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Bürgerkrieg im Libanon – Ursachen und Verlauf

Von Knut Mellenthin*

15 Jahre lang, von 1975 bis 1990, tobten in dem Nahoststaat heftige Kämpfe mit rasch wechselnden Fronten und Bündnissen. Das Land steht heute möglicherweise, wenn auch unter gewandelten Verhältnissen, vor einer Neuauflage alter Konfrontationen

Ein entscheidender Auslöser des Bürgerkriegs war die komplizierte demographische und soziale Situation des Landes – und deren Veränderung im Laufe der Zeit. Nach dem Ersten Weltkrieg waren Syrien und Libanon, zuvor Teil des Osmanischen Reichs, unter französische Herrschaft geraten. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Libanon 1941 zum selbständigen Staat erklärt, was vor allem einen pragmatischen Grund hatte: die Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht und die Kollaboration der in Vichy residierenden französischen Regierung mit dem Deutschen Reich. 1943 wurde eine libanesische Verfassung verabschiedet, die die Machtverhältnisse im Land nach der damaligen Bevölkerungsverteilung regelte: Der Präsident muß ein Christ sein, der Ministerpräsident ein sunnitischer Moslem, der Parlamentssprecher ein Schiit. Für alle Gruppen und Untergruppen wurden feste Kontingente von Abgeordneten im Parlament festgelegt, wobei eine Mehrheit von sechs zu fünf zugunsten der Christen vorgesehen war.

Die Machtteilung von 1943

Christen bildeten damals, nach einer 1932 durchgeführten Volkszählung, etwa 51 bis 52 Prozent der libanesischen Bevölkerung. Das war zum damaligen Zeitpunkt nicht nur ein demographischer, sondern auch ein sozialer Faktor: Die reichsten Clans und Familien Libanons waren Christen, während die Schiiten überwiegend zum ärmsten Bevölkerungsteil gehörten.

Die sehr starre Verfassung von 1943 geriet durch den wachsenden Anteil der Moslems, von denen einige auch in die Großbourgeoisie aufstiegen, immer mehr in Widerspruch zur Realität. Schon 1958 wußte sich ein christlicher Präsident angesichts der wachsenden Opposition nur dadurch zu helfen, daß er US-amerikanische Militärhilfe anforderte. Prompt landeten US-Truppen und »stabilisierten« die Lage.

Zusätzlich zur normalen demographischen Entwicklung erhielt die moslemische Bevölkerung des Landes Anfang der 70er Jahre einen weiteren Schub, als die PLO, und mit ihr zigtausende palästinensische Flüchtlinge, 1971 aus Jordanien vertrieben wurden. Sie veränderten nicht nur die demographischen Verhältnisse Libanons, sondern die Kämpfer der PLO stellten auch die mit Abstand stärkste militärische Kraft dar, die entscheidend für die Verteilung der realen Macht wurde. Die moslemischen Parteien arbeiteten deshalb zunächst mit der PLO und deren einzelnen Organisationen eng zusammen.

Als Beginn des libanesischen Bürgerkriegs gilt allgemein der 13. April 1975. An diesem Tag griffen Unbekannte eine Kirche an und töteten mehrere Menschen. Zur Vergeltung stoppten christliche Milizen in Beirut einen Bus und erschossen 27 Fahrgäste, überwiegend Palästinenser.

Nach diesem Massaker griff der Bürgerkrieg rasch auf das ganze Land über. Die christlichen Milizen, die sich einer Front sunnitischer, schiitischer, drusischer und palästinensischer Formationen gegenüber sahen, gerieten in Bedrängnis.

Unter dem Vorwand, im Bürgerkrieg vermitteln und schlichten zu wollen, schickte die syrische Regierung im Mai 1976 Truppen in den Libanon. Tatsächlich griffen diese aber sehr einseitig zugunsten der christlichen Milizen ein und veränderten innerhalb weniger Wochen und Monate das Kräfteverhältnis entscheidend. Syrien sah sich deswegen zunächst scharfen Angriffen aus der arabischen Welt ausgesetzt, die aber mehr populistischer als realpolitischer Natur waren.

Auf einer Konferenz im saudi-arabischen Riad am 16. Oktober 1976 wurde die Rolle Syriens im Libanon de facto gutgeheißen und zeitlich unbegrenzt festgeschrieben. Es wurde eine »arabische Abschreckungsstreitkraft« konstituiert, zu der Saudi-Arabien, die Golfstaaten, Sudan und Libyen zwar kleine Kontingente beisteuerten, die aber überwiegend aus syrischen Soldaten bestand.

Zweifellos erfolgte die damalige syrische Intervention mit Billigung, wenn nicht gar auf Aufforderung der USA und wohl auch mit stillschweigendem Einverständnis Israels. Das militärische Eingreifen Syriens stabilisierte die anachronistisch gewordene Dominanz der Christen und insbesondere der reichen und mächtigen christlichen Clans. Damit legte es aber auch die Grundlagen zu einem 15 Jahre währenden Bürgerkrieg, der das Land, vor allem aber seine Hauptstadt, in Trümmern zurückließ.

Die israelischen Interventionen

Israel begann spätestens 1977, sich im Libanon durch Unterstützung christlicher Parteien und Milizen massiv einzumischen. Im Südlibanon rüsteten die Israelis die Truppen von Saad Haddad, eines ehemaligen Majors der libanesischen Armee, aus, die de facto unter israelischem Oberkommando standen. Haddads etwa 3.000 Mann starke Miliz, die als Südlibanon-Armee (SLA) bekannt wurde, errichtete in der Grenzregion zu Israel eine Schreckensherrschaft gegen die muslimische Bevölkerung.

