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King George gegen die Iron Lady

Liberias Präsidentschaftswahlen sollen den Übergang nach 14 Jahren Bürgerkrieg stabilisieren

Von Martin Ling*

Zwei Jahre nach dem Ende des 14-jährigen Bürgerkriegs findet in Liberia die nächste Stufe der Transformation statt. Am 11. Oktober wählen die Liberianer aus 22 Kandidaten einen neuen Staatspräsidenten. Um seine Aufgaben ist er oder sie nicht zu beneiden: Die Infrastruktur und die Wirtschaft liegen am Boden und ohne die 15 000 UNO-Soldaten wäre auch die relative Sicherheit dahin. »Weah ist der Einzige, bei dem die Leute wissen, wie er sein Geld verdient hat.« Auch wenn das Argument von Weahs Parteifreund Baccus Matthews stammt, ist dieser Vorteil in Sachen Glaubwürdigkeit nicht zu unterschätzen. Schließlich war in Liberia Korruption und Selbstbereicherung der politischen Eliten in den letzten Jahrzehnten der Normalfall. Allein Charles Taylor, Kriegsfürst und Landesregent von 1995 bis 2003, soll 200 Millionen Dollar auf die Seite geschafft haben.

Dass Weah auch als Politiker die Massen elektrisiert wie einst als Fußballer, hat der bisher einzige afrikanische Weltfußballer des Jahres (1995) erst am Sonnabend wieder unter Beweis gestellt. Mehr als 100 000 Menschen gingen in Monrovia auf die Straße, um seine Kandidatur zu unterstützen. Der 39-Jährige gab sich am Sonnabend siegessicher: »Wir haben gut und ehrlich gekämpft, und in einigen Tagen werden wir den Pokal gewinnen.« Er wolle denjenigen dienen, die von der früheren politischen Elite des Landes »benachteiligt, missbraucht und ausgenutzt« worden seien.

Zu dieser Elite gehört der während der letzten Wahlen 1997 mitten im Bürgerkrieg zum Präsidenten gewählte Warlord Charles Taylor. Taylor ist inzwischen vor einem UNO-Tribunal wegen Kriegsverbrechen im Nachbarland Sierra Leone angeklagt, entzieht sich aber im nigerianischen Exil der Auslieferung. Sein dunkles Erbe lastet auf dem Urnengang. Den Kandidaten seiner National Patriotic Party (NPP) wird zugetraut, bei den zugleich stattfindenden Parlamentswahlen einen erheblichen Teil der Abgeordnetenmandate in Monrovia zu erobern und so Taylors Straffreiheit abzusichern. Denn Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo hat angekündigt, im Falle eines Auslieferungsbegehrens der neuen liberianischen Regierung darüber nachzudenken. Bisher fühlt er sich an das Versprechen gegenüber Taylor gebunden, dem er im Auftrag der Afrikanischen Union im August 2003 Exil anbot, um einen Ausweg aus dem seit Ende 1989 tobenden Bürgerkrieg zu eröffnen. 300 000 Menschen ließen in den 14 Jahren ihr Leben und jeder zehnte der 3,5 Millionen Einwohner flüchtete außer Landes.

Auch wenn es seit Taylors Abgang weit gehend friedlich blieb, ist die Gefahr noch nicht gebannt. UNO-Generalsekretär Kofi Annan warnte erst vor kurzem vor einem Rückfall des Landes in Krieg und Gewalt. Die UNO-Mission in Liberia hat ihre 15 000 Friedenssoldaten angewiesen, bei jedwedem Gewaltausbruch im Umfeld der Wahl sofort einzuschreiten. 175 internationale Beobachter, unter ihnen 70 aus der EU, sollen am Dienstag den Verlauf der Abstimmung verfolgen.

