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Spannungen im Libanon

Parlamentswahlen von Juni 2013 auf November 2014 verschoben

Von Karin Leukefeld *

Entgegen einer Empfehlung von Präsident Michel Sleiman hat das libanesische Parlament die bevorstehenden Parlamentswahlen auf November 2014 verschoben. Eigentlich sollte bereits in zwei Wochen, am 16. Juni, ein neues Parlament gewählt werden, doch die verschiedenen Parteien konnten sich nicht rechtzeitig auf ein neues Wahlgesetz einigen. Sleiman hatte daraufhin eine Verschiebung um wenige Wochen vorgeschlagen. Am Wochenende aber zogen 98 der 128 Abgeordneten es vor, ihre Amtszeit um 17 Monate zu verlängern. Die 30 Abgeordneten der Freien Patriotischen Bewegung von General Michel Aoun, die dem Bündnis »Bewegung 8. März« mit der Hisbollah angehören, waren der Abstimmung ferngeblieben.

Befürworter der Entscheidung erklärten, die Sicherheitslage sei aufgrund des Krieges in Syrien instabil. Kritik an der Entscheidung kam von Bürgerrechtsgruppen, die zu einer Protestkundgebung vor dem Sitz des Parlaments mobilisiert hatten. Ein Teilnehmer der Kundgebung, dessen Namen in libanesischen Medien mit Assad Thebian angegeben wurde, erklärte, das Parlament habe kein Recht zu einer solchen Entscheidung. »Sie hatten vier Jahre Zeit, um die Wahlen vorzubereiten. Es ist eine Schande, daß sie bis zur letzten Minute warten, um ihre eigene Amtszeit zu verlängern und dann auch noch die Sicherheitslage als Entschuldigung vorschieben.«

Die politischen Parteien im Libanon, die sich mehrheitlich entlang konfessioneller Zugehörigkeit organisieren, sind über ein neues Wahlgesetz tief gespalten. Eine Reform des Wahlrechts war nach dem Ende des Bürgerkrieges (1984–1990) beschlossen worden, wurde aber immer wieder verschoben. Ministerpräsident Najib Mikati war im März zurückgetreten. Seinem designierten Nachfolger, Tammam Salam, ist es seitdem nicht gelungen, eine neue Regierung zu bilden.

Hintergrund der angespannten Lage ist die Spaltung der libanesischen Parteien über die Lage in Syrien. Die Zukunftspartei von Saad Hariri und die Bewegung des 14. März, der auch der frühere Ministerpräsident Fouad Siniora angehört, unterstützen die Aufständischen in Syrien mit Geld und Waffen. Man hilft auch dabei, die Nachschubwege aus dem Norden Libanons nach Syrien hinein offenzuhalten. Die Parteien der Bewegung des 8. März, insbesondere die Hisbollah, hat sich mittlerweile offen an die Seite des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad und der regulären Streitkräfte gestellt. In der Stadt Kusair, die im Grenzgebiet zwischen Syrien und Libanon liegt, geht der Kampf in die dritte Woche. Er wird von beiden Seiten als »Entscheidungsschlacht« eingestuft.

Im Libanon hat der Konflikt um Syrien in der nordlibanesischen Hafenstadt Tripoli bereits mehr als 30 Tote gefordert. Nach einem Tag relativer Ruhe am Sonntag kam es Montag zu neuen Kämpfen, denen fünf Personen zum Opfer fielen. Libanesische Sicherheitskräfte verglichen die Lage in Teilen Tripolis mit der »Gesetzlosigkeit in Kandahar« (Afghanistan). Verschiedene Parteien im Libanon und in der Region hätten die Armut lokaler Anwohner ausgenutzt, sie mit Waffen ausgerüstet und bezahlt. Diese Kämpfer hätten inzwischen mehr Macht »als anerkannte, alteingesessene politische und religiöse Persönlichkeiten«, wird ein anonymer Geheimdienstbeamter in der libanesischen Zeitung The Daily Star zitiert. »Alle politischen Parteien im Libanon und in Tripoli müssen den Kämpfern ihren Schutz entziehen, bevor es zu spät ist.« Die Armee sei zwar von der Aufklärung und ihrer Aufrüstung her in der Lage, den Kämpfen Einhalt zu gebieten. Weil sie aber »keine politische Rückendeckung durch den libanesischen Staat« habe, fungiere sie lediglich als Puffer zwischen den Kampfparteien. Der Beamte wies auf das alarmierende Anwachsen der salafistischen Bewegung in Tripoli hin. In deren Moscheen und Religionsschulen würden radikale Prediger (Scheichs) täglich die Kämpfer zum Heiligen Krieg in Syrien aufrufen.

Islamistische Aufständische haben am Wochenende erstmals auch Orte in der nördlichen Bekaa-Ebene angegriffen, in denen die Hisbollah über eine politische Mehrheit verfügt. Anwohnern zufolge waren Raketen in Ortschaften im Hermel-Gebirge eingeschlagen, richteten allerdings keinen Schaden an. Bei einer militärischen Gegenoffensive der Hisbollah gegen Aufständische im Grenzgebiet bei Ain el-Jaouze wurden anonymen Quellen zufolge 15 Aufständische und ein Hisbollah-Kämpfer getötet. Salafistische und andere sunnitische Gotteskrieger, die sich Journalisten gegenüber als »Freie Syrische Armee« bezeichnen, haben angekündigt, den Kampf gegen Präsident Assad nun auch gegen die Hisbollah im Libanon auszuweiten.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 5. Juni 2013


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