwölf »Tiger«-Helikopter ins Kriegsgebiet. Die Hubschrauber können Bodenziele präziser als Jagdbomber angreifen – allerdings bei wachsendem eigenen Risiko.

Dass dieser eskalierende Einsatz mehr britische und französische Bodentruppen erfordert, gilt unter Militärexperten als ausgemacht. Die UN-Resolution 1973 verbietet lediglich »Besatzungstruppen«. In NATO-Kreisen ist jedoch umstritten, ob Hubschrauberattacken erlaubt sind. Frankreichs Außenminister Alain Juppé behauptet das. Seine Regierung will die Schlagkraft rasch erhöhen, um bis spätestens Juli einen Sieg über Gaddafi vermelden zu können. Denn vier Monate nach Beginn eines militärischen Auslandseinsatzes muss die Regierung in Paris die Zustimmung des Parlaments einholen.

Zum Problem für die Angreifer könnte sich auch die Finanzierung des Krieges entwickeln. Der »Guardian« veröffentlichte zu Wochenbeginn entsprechende Angaben. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass der Libyen-Einsatz den britischen Steuerzahler bislang 100 Millionen Pfund (rund 115 Millionen Euro) gekostet hat. Andere Schätzungen liegen bei 300 Millionen Pfund allein bis Ende April. Pro Woche kämen 38 Millionen Pfund hinzu. Experten befürchten, dass im September die Milliardengrenze erreicht ist.

Die fünf führenden Friedensforschungsinstitute Deutschlands haben am Dienstag (24. Mai) in Berlin vor einer »unkalkulierbaren Eskalation« des Libyen-Krieges gewarnt. In ihrem Jahresgutachten fordern sie die Konfliktparteien auf, ohne Vorbedingungen Verhandlungen über ein Ende der Gewalt aufzunehmen.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Mai 2011


Bomben im Minutentakt

Von Rüdiger Göbel **

Kurz vor Beginn des zweitägigen Sondergipfels der Afrikanischen Union, auf der eine Friedenslösung für Libyen beraten werden soll, hat die NATO ihre bisher schwersten Angriffe auf Tripolis gestartet. Binnen einer halben Stunde wurden am Dienstag (24. mai) mehr als 20 Attacken geflogen, die Bomben erschütterten die Millionenmetropole praktisch im Minutentakt. Medienberichten zufolge stieg über der Stadt beißender Rauch auf. Noch in einem Hotel für ausländische Journalisten in etwa zwei Kilometern Entfernung von den bombardierten Zielen fiel laut Reuters der Putz von der Decke. Die NATO teilte mit, eine Reihe von Angriffen hätten einem dem Militärkomplex Bab Al-Asisija angeschlossenem Fahrzeugdepot der Armee gegolten. Der libysche Regierungssprecher Mussa Ibrahim erklärte, die NATO habe Einrichtungen der Volksgarde getroffen. In den Gebäuden hätten sich weder Soldaten noch »nützliches Material« befunden. Drei junge Männer, die Augenzeugenberichten zufolge nach den ersten Luftangriffen auf die Straße unweit der Kasernen gelaufen und dort von Bombensplittern getroffen worden waren, starben bei dem NATO-Bombardement. 150 weitere Libyer wurden laut Ibrahim verletzt.

Die Terrornacht in Tripolis wurde politisch-ideologisch begleitet von einem gemeinsamen Kriegsappell des US-Präsidenten Barack Obama und des britischen Premierministers David Cameron. In der britischen Zeitung The Times bekundeten sie in einem Gastbeitrag am Dienstag, man werde den Libyen-Einsatz gemeinsam mit den Alliierten fortsetzen, bis die Resolutionen der UNO umgesetzt seien. Man werde nicht zulassen, daß die Proteste gegen das Regime Muammar Al-Ghaddafis mit Waffengewalt zerschlagen würden. Und schließlich behaupteten Cameron und Obama, der in London gestern mit Salutschüssen zum Staatsbesuch empfangen wurde: Die Beziehung zwischen den USA und Großbritannien machen die Welt zu einem sichereren und wohlhabenderen Ort.

In der Oppositionshochburg Bengasi traf sich derweil Obamas Nahostemissär Jeffrey Feltman mit Rebellenvertretern des selbsternannten Nationalen Übergangsrats, den er zur »legitimen Vertretung des libyschen Volkes« verklärte. Die Ghaddafi-Gegner lud Feltman ein, in Washington offiziell ein Büro zu eröffnen. Seine Chefin, US-Außenministerin Hillary Clinton, rief in London parallel weitere NATO-Staaten auf, sich an Libyen-Angriffen zu beteiligen. Unklarheit herrschte darüber, ob sich Großbritannien am Einsatz von Kampfhubschraubern in Libyen beteiligt. Die französische Armee hat bereits entsprechendes Kriegsgerät vor die Küste des nordafrikanischen Landes verlegen lassen. Wenig Wunder, daß die Aufständischen an einer Fortführung des Krieges festhalten und sich Verhandlungen mit der libyschen Regierung verweigern.

In Deutschland meldet sich einzig die Partei Die Linke mit Kriegskritik zu Wort. »Die NATO-Luftangriffe in Libyen vernichten Leben. Sie haben schon lange nichts mehr mit dem Schutz der Zivilbevölkerung zu tun«, erklärte Wolfgang Gehrcke vom Linke-Bundesvorstand am Dienstag. »Die Linke fordert die Bundesregierung auf, in der NATO auf eine sofortige Einstellung des Krieges und auf die Beendigung der Luftangriffe zu dringen. Nur eine Waffenruhe kann die Chance schaffen, Verhandlungen zur Lösung des Konflikts aufzunehmen.«

** Aus: junge Welt, 25. Mai 2011


Die Logik der Ratlosigkeit

Von René Heilig ***

Man werde zur Unterstützung aufbegehrender Massen in arabischen Diktaturen notfalls Gewalt einsetzen, schrieben der britische Premier Cameron und sein derzeitiger Gast, US-Präsident Obama, in der Dienstagausgabe der »Times«. Die Drohung ist unverhohlen, nicht gegen die Saudi-Prinzen gerichtet und letztlich irgendwie hilflos.

Allenfalls ein paar Wochen sollte es dauern, bis Gaddafi vertrieben ist. So hatte es vor zwei Monaten zu Beginn des Libyen-Bombardements geheißen. Die NATO und deren treibende Kräfte in Paris und London haben ihre Macht über- und das Beharrungsvermögen der Gaddafi-Getreuen unterschätzt. 8019 NATO-geführte Lufteinsätze, Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe sowie propagandistischer und politischer Rückhalt haben den Bengasi-Rebellen nur zum Patt verholfen. Bald beginnen die lähmende Hitze des Sommers und der Ramadan. Beides wird den Elan der Aufbegehrenden nicht beflügeln.

Beflügelt wird aber die französische Opposition. Genau das will Präsident Sarkozy angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen unbedingt vermeiden. Auch jenseits des Kanals fragen sich immer mehr Menschen, wieso sie zur Staatssanierung gezwungen werden, wenn die Regierung Milliarden rausschmeißt, um Konzernen »ihre« Ölfelder wieder zu beschaffen. Was folgt? In der NATO-Logik: Eskalation des Mordens. Dagegen sollte Deutschland endlich Verhandlungskanäle öffnen.

*** Aus: Neues Deutschland, 25. Mai 2011


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