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Hatz auf Journalisten

Libanon-Sondertribunal klagt Medienarbeiter und -anstalten an

Von Jürgen Cain Külbel *

Karma Mohamed Tahsin Al-Khayyat, stellvertretende Nachrichtenchefin und Managerin der politischen Programme beim libanesischen Fernsehsenders Al Dschadeed, stand am Dienstag erstmals ihrem Richter beim Sondertribunal für den Libanon (STL), dem Neapolitaner Nicola Lettieri, gegenüber: »Ich bin hierher gekommen, in ihr Hauptquartier in Den Haag, um mit Ihnen nicht aus der Ferne sprechen zu müssen und weil derjenige, der im Recht ist, nichts fürchtet.« Tapfer wies die junge Journalistin den ehemaligen Rechtsberater beim Internationalen Währungsfonds (IWF) darauf hin, daß »die Suche nach der Wahrheit und das Aufspüren von Informationen ein heiliges Recht für die Presse ist und allen internationalen Vereinbarungen über Freiheit und Menschenrechte entspricht. Ich trete vor das Gericht, damit mein Fall nicht den Weg freimacht, durch den die Presse ihrer Freiheit unter dem Banner der Gerechtigkeit beraubt werde.«

Das STL ist mit der Untersuchung des Attentates auf den libanesischen Expremier Rafik Hariri vom Valentinstag 2005 betraut. Der Anschlag bildete den »Auftakt« zur sogenannten »Zedernrevolution«, die 2005 zum Abzug der Ordnungsmacht Syrien aus dem Libanon führte. Fünf Mitglieder der Hisbollah werden der Täterschaft bezichtigt und sollen mittels eines fadenscheinigen Indizienprozesses zur Stecke gebracht werden. Das Gericht, das seit Februar 2014 »pausiert«, die »Arbeit« Mitte Juni wieder aufnehmen will, nutzt offenbar die »Klausur«, um einen juristischen Befreiungsschlag gegen prominente Kritiker im Zedernstaat Libanon zu führen: Am 24. April 2014 erhob der Präsident des STL, Sir William David Baragwanath, Anklage gegen Al-Khayyat, den Chefredakteur der Beiruter Tageszeitung Al-Akhbar, Ibrahim Mohamed Al-Amin, das Zeitungsunternehmen Al-Akhbar und New TV, die Muttergesellschaft des Senders Al-Dschadeed. Alle, so der 74jährige Neuseeländer, müssen sich wegen »vorsätzlicher Mißachtung und Behinderung der Justiz strafrechtlich verantworten«, denn sie seien für »die Veröffentlichung der Namen von angeblich vertraulichen Zeugen des Verfahrens verantwortlich«. Al-Akhbar und Al-Dschadeed hatten im Januar 2013 Fotos, Namen und Informationen zu 32 Zeugen publiziert. Das sensible Material, so Baragwanath, sei den Angeklagten durch »Lecks aus dem Tribunal« in die Hände gelangt.

Das STL behauptete am Dienstag, »die von Al-Dschadeed veröffentlichten Berichte zielen darauf ab, Zeugen und Opfer einzuschüchtern und das Vertrauen in die Arbeit des Gerichts zu untergraben«. Der Sender und Al-Khayyat plädierten auf »nicht schuldig«. Al-Khayyat betonte, »ihr einziges Verbrechen sei der ›Respekt‹ für ihren Beruf und das ›Aufzeigen der Fehler des Gerichts‹«.

Die Seriosität des STL und seiner Ermittler wurden in den vergangenen neun Jahren immer wieder von Manipulations- und Korruptionsvorwürfen sowie Skandalen erschüttert. Die Medien Al-Akhbar und Al-Dschadeed haben diese Mißstände großenteils aufgedeckt und publiziert. Al-Akhbar und sein Chefredakteur Al-Amin verweigerten indes die Teilnahme an der Anhörung am Dienstag. Al-Amin erklärte, er wolle erst vor Gericht erscheinen, nachdem »Maßnahmen ergriffen wurden«, die beweisen, »daß es um Gerechtigkeit gehe«. Richter Lettieri vertagte den Prozeß, gab dem Sender Al-Dschadeed und der Journalistin Al-Khayyat bis zum 16. Juni Zeit, Prozeßanträge einzureichen. Al-Amin erhielt die Auflage, am 29. Mai vor Gericht zu erscheinen. Beiden Journalisten drohen in der Sache bis zu sieben Jahren Gefängnis und/oder eine Geldstrafe in Höhe von 100000 Euro.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 15. Mai 2014


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