Mitte März 1978 nahm Israel eine palästinensische Kommandoaktion in der Nähe Haifas zum Anlaß, mit 25.000 Soldaten in den Südlibanon einzufallen und bis an den Fluß Litani vorzurücken. Bei der sogenannten Operation Litani gab es Tausende Tote und Verletzte, überwiegend unter der Zivilbevölkerung.

Der UNO-Sicherheitsrat forderte Israel am 19. März 1978 zum Abzug aller Truppen aus dem Libanon auf. Im Juni zog die israelische Armee sich zurück, übergab das besetzte Gebiet aber der SLA, die es in enger Kooperation mit den Israelis bis zu ihrer militärischen Zerschlagung Ende der 90er Jahre besetzt hielt.

Israels Gefolgsmann Haddad war jedoch in der libanesischen Politik nur ein relativ unbedeutender Außenseiter mit einem sehr begrenzten Einflußbereich. In erster Linie setzte Israel damals auf einen der großen christlichen Clans, die Gemayels und ihre »falangistische« Miliz. Mit Unterstützung und Ermunterung Israels zerschlugen die Truppen der Gemayels in den Jahren 1978–80 die Milizen der beiden wichtigsten anderen christlichen Clans, der Schamuns und der Franjiehs. Israel schreckte durch einen Aufmarsch an der Grenze und den Einsatz seiner Luftwaffe über libanesischem Gebiet die Syrer davon ab, in die Kämpfe einzugreifen. Die Gemayels gewannen auf diese Weise eine dominierende Stellung im christlichen Teil Beiruts und des Libanon.

Im Laufe des Jahres 1981 spitzte sich die Situation im Libanon zu. Auf vereinzelte palästinensische Kommandoaktionen reagierte Israel mit Artilleriefeuer, Luftangriffen und Beschuß von der Seeseite gegen angebliche »PLO-Stützpunkte«, bei denen es sich in der Realität zumeist um Flüchtlingslager handelte. In der Regel hatten die Ziele der israelischen »Vergeltungsaktionen« mit den vorausgegangenen Anschlägen nicht das Geringste zu tun. Oft erfolgten die israelischen Flächenangriffe auch »vorbeugend«, ohne konkreten Anlaß. Tatsächlich ging es darum, die PLO ganz aus dem Südlibanon zu vertreiben.

Der Abzug der PLO aus Beirut

Anfang Juni 1982 griff die israelische Armee den Libanon mit Zehntausenden Soldaten an. Die sogenannte Operation Frieden für Galilea sollte nach den ersten Ankündigungen eine bis zu 40 Kilometer tiefe Zone im Südlibanon »säubern« und »sichern«. Die israelischen Truppen rückten aber weiter bis Beirut vor und schlossen den moslemischen Westteil der Stadt, in dem sich auch das Hauptquartier der PLO befand, ein. 70 Tage dauerte die Belagerung, Beschießung und Bombardierung Beiruts. Der damalige Verteidigungsminister Ariel Scharon definierte als Ziel unmißverständlich die »Vernichtung« der PLO.

Angesichts der großen Opfer und Leiden der Zivilbevölkerung wuchs der Druck auf die PLO, sich zum Verlassen der Stadt bereit zu erklären. Auch bisherige Verbündete der Palästinenser äußerten sich immer deutlicher in dieser Weise. So wurde schließlich unter diplomatischer Führung der USA eine Evakuierung von über 10.000 palästinensischen Kämpfern und 3.600 syrischen Soldaten aus Beirut vereinbart.

Am 1. September war der Abzug abgeschlossen. Eine internationale Truppe (MNF), bestehend aus US-Amerikanern, Franzosen und Italienern, sollte eine Pufferzone bilden und den Schutz der moslemischen Zivilbevölkerung übernehmen. Statt dessen zog sich die MNF sehr schnell wieder aus Beirut zurück und überließ die Stadt der von den Israelis unterstützten Miliz des Gemayel-Clans.

Am 23. August 1982 wählte das eingeschüchterte libanesische Parlament Baschir Gemayel zum Präsidenten. Kurz darauf, am 14. September, fiel er einem Sprengstoffanschlag auf das Hauptquartier seiner »Falange«-Partei zum Opfer. Am Abend des 16. Dezember schickte die israelische Armee einige hundert christliche Milizionäre in die von ihr abgeriegelten palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila. Darunter neben Anhängern der Gemayels auch Leute der SLA. Unter dem Schutz der israelischen Armee wurden mindestens 700 bis 800 Palästinenser massakriert. Verteidigungsminister Scharon mußte später wegen dieses Massakers zurücktreten und verschwand danach für etliche Jahre aus der vordersten Reihe der israelischen Politik, bis er im Februar 2001 als Ministerpräsident wieder auftauchte.

Im Laufe der Jahre 1983–85 zog sich die israelische Armee in Etappen aus dem Libanon zurück. Nur in der von der SLA beherrschten »Sicherheitszone« an der Grenze verblieben noch bis zum Jahr 2000 israelische Soldaten und Militäreinrichtungen.

Nach Schätzungen des Internationalen Roten Kreuzes starben aufgrund der israelischen Aggression fast 18.000 Libanesen; mehr als 30.000 erlitten Verletzungen.

Das Scheitern der MNF

Die Multinational Force, MNF, bestand aus maximal 1.400 Amerikanern, 2.200 Italienern und 1.500 Franzosen sowie einer kleinen britischen Abteilung. Die MNF war zunächst