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Journalist trotzt Libanon-Tribunal

Chefredakteur von Beiruter Zeitung wirft UN-Sicherheitsrat Parteilichkeit vor. Vernehmung verweigert

Von Jürgen Cain Külbel *

Ibrahim Al-Amin, Chefredakteur der Beiruter Tageszeitung Al-Akhbar, machte mit seinem Richter beim Sondertribunal für den Libanon (STL), dem Italiener Nicola Lettieri, kurzen Prozeß. Da »ich die Existenz dieses Gerichts nicht anerkenne, kann ich seinem Rechtsanspruch, mich anzuklagen, nicht stattgeben«, erklärte Al-Amin, der dem Gericht im niederländischen Leidschendam bei Den Haag per Video-Link aus dem Beiruter Hauptquartier des STL zugeschaltet war, am Donnerstag. Nach kurzer Verhandlung legte er schließlich die Kopfhörer beiseite, entfernte sich und ließ Lettieri sichtlich verblüfft zurück.

Tribunalpräsident Sir William David Baragwanath hatte am 24. April Klage wegen »Mißachtung und Behinderung der Justiz« gegen Al-Amin erhoben. Er wirft dem 49jährigen vor, im Januar 2013 Fotos, Namen und Informationen zu 32 »vertraulichen Zeugen der Anklage« veröffentlicht zu haben. In einem juristischen Rundumschlag teilte der Neuseeländer auch gegen die stellvertretende Nachrichtenchefin und Managerin der politischen Programme beim TV-Sender Al-Dschadeed, Karma Mohammed Tahsin Al-Khayat, sowie dessen Generalmanager, Dimitri Khodr, aus. Da »die Pressefreiheit ihre Grenzen finden muß«, so der 74jährige in der New York Times, müßten sich auch das Zeitungsunternehmen Al-Akhbar sowie New TV, die Muttergesellschaft von Al-Dschadeed, »strafrechtlich verantworten«. Al-Khayat und und ihrem Sender wird angelastet, im August 2012 fünf Dokumentationen über »potentielle Zeugen des STL gesendet zu haben. In einer Anhörung am 13. Mai plädierte die Programmchefin ebenso wie ihr Generalmanager Khodr auf »nicht schuldig«. Das »Material« sei durch »Lecks aus dem STL« in die Hände der Beiruter Medien gelangt.

Das 2007 installierte Tribunal führt seit Januar 2014 einen Indizien-Prozeß gegen fünf Angehörige der schiitischen Hisbollah, die den libanesischen Expremier Rafik Hariri am Valentinstag 2005 mit einer wuchtigen Autobombe in Beirut ermordet haben sollen. 23 Menschen starben bei dem Anschlag, Hunderte wurden verletzt. Die Seriosität des Gerichts wurde in den vergangenen Jahren immer wieder von Manipulations- und Korruptionsvorwürfen erschüttert, die Al-Akhbar und Al-Dschadeed aufgedeckt hatten. Die der Hisbollah nahestehende Zeitung Al-Akhbar wird zudem von den USA als »Bedrohung« angesehen, weil sie Informationen von Wiki­leaks veröffentlichte. Tel Aviv bezeichnet sie gar als »Sprachrohr des Terrorismus« im Nahen Osten, und Paris drängt darauf, das Medienhaus abzuwickeln.

Al-Amin, am Donnerstag ohne Rechtsbeistand angetreten, kritisierte, daß der UN-Sicherheitsrat das STL geschaffen habe, »um einen einzigen politischen Mord zu untersuchen, während er die israelischen Verbrechen im Zuge des Krieges gegen den Libanon im Jahre 2006 und die Autobomben der vergangenen Monate, die überwiegend die mit der Hisbollah verbundenen schiitischen Gebiete zum Ziel haben«, ignoriere. »Ihr Gericht, Euer Ehren, ist Teil eines politischen Kurses«, warf Al-Amin dem Vorsitzenden vor. »Wir alle wissen, daß die lokalen, regionalen und internationalen Mächte, die hinter der Gründung des Tribunals stehen, die gleichen sind, die anhaltend Kriege anzetteln in meinem Land, gegen mein Volk und gegen seinen heldenhaften Widerstand, der sich dem amerikanischen, europäischen und israelischen Terrorismus widersetzt.«

Sichtlich genervt schnitt Lettieri dem Libanesen die Rede ab: »Es ist sinnlos, über Themen, die nicht in unsere Zuständigkeit fallen, zu sprechen. Dies ist ein Gericht und keine Talkshow.« Al-Amin, der das als »Zeichen der Unterdrückung« bezeichnete, erklärte daraufhin, er werde »während der Verhandlungen stumm bleiben«, sich weigern, einen Anwalt für sich oder seine Zeitung zu bestellen und auch keinen ernannten akzeptieren. Danach verschwand er ohne weiteren Kommentar vom Bildschirm. Dem Journalisten droht nun ein Prozeß in Abwesenheit, der sieben Jahre Haft und 100000 Euro Geldstrafe zur Folge haben kann. Das Schlußwort Lettieris: »Wenigstens auf Wiedersehen hätten wir sagen können.«

* Aus: junge Welt, Montag, 2. Juni 2014


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