Der alten politischen Elite entstammt auch die vermutlich größte Konkurrentin für George Weah: Ellen Sirleaf-Johnson. Die 66-Jährige war in den siebziger Jahren Finanzministerin in der Regierung von William F. Tolbert, dessen Sturz durch Samuel K. Doe einen 25 Jahre langen Teufelskreis von Militärputsch, Diktatur und Bürgerkrieg einleitete. Allerdings ist Sirleaf-Johnson bisher nicht mit Korruption in Verbindung gebracht werden. Die von ihren Anhängern als Iron Lady (Eiserne Frau) titulierte Harvard-Ökonomin hat gar versprochen, ihr Hauptaugenmerk auf die Korruptionsbekämpfung zu legen.

Dass dies eine zentrale Aufgabe für jede Regierung sein sollte, unterstreicht die Bilanz der seit dem Abgang von Taylor amtierenden Übergangsregierung von Gyude Bryant, die in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt war und Hilfsgelder in Millionenhöhe veruntreut haben soll.

Vom schwerreichen George Weah ist persönliche Bereicherung nicht zu erwarten und das verschafft ihm den Rückhalt vor allem bei den jungen und ländlichen Wählern. Viele Einwohner verbinden mit ihm die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Wer auch immer die Wahlen für sich entscheidet, er wird gigantische Aufgaben zu schultern haben. Der Bürgerkrieg hat flächendeckend schwere Schäden an der Infrastruktur hinterlassen. Viele Gebäude wurden zerstört, die Arbeitslosigkeit auf 85 Prozent beziffert. Eine besonders brisante Hinterlassenschaft des Bürgerkriegs sind zehntausende arbeitslose ehemaliger Kämpfer, die wieder in die Gesellschaft integriert werden müssen. Die Aussicht auf eine trostlose Zukunft könnte sie dazu bringen, einen neuen Bürgerkrieg anzuzetteln. Das zu verhindern, ist die Aufgabe der UNO-Mission. Doch für Perspektiven für die Bevölkerung bedarf es mehr als militärischer Präsenz. Bis das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt, wird selbst bei »Guter Regierungsführung« eine lange Zeit vergehen. Nicht nur die UNO, auch die G 8-Staaten könnten mit vorteilhaften Handelsbedingungen wertvolle Aufbauhilfe leisten.


Vorbild USA

Schon die Flagge des westafrikanischen Staates Liberia ähnelt der der USA: rot-weiße Längsstreifen und ein weißer Stern auf blauem Grund links oben in der Ecke. Das hat einen guten Grund. Ab 1822 stießen zu den einheimischen Stammesgesellschaften, die später in 16 Ethnien klassifiziert wurden, freigelassene Sklaven vor allem aus den Südstaaten der USA. Sie gründeten 1822 die Kolonie Liberia, die die Freiheit so im Namen trägt wie die Hautptstadt Monrovia den Namen des ehemaligen USA-Präsidenten James Monroe. Als erstes Land in Afrika erklärte Liberia 25 Jahre später die Unabhängigkeit als Republik der »Ameriko-Liberianer«.

Mit der Ankunft der »Ameriko-Liberianier« wurde die Gesellschaft in zwei Klassen geteilt. Die Nachfahren schwarzer Sklaven aus den USA dominierten die Gesellschaft. 14 Familien beherrschten das Land. Über 95 Prozent der Bevölkerung, die so genannten eingeborenen Liberianer, blieben weit gehend ohne politische Rechte.

Mit dem Ende der Wirtschaftskrise 1980 endete die Vorherrschaft der »Ameriko-Liberianer«, als Hauptfeldwebel Samuel K. Doe putschte und den Präsidenten William R. Tolbert ermordete. Doe erlitt im Zuge der vom Kriegsfürsten und späteren Präsidenten Charles Taylor ab Ende 1989 initiierten Rebellion dasselbe Schicksal. Der Bürgerkrieg dauerte bis 2003 an.
ML


* Aus: Neues Deutschland, 10. Oktober 2005


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