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Kriegsfürst Taylor vor dem Tribunal

In Den Haag beginnt der Prozess gegen Liberias früheren Präsidenten

Von Thomas Nitz *

Angeklagt ist Cahrles Taylor vom Sondertribunal in Sierra Leone, doch aus Sicherheitsgründen findet der Prozess gegen ihn ab heute (4. Juni) in Den Haag statt. Liberias ehemaliger Präsident muss sich wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Sierra Leone verantworten.

Fast überall in Afrika birgt der Reichtum an natürlichen Ressourcen unendliches Leid für die ansässige Bevölkerung. Die Diamanten in der roten Erde Sierra Leones und Liberias kosteten Hunderttausende Menschen das Leben und ruinierten beide Staaten völlig. Heute beginnt in Den Haag der Prozess gegen Charles Taylor, den ehemaligen Präsidenten Liberias, der als Hauptschuldiger der verheerenden Bürgerkriege in den beiden westafrikanischen Staaten gilt. Vorerst wird sich Taylor allerdings nur für seine Verbrechen in Sierra Leone verantworten müssen. Da die Richter befanden, der Taylor-Prozess könne neue Unruhen auslösen, wurde der Sondergerichtshof für Sierra Leone (SCSL) von Freetown nach Den Haag verlegt, dem Hauptsitz des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen.

Taylor ist neben dem mittlerweile verstorbenen Slobodan Milosevic der zweite ehemalige Staatschef, der sich vor einem Tribunal in Den Haag verantworten muss. Juristisch dürfte auch sein Fall manche Probleme bereiten, da er als Anstifter und Drahtzieher allenfalls indirekt an Kriegsverbrechen in Sierra Leone beteiligt war, denen während des Bürgerkriegs rund 200 000 Menschen zum Opfer fielen.

Charles Taylor organisierte 1989 von Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) aus den Widerstand gegen den verhassten Diktator Liberias, Samuel Doe. Seine militärische Ausbildung und Waffen verdankt Taylor dem Libyer Muammar al-Gaddafi. Doe dagegen wurde von den USA als Kämpfer gegen den Kommunismus hofiert und unterstützt. Sehr schnell wurde jedoch klar, dass es Taylor kaum um die Befreiung seines Landes ging, sondern vielmehr um dessen Ressourcen, um persönliche Macht und Reichtum.

1991 trug Taylor seinen Krieg ins Nachbarland Sierra Leone. Der Anklageschrift zufolge soll er seinen Mitstreiter Foday Sankoh, Chef der berüchtigten Revolutionary United Front (RUF), mit Waffen und Personal versorgt, die militärische Ausbildung organisiert und Aktionen der RUF vorbereitet haben. Im Gegenzug erhielt Taylor Zugriff auf die Diamantenfelder Sierra Leones.

Die militärischen Aktionen der RUF waren von Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung begleitet, von Enthauptungen, wahllosen Tötungen, Verstümmelungen, Vergewaltigungen von Frauen, Männern und Kindern, Plünderungen, der Zwangsrekrutierung von Kindern, sexueller Versklavung, Zwangsarbeit auf den Diamantenfeldern des Landes. Laut Anklage wurden solche Taten von Taylor ermutigt und befohlen. Der Prozess gegen ihn schafft einen Präzedenzfall: Zum ersten Mal steht ein Angeklagter wegen der Zwangsrekrutierung von Minderjährigen vor Gericht.

Ende der 90er Jahre hatte Taylor den größten Teil der Diamantenförderung in Sierra Leone unter seine Kontrolle gebracht. Von 1995 bis 2003 soll er jährlich bis zu 100 Millionen Dollar auf die Seite geschafft haben. Der Krieg in Sierra Leone wurde immer unübersichtlicher. Neben RUF und regulärer Armee griffen auch internationale Söldner und verschiedene Stammesmilizen in wechselnden Koalitionen in den Konflikt ein, dazu Truppen aus Nigeria und Guinea und Interventionstruppen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS). Für die Menschen in Sierra Leone machte es allerdings kaum einen Unterschied, wer in die Städte und Dörfer einfiel. Ob RUF, Interventionstruppen der ECOWAS oder nigerianische Verbände – alle plünderten und häufig arbeiteten sie gar Hand in Hand. Alles drehte sich um die Diamanten.

In Liberia konnte durch Vermittlung der ECOWAS und der Vereinten Nationen Ende 1996 ein wackliger Friedensvertrag ausgehandelt werden. Als im Juli 1997 Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abgehalten wurde, hatten die Liberianer die Wahl zwischen Charles Taylor oder der Fortsetzung des Krieges, mit der Taylor im Falle einer Wahlniederlage offen drohte. Taylors National Patriotic Party (NPP) siegte klar mit 75,3 Prozent der Stimmen. Frieden brachte der neue Präsident jedoch nicht. Stattdessen entfachte er einen Krieg gegen das Nachbarland Guinea, dem Taylor vorwarf, Rebellen, die sich inzwischen gegen ihn erhoben hatten, grenznahe Rückzugsgebiete einzuräumen.

In Sierra Leone gelang es den westafrikanischen Interventionstruppen (ECOMOG) zusammen mit Truppen der Vereinten Nationen (UNAMSIL) und Großbritanniens (Operation Palliser) im Jahre 2000 einen Frieden zu erzwingen. RUF-Chef Foday Sankoh erlag einem Schlaganfall, bevor er zur Verantwortung gezogen werden konnte.

Im August 2003 geriet auch Charles Taylor immer mehr unter Druck. Bedrängt durch Rebellen im eigenen Land und durch Diplomaten der internationalen Staatengemeinschaft, musste er am 11. August 2003 von seinem Präsidentenamt zurücktreten. Taylor ging ins Exil nach Nigeria und hinterließ einen völlig ruinierten Staat. Liberia rangiert heute auf dem letzten Platz in der UN-Statistik der am wenigsten entwickelten Länder. Ein Heer von Kindersoldaten in Liberia und Sierra Leone benötigt dringend eine Perspektive. Viele Menschen sind durch die Schrecken des Krieges traumatisiert. Einer ganzen Generation fehlt elementare Bildung, denn kaum jemand hat in den Kriegsjahren eine Schule besucht. Es mangelt an Fachkräften, Ärzten, Lehrern, an jeglicher Infrastruktur für einen funktionierenden Staat.

Als Liberias derzeitige Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf im letzten Jahr die Auslieferung Taylors forderte, versuchte der einstige Kriegsfürst zu fliehen, konnte jedoch an Nigerias Grenze zu Kamerun gefasst und dem Sondergericht in Freetown übergeben werden. Eine Verurteilung Taylors ist wahrscheinlich. Bis dahin leben die Menschen in Liberia und Sierra Leone mit der Angst, Charles Taylor könne wiederkommen.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Juni 2007


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