Indizien statt Fakten
Auftakt des Hariri-Prozesses vor dem Sondertribunal für den Libanon im niederländischen Leidschendam. Anklage gegen fünf Hisbollah-Mitglieder bleibt Beweise schuldig
Von Jürgen Cain Külbel *
Ersterbendes Tempo statt Paukenschlag: Am Donnerstag eröffnete das Sondertribunal für den Libanon (STL) in Leidschendam bei Den Haag den Prozeß gegen die vermeintlichen Mörder des libanesischen Expremiers Rafik Hariri. Die Anklage, die fünf Angehörige der schiitischen Hisbollah-Miliz der Planung und Ausführung des Terroraktes bezichtigt, wiederholte im mehrstündigen Eröffnungsplädoyer bekannte Indizien; harte Beweise präsentierte sie bislang nicht.
Unbekannte Terroristen hatten Hariri am 14. Februar 2005 in Beirut per Lkw-Bombe getötet; 23 Menschen starben, 276 wurden verletzt. Das 2007 vom UN-Sicherheitsrat installierte STL, das die Täter juristisch zur Verantwortung ziehen soll, hatte 2011 Haftbefehle gegen Mustafa Badreddine (52), Salim Ayyash (50), Hussein Oneissi (39), Assad Sabra (37) und 2013 gegen Hassan Merhi erlassen. Den Hisbollah-Mitgliedern, bei allen ist der Aufenthaltsort unbekannt, soll in Leidschendam der Prozeß »in absentia« gemacht werden. David Re, der Vorsitzende Richter, erklärte zum Auftakt, »das Verfahren würde genau so ablaufen, als wären die Angeklagten im Saal und hätten sich für nicht schuldig erklärt«.
Dann schlug die Stunde des leitenden Anklägers Norman Farrell. »Das libanesische Volk hat ein Recht auf diesen Prozeß und auf die Suche nach der Wahrheit«, tönte er. Demonstrativ hinter dem riesigen Modell des Anschlagsortes aufgebaut, unterstellte er den Angeklagten, die er weder gesehen noch gehört hat, eiskalt ein Motiv: »Es ist nicht so, daß es den Tätern einfach egal gewesen wäre, ihre Mitbürger zu töten. Sie hatten die Absicht, das so zu tun.« Und erdreistete sich, damit kein Zweifel an der Stoßrichtung seiner Anklagepolitik aufkomme: »Die Angreifer verwendeten eine außerordentliche Menge hochwertigen Sprengstoffes, weit mehr als erforderlich war, um ihr Hauptziel zu töten... Ihre Absicht war, … eine schreckliche Nachricht zu senden und Panik unter der Bevölkerung Beiruts und des Libanon zu verursachen«. Farrell suggerierte, die »Terrororganisation« Hisbollah stecke hinter der Bluttat von 2005. Das Schulterklopfen der Großspender für das Tribunal – USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland; der gebeutelte Libanon muß 49 Prozent der Finanzlast tragen –, dürfte ihm sicher sein. Für Hassan Nasrallah, Chef der Hisbollah, ist das Tribunal spätestens seit 2011 »ein amerikanisch-israelisches Komplott«. Die Angeklagten, seine »Brüder mit der ehrenvollen Vergangenheit«, wird er »nicht in 30 Tagen, nicht in 30 Jahren« ausliefern. Wer das versuche, »dem werde er die Hand abhacken«.
Farrell hat seine Anklage einzig auf Indizien aufgebaut: auf Verbindungsdaten von Mobiltelefonen, die die mutmaßlichen Attentäter innerhalb von fünf verschiedenen, teilweise geheimen Telekommunikationsnetzwerken genutzt haben sollen. Der assistierende Staatsanwalt Graeme Cameron mühte sich redlich, das Indizienkonstrukt noch am Nachmittag des ersten Prozeßtages verständlich an den Mann zu bringen. Doch der Teufel lag im Detail: mehrfach versagte die Tontechnik, den Übersetzern war der Vortrag zu schnell. Richter Re bat Cameron, am zweiten Prozeßtag weiter vorzutragen.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich erfreut über das Verfahren. Er stellte am Donnerstag »die entscheidende Bedeutung der Bekämpfung der Straflosigkeit für die langfristige Stabilität und Sicherheit des Libanon« heraus. Auch aus dem Weißen Haus kam Applaus.
Syriens Botschafter in Libanon, Ali Abdel-Karim Ali, sieht das anders: »Das Tribunal sollte auf die Lage in Libanon und die Region als Ganzes hinarbeiten und wirkliche Gerechtigkeit suchen, anstatt sie zu manipulieren. In der Region ist die Sicherheit zerstört worden. Die Gefräßigkeit Israels und des Westens, die dahinter steht, war für den Bombenanschlag, der dem Märtyrer Hariri das Leben nahm, verantwortlich.«
* Aus: junge Welt, Samstag, 18. Januar 2014
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