"Es gibt viel Diskriminierung, insbesondere bei Verhaftungen"
Die vielfältige Erniedrigung von Homo- und Transsexuellen im Libanon reicht bis zur Kriminalisierung. Gespräch mit Genwa Samhat *
Genwa Samhat ist Aktivistin der libanesischen Organisation Helem. Die Gruppe setzt sich für die Rechte lesbischer, schwuler, trans- und intersexueller Menschen (LGBT) ein.
Was sind die am weitesten verbreiteten Probleme, mit denen sich homo- und transsexuelle Menschen im Libanon konfrontiert sehen?
Zunächst einmal sind das ähnliche Schwierigkeiten, wie sie der Rest der Bevölkerung hat: Es sind Leute aus armen Verhältnis darunter, Menschen, die aus ländlichen Gegenden kommen, Flüchtlinge. Im Kern ist das größte Problem für LGBTs im Moment der Artikel 534 im Strafgesetz, der Homosexualität kriminalisiert. Helem setzt sich seit zehn Jahren dafür ein, diesen abzuschaffen. Dieser Prozess geht weiter, und wir werden da nicht aufgeben.
Ein weiteres Problem ist der Arbeitsmarkt, insbesondere für Transmenschen im Libanon, die es schwer haben, Jobs zu finden. Und es gibt eine Menge Diskriminierung von LGBTs im Alltag, insbesondere bei Verhaftungen durch die Polizei. Umso schwieriger wird es, wenn Personen von mehrfacher Diskriminierung betroffen sind, etwa wenn sie zusätzlich aus armen Verhältnissen kommen, Flüchtlinge oder Transmenschen sind.
Lassen Sie uns einen Moment beim Artikel 534 bleiben. Es gab die Meldung, dass dieser Artikel kürzlich durch richterliche Entscheidungen außer Kraft gesetzt wurde. Ist er also noch gültig oder nicht?
Zwei Richter haben entschieden, dass es nicht möglich ist, Homosexuelle aufgrund des Artikels 534 zu verurteilen, weil dieser Artikel nicht den Begriff »homosexuell« enthält, sondern von »unnatürlichen sexuellen Handlungen« spricht. Die Richter verlangten nun in ihrer Argumentation eine Definition dieser Formulierung. Homosexualität, so das Gericht, sei nach allen Erkenntnissen der Psychologie und Wissenschaft nicht »unnatürlich«, also greife der Artikel nicht.
Verbesserungen haben sich durchaus ergeben, seit wir eine Menge Anwälte haben, die bereit sind, entsprechende Angeklagte zu verteidigen. Nun gibt es tatsächlich Richter, die Verständnis zeigen und versuchen, ihren Job so zu machen, dass die negativen Auswirkungen minimiert werden. Allerdings probieren die Behörden mittlerweile, eine Reihe anderer vermeintlicher Delikte zur Anklage zu bringen, um den LGBTs das Leben schwerer zu machen.
Umfragen sagen, dass etwa 79 Prozent der libanesischen Bevölkerung Homosexualität ablehnen. Trifft das zu?
Ich würde sagen, das ist eine gute Schätzung. In Beirut hat man manchmal ein gegenteiliges Gefühl und denkt, es sei möglich, über Sexualität zu diskutieren. Aber außerhalb der Hauptstadt ist das nicht so. In ländlichen Gegenden gibt es überhaupt keinen Diskurs. Die Menschen da sind oft schockiert, wenn sie von uns hören, insbesondere da sie nichts anderes über Homosexualität mitkriegen als homophobe Artikel oder Beiträge im Fernsehen. Sie wird als etwas Pervertiertes porträtiert, Schwule und Lesben als Menschen, die übersexualisiert sind und an nichts anderes denken.
Sie unterstützen auch die BoykottkampagneBDS gegen Israel. In Europa vertreten viele die Auffassung, gerade für Homosexuelle sei Israel eine wünschenswerte Zuflucht in der Region …
Wir sind gegen jeden Versuch des »Pinkwashing«, also des Versuchs der Imagepflege für Israel als vermeintliche Bastion von LGBT-Rechten. Seit unseren Anfängen gehen wir dagegen an. Wir können den antiimperialistischen Kampf und den für LGBT-Rechte zur selben Zeit führen.
Zu der Theorie, dass Israel der einzige Staat in der Region sei, der Homosexuelle schützt, will ich zwei Dinge sagen. Erstens, Helem erkennt Israel nicht als einen Staat an, Israel besetzt vielmehr einen Staat. Zweitens glauben wir, dass die meisten Debatten auf der Welt, inklusive die, die wir selber führen, medial beeinflusst sind.
Im gesamten Mittleren Osten wissen die LGBT-Communities über Israel Bescheid. Wir kämpfen, weil wir uns gegen jede Verletzung von Menschenrechten stellen und gegen jede Missachtung menschlicher Würde – und genau das ist es, was Israel anderen in der Region angetan hat.
Interview: Miray Erbey
* Aus: junge Welt, Samstag, 28. Februar 2015
Zurück zur Libanon-Seite
Zur Libanon-Seite (Beiträge vor 2014)
Zurück zur Homepage