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Erneute Luftangriffe auf Tripolis

Sechs Zivilisten getötet / Polnischer Außenminister bei Rebellen in Bengasi *

Der libysche Staatschef Gaddafi ist am Mittwochabend (11. Mai) erstmals seit etwa zwei Wochen wieder im libyschen Fernsehen zu sehen gewesen. Gaddafi habe in einem Hotel in Tripolis Stammesführer getroffen, hieß es im TV-Sender Al Dschasira. Die NATO flog weitere Luftangriffe auf die Hauptstadt.

Bei Luftangriffen der NATO sind nach Angaben der libyschen Regierung in der Hauptstadt Tripolis am Donnerstag sechs Menschen getötet worden. Bei den Angriffen auf die Residenz von Revolutionsführer Muammar el-Gaddafi seien zudem zehn Menschen verletzt worden, sagte ein Regierungsvertreter gegenüber AFP. Er führte eine Gruppe von Journalisten zu einem großen Krater in einer Straße in dem Viertel Bab el-Asisija. Dort befindet sich Gaddafis Residenz.

Bei allen Opfern handele es sich um Zivilisten, sagte der Regierungsvertreter weiter. In den Morgenstunden sei die Stadt von mehreren Kampfjets überflogen worden. Kurz darauf waren Explosionen in Bab el-Asisija zu hören. Zwei Rauchwolken stiegen auf, anschließend waren Sirenen und Gewehrfeuer zu hören.

Gaddafi ist zum ersten Mal seit dem Tod seines Sohnes bei einem NATO-Luftangriff vor gut zehn Tagen wieder im libyschen Fernsehen aufgetreten. Die Bilder, die am Mittwochabend ausgestrahlt wurden, zeigten nach Angaben des Senders ein Treffen Gaddafis mit Stammesführern aus dem Osten des Landes. Der Machthaber trug eine Robe, Hut und Sonnenbrille und machte einen gesunden Eindruck.

Gaddafi war seit dem NATO-Angriff, bei dem nach libyschen Angaben sein jüngster Sohn Seif el- Arab und drei seiner Enkelkinder ums Leben kamen, nicht mehr öffentlich aufgetreten. Während des Angriffs auf das Haus seines Sohnes hatte sich nach libyschen Angaben auch Gaddafi selbst dort aufgehalten. Tripolis warf der NATO daher einen »gezielten Einsatz zur Tötung« des Staatschefs vor.

Der polnische Außenminister Radislaw Sikorski hat bei einem Besuch in der libyschen Rebellenhochburg Bengasi die Unterstützung der EU für den oppositionellen Nationalen Übergangsrat geäußert. »Wir erkennen den Rat als legitimen Gesprächspartner der internationalen Gemeinschaft und als Vertreter der demokratischen Bestrebungen des libyschen Volkes an«, sagte Sikorski am Mittwoch. Er war der erste europäische Außenminister, der sich nach Bengasi begab.

Der Vizepräsident des Nationalen Übergangsrats, Abdul Hafis Ghoga, sagte, dies bedeute nicht die Anerkennung des Rats durch Polen. Bisher haben nur Frankreich, Italien, Katar und Gambia den Rat als legitime Regierung Libyen anerkannt.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Mai 2011


NATO tötet in Tripolis

Von Rüdiger Göbel **

Mehr als 2400 Luftangriffe hat die NATO nach eigenen Angaben seit Ende März auf Libyen geflogen. Am Donnerstag wurden bei den Bombardierungen der Hauptstadt Tripolis nach Angaben von Rettungskräften sechs Menschen getötet. Weitere zehn Libyer wurden verletzt, berichtete die Nachrichtenagentur AFP. Bei allen Opfern handle es sich um Zivilisten, betonte ein Vertreter der libyschen Regierung vor Journalisten. Den Medienvertretern wurden Kriegsversehrte im Chadra-Krankenhaus gezeigt. Fotos der Nachrichtenagentur AP zeigen neben Überlebenden auch mindestens eine Leiche mit verkohltem Körper. Im Viertel Bab Al-Asisija, wo sich auch eine Residenz von Revolutionsführer Muammar Al-Ghaddafi befindet, wurden Journalisten zu einem Bombenkrater sowie einem beschädigten Gebäude geführt. Allein in Tripolis sollen drei weitere Ziele bombardiert worden sein. Die Angriffe erfolgten nur wenige Stunden, nachdem Ghaddafi sich mit Stammesführern in einem Hotel in der Hauptstadt getroffen hatte. Das libysche Staatsfernsehen hatte Bilder von der Zusammenkunft gezeigt.

Die NATO behauptete, bei dem jüngsten Bombardement sei ein großer Bunkerkomplex in der Innenstadt getroffen worden, von dem aus Angriffe gegen die Zivilbevölkerung koordiniert worden seien.

Parallel zur Unterstützung aus der Luft erfahren die Aufständischen auch am Boden weitere Hilfe aus dem Westen. Medienberichten zufolge traf in Bengasi aus den USA eine erste Ladung von 10000 Fertigmahlzeiten ein. Die Einsatzverpflegung dürfte für die Kämpfer an der Front bestimmt sein, wird allerdings als »Hilfslieferung« deklariert. Weitere Pakete sollen folgen, sie sollen neben medizinischem Material Uniformen, Stiefel, Zelte und kugelsichere Westen enthalten. Großbritannien beteiligt sich am Aufbau eines rebelleneigenen Propagandaapparats und liefert Polizeiausrüstung.

Die Bundesregierung will in Bengasi ein eigenes »Verbindungsbüro« eröffnen. Als Leiter sei zu Wochenbeginn »ein erfahrener Diplomat« benannt worden, teilte das Auswärtige Amt am Donnerstag (12. Mai) mit. Dieser soll einen »kontinuierlichen Kontakt« mit dem selbsternannten Nationalen Übergangsrat der Rebellen aufbauen und die deutschen »Unterstützungsmaßnahmen in Ostlibyen« begleiten. Erst am Mittwoch (11. Mai) hatte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton die Eröffnung eines Büros in Bengasi angekündigt. Der polnische Außenminister Radislaw Sikorski versprach bei einem Besuch in der Rebellenhochburg »Unterstützung der Europäer«: »Wir erkennen den Rat als legitimen Gesprächspartner der internationalen Gemeinschaft und als Vertreter der demokratischen Bestrebungen des libyschen Volkes an.« Großbritanniens Premierminister David Cameron wiederum lud den »Übergangsrat« gestern ein, sein erstes »Verbindungsbüro« in Europa in London zu eröffnen. Am heutigen Freitag werden Vertreter der Aufständischen im Weißen Haus in Washington empfangen.

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) forderte unterdessen eine Waffenruhe. Im Westen Libyens drohe eine humanitäre Krise, da wegen der Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen keine Hilfslieferungen in Dörfer gebracht werden könnten. Der libysche Regierungssprecher Mussa Ibrahim erklärte, der Krieg habe inzwischen zu Engpässen bei etlichen Waren in Tripolis geführt. Knapp seien Treibstoff, Lebensmittel und Medikamente.

* Aus: junge Welt, 13. Mai 2011


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