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Selektive Justiz

Im Hariri-Prozeß vermutet die Verteidigung »Bereinigungsaktionen« nach dem Attentat auf Libanons Expremier

Von Jürgen Cain Külbel *

Im Prozeß gegen vier mutmaßliche Mörder von Libanons Expremier Rafik Hariri vor dem Sondertribunal für den Libanon (STL) in Leidschendam bei Den Haag prozessieren die Ankläger beim Büro des Staatsanwaltes, seit vierundzwanzig Tagen ohne relevante Gegenwehr: Erstens ist der Aufenthaltsort der Angeklagten – Mustafa Badreddine, Salim Ayyash, Hussein Oneissi und Assad Sabra – nach wie vor unbekannt, zweitens händigt die Staatsanwaltschaft der Verteidigung Dokumente nicht, zu spät oder unvollständig aus und drittens lehnt Tribunal-Richter David Re Anträge der Verteidigung kontinuierlich ab. Den vier Mitgliedern der schiitischen Hisbollah-Partei wird in dem am 16. Januar begonnenen Verfahren vorgeworfen, einen Terrorakt mit Sprengstoff begangen zu haben – das Attentat auf Hariri.

In Beirut soll ein bislang nicht identifizierter Selbstmordattentäter am 14. Februar 2005 in einem Mitsubishi Canter eine Bombe mit 2,5 bis drei Tonnen Sprengstoff gezündet haben, die den sunnitischen Milliardär in die Luft jagte, 22 Menschen tötete sowie 226 verletzte. In den vergangenen drei Wochen präsentierte die Anklage zwölf Zeugen, die in persona, per Video-Link oder geheimer Botschaft zu Wort kamen. Zunächst ließ sie Angehörige der Opfer sprechen, später bot sie einige Zeugen auf, um Existenz und Verwendung des Mitsubishi als Tatfahrzeug festzuzurren.

Die Verteidigung hielt sich in Kreuzverhören mit den Zeugen zurück, kritisierte aber, die Ermittler hätten vernachlässigt, daß eine unterirdisch deponierte Bombe Hariri getötet haben könnte. Die Vernehmung des geheimen Zeugen »PRH566«, eines Offiziers der libanesischen Polizei, der bei der Tatortuntersuchung ein Sprengstoffexperten-Team geführt hatte, ergab Widersprüche: Die Polizei meinte, so der Zeuge, der Mitsubishi habe im Zentrum der Explosion gestanden; zunächst glaubte man aber, eines der Mercedes-Fahrzeuge in Hariris Konvoi wäre die Quelle der Explosion gewesen; die Ermittler der libanesischen Armee waren laut »PRH566« dagegen anderer Meinung: die Bombe sei unter der Erde versteckt gewesen.

Insgesamt mangelt es der Anklage an harten Beweisen, einzig anhand von Indizien will sie die Täterschaft der Hisbollah beweisen: Die Analyse in Libanon registrierter Handys habe den »koordinierten Einsatz der Mobiltelefone zum Durchführen des Mordanschlags« ergeben. Fünf Netzwerke von Handys seien für Planung und Durchführung des Attentats verwendet worden; innerhalb eines Netzwerkes hätten die Angeklagten nur untereinander telefoniert. Da einige Angeklagte gleichzeitig persönliche Handys für den Privatgebrauch mit sich trugen, hätten die Ermittler durch örtliche und zeitliche Übereinstimmung der privaten und geheimen Nummern die Angeklagten erkannt. Die Reporterin Yumna Fawwaz vom libanesischen TV-Sender Al-Dschadeed hatte am 17. Januar 2014 vor laufender Kamera acht der Täter-Telefonnummern angerufen. Drei Anschlüsse, erfuhr sie, gehören seit 2002 libanesischen Privatpersonen, darunter Mostafa Ezzedine. Da lebte Hariri noch. Wenige Tage nach der Sendung, am 23. Januar 2014, wurde Ezzedines Bruder Rihad in Fort Hood tot aufgefunden; US-Army-Ermittler behaupten, Rihad Ezzedine habe erst seine zwei Töchterchen Zeinab (4) und Leila (9) und danach sich selbst erschossen. Er ist nicht der erste Tote im Zusammenhang mit den Mobiltelefonen: Im November 2005 wurde der Handyverkäufer Nawar Habib Donna aus Tripoli tot im Straßengraben aufgefunden; er sei bei einem Autounfall umgekommen, das Fahrzeug habe sich überschlagen. Donna wäre ein wichtiger »Zeuge« gewesen; er soll fünf der acht verwendeten »Prepaid«-Handykarten verkauft haben.

Yasser Hassan, der den Angeklagten Oneissi verteidigt, fragte angesichts dieser Todesfälle im Gerichtssaal: »Führt da jemand Bereinigungsoperationen nach dem Attentat auf Hariri aus?«

* Aus: junge welt, Montag, 10. Februar 2014


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