Amin lässt das Libanon-Tribunal abblitzen
Sondergericht macht jetzt im Fall Hariri Jagd auf Journalisten
Von Jürgen Cain Külbel *
Das »Sondertribunal für Libanon«
versucht sich mit einem juristischen
Befreiungsschlag gegen prominente
Kritiker im Zedernstaat.
»Ihr Gericht, Euer Ehren, ist Teil eines
politischen Kurses. Ich wiederhole
heute, dass ich die Legitimität
dieses Gerichts nicht anerkenne. Es
wurde vom Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen gegründet, der noch
nie irgendeinem Lande Sicherheit gewährt
hat.« Mit diesen Worten wandte
sich der Angeklagte Ibrahim Mohamed
al-Amin, der Chefredakteur
der Beiruter Tageszeitung »Al Akhbar
«, dieser Tage an seinen Richter
beim »Sondertribunal für Libanon«
(STL), dem sichtlich erschrockenen
Neapolitaner Nicola Lettieri. Per Video-
Link aus Beirut dem STL in Leidschendam
nahe Den Haag zugeschaltet,
erklärte er, dass er damit
auch keinerlei Anschuldigungen anerkenne,
die es gegen ihn oder seine
Zeitung gebe. Die Vorwürfe verstehe
er nicht, daher habe er im Vorfeld um
Klärung gebeten. Doch habe sich das
Gericht geweigert, ihm weitere Details
zu liefern.
Am 24. April hatte STL-Präsident
Sir William David Baragwanath Klage
gegen Amin sowie die stellvertretende
Nachrichtenchefin und Managerin
der politischen Programme
beim TV-Sender »Al Dschadeed«,
Karma Mohamed Tahsin al-Khayat,
wegen »Missachtung und Behinderung
der Justiz« erhoben. »Al Akhbar
« sei für die Publikation einer Liste
mit Fotos, Namen und Informationen
von 32 »angeblich vertraulichen
Zeugen der Anklage« verantwortlich.
Khayat und »Al Dschadeed«
wird zur Last gelegt, im August 2012
Dokumentationen über »potenzielle
Zeugen des STL« ausgestrahlt zu haben.
Sämtliches Material war durch
»Lecks aus dem STL« in die Hände der
Medienanstalten gelangt, die als einflussreichste
Kritiker des Tribunals in
Libanon gelten.
Das STL führt seit Januar 2014 einen
Prozess in Abwesenheit gegen
fünf Angehörige der schiitischen
Hisbollah-Miliz, die laut Anklage den
libanesischen Multimilliardär und
Ex-Premier Rafik Hariri samt Fahrzeugkolonne
am 14. Februar 2005 an
Beiruts Seefront mit einer Autobombe
in die Luft gejagt haben sollen.
23 Menschen starben damals,
Hunderte wurden verletzt. Das spektakuläre
Attentat bildete zudem den
Auftakt zur »Zedernrevolution«, die
den Abzug der Ordnungsmacht Syrien
aus Libanon erzwang. Die Zweifel
am Indizienverfahren in Leidschendam
sind erheblich; zudem
wurde die Seriosität des Tribunals in
den vergangenen neun Jahren von
Manipulations- und Korruptionsvorwürfen
erschüttert.
Krimineller Glanzpunkt war der
Einkauf falscher Zeugenaussagen im
Sommer 2005; zu jener Zeit leitete der
Berliner Oberstaatsanwalt Detlev
Mehlis die Ermittlungen im Mordfall
Hariri. Und sein damaliger Vize Gerhard
Lehmann, Kontaktmann des
Bundesnachrichtendienstes und Erster
Kriminalhauptkommissar beim
Bundeskriminalamt, wurde zudem in
Beirut verdeckt gefilmt, als er gegen
Geldzahlungen offenbar Dokumente
der UN-Untersuchungskommission
aushändigte. So zumindest interpretieren
libanesische Ermittler den Mitschnitt.
»Al Akhbar« und »Al Dschadeed
« berichteten darüber.
Lettieri versuchte zu Beginn der
Anhörung zu beschwichtigen, »die
Vorwürfe gegen Al Amin seien nicht
der kritischen Position der Tageszeitung
gegenüber dem Tribunal geschuldet
«. Dieser und seine Mitstreiter
wiederum haben »beschlossen,
das STL als eine Plattform zu nutzen,
mittels der wir dieses Gericht vor Gericht
bringen im Namen des Gewissens,
der Moral, der Pressefreiheit,
der gesetzlichen Rechte, der nationalen
Souveränität, des Widerstandes
und auch im Namen Palästinas«.
Das Tribunal sei Teil eines politischen
Komplotts, das sich gegen libanesische
Kräfte (sprich: Hisbollah),
die gegen die Pläne der USA und
Israels für den Libanon kämpfen, verschworen
hat. Der sichtlich genervte
Lettieri schnitt das Statement des
Journalisten kurzerhand ab: »Es ist
sinnlos, über Themen zu sprechen,
die nicht in unsere Zuständigkeit fallen.
« Der Journalist, der auf einen
Verteidiger verzichtet hatte, kritisierte
das Sprechverbot, nannte es ein
»Zeichen der Unterdrückung«, die das
Tribunal praktiziere. »Ich möchte Sie
darüber informieren, dass ich während
der (kommenden) Verhandlungen
stumm bleiben und mich weigern
werde, einen Anwalt für mich
oder Al Akhbar zu bestellen, und mich
jedem Anwalt verweigere, den Sie für
mich oder die Zeitung ernennen.«
Amin verließ darauf ohne weiteren
Kommentar das STL-Hauptquartier in
Beirut. Nach zehnminütiger Beratungspause
erklärte Lettier, er werde
»Amins Haltung als ein Plädoyer für
nicht schuldig interpretieren«. Dem
Journalisten drohen bei einer Verurteilung
sieben Jahre Haft und/oder
100 000 Euro Geldstrafe.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. Juni 2014
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