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Trotzige Angeklagte

Beginn des Prozesses vor dem Sondertribunal für den Libanon gegen zwei Journalisten. Vorwurf: Missachtung des Gerichts

Von Jürgen Cain Külbel *

Am Donnerstag hat vor dem Sondertribunal für den Libanon (STL) in Leidschendam bei Den Haag der Prozess gegen zwei libanesische Journalisten begonnen. Am Freitag verlas die Staatsanwaltschaft die Anklage.

Diese wirft der Journalistin Karma Mohammed Tahsin Al-Khayat »vorsätzliche Missachtung und Behinderung der Justiz« vor: Die stellvertretende Nachrichtenchefin und Managerin der politischen Programme beim Beiruter TV-Sender Al-Dschadid sei für die Ausstrahlung einer TV-Serie unter dem Titel »Die Zeugen des Internationalen Strafgerichtshofs« aus dem Jahre 2012 verantwortlich. Die Libanesin habe damit eine »konzertierte Aktion« gegen das STL gefahren: Die Ausstrahlung »von Informationen über angeblich vertrauliche Zeugen des Tribunals« sollte, fabulierte die Anklage, das Vertrauen der libanesischen und internationalen Öffentlichkeit in den Gerichtshof untergraben.

Das vom UN-Sicherheitsrat eingerichtete Sondertribunal führt seit Januar 2014 einen Indizienprozess in Abwesenheit gegen die vermeintlichen Mörder des libanesischen Multimilliardärs und Expremiers Rafik Al-Hariri. Fünf Angehörige der schiitischen Hisbollah-Miliz sollen Hariris Fahrzeugkonvoi am 14. Februar 2005 an Beiruts Yachthafen mittels einer wuchtigen Autobombe in die Luft gejagt haben; 23 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt. Das Attentat bildete den Auftakt zur »Zedernrevolution«, die 2005 den Abzug der Ordnungsmacht Syrien aus dem Libanon erzwang.

Die Zweifel an dem Verfahren in den Niederlanden sind groß,besondere bei den libanesischen Medien. Seit Mitte 2014 schießt das STL nun gegen die prominentesten Kritiker zurück: Neben Al-Khayat wird sich auch der Chefredakteur der Beiruter Tageszeitung Al-Akhbar, Ibrahim Mohammed Al-Amin, in Europa juristisch verantworten müssen; er ignoriert jedoch das Tribunal und ist dort nicht erschienen.

»Wir greifen nicht die Pressefreiheit an«, versuchte Anklageführer Kenneth Scott am Donnerstag zu beschwichtigen, erklärte aber zugleich: »Die Meinungsfreiheit hat Grenzen. Es geht um den Schutz der Zeugen, von deren Familien und Existenz sowie um den Schutz der Fähigkeit des Gerichts, Beweise zu erlangen und zu sammeln.« Außerdem verkniff er sich nicht den Hinweis auf die erfolgreiche Praxis von Maulkorbverordnungen für Medienschaffende: »Kein Richter kann behaupten, dass dies das erste Mal oder ein seltener Fall sei, in dem ein Journalist wegen Missachtung des Gerichts angeklagt wurde. Die meisten internationalen Gerichte haben Journalisten wegen Missachtung angeklagt, und die meisten von ihnen wurden auch verurteilt«.

Al-Khayat parierte, sie übe nur ihre »Berufspflicht« aus, und die Anklage sei ein »schmerzhafter Schlag gegen den investigativen Journalismus, ein Produkt von Doppelmoral«. Sie wollte wissen, warum das STL nur gegen libanesische Medien vorgehe; schließlich haben »Unbekannte« innerhalb des Tribunals immer wieder »westlichen« Medien »sensible Informationen zugespielt, die diese dann auch publizierten«. Erich Follath vom Hamburger Wochenblatt Der Spiegel beispielsweise druckte lange vor Anklageerhebung Namen und Telefonnummern mutmaßlicher Täter ab. Al-Khayat, die dem Leidschendamer Justizkörper so recht keinen Respekt zollen wollte, forderte für sich Wiedergutmachung: »Zugeben eines Fehlers ist eine Tugend. Es wäre also keine Schande zuzugeben, dass libanesische Journalisten so frei sind wie Journalisten im Westen. Und es ist für niemanden, der jemals die Justiz genutzt hat, um gegen die Presse vorzugehen, eine Schande, dafür geradezustehen und sich zu entschuldigen.«

Hassan Fadlallah, Hisbollah-Abgeordneter in Beirut und Leiter des Medien- und Telekommunikationsunterausschusses, stärkte der Angeklagten den Rücken: »Wir betrachten diesen Prozess als eine skandalöse Verletzung der libanesischen Souveränität und einen Angriff auf die Freiheiten, die Verfassung und die Gesetze der libanesischen Bevölkerung. Es zeigt eine der Rollen, die dieses Gericht spielt: als politisches Instrument Druck auf den Libanon auszuüben. Das Erscheinen der Journalistin Karma Al-Khayat vor dem Gericht in Den Haag ist eine Beleidigung des libanesischen Staates. Es würde in dieser Weise nicht stattfinden, wenn wir einen echten Staat hätten, der seine Souveränität verteidigt und die Freiheit seiner Medien schützt. Wie können alle ehrenhaften und freien Libanesen akzeptieren, dass eine Libanesin außerhalb der Landesgrenzen vor einem ausländischen Gericht erscheint und angeklagt wird für die Freiheit, die Wahrheit zu sagen? Das wäre noch nicht einmal in der Ära der ausländischen Kolonialzeit geschehen, aber es scheint, die heutige Kolonialisierung ist stärker.«

Al-Khayat drohen bis zu sieben Jahre Gefängnis sowie eine Geldstrafe in Höhe von 100.000 Euro.

* Aus: junge Welt, Montag, 20. April 2015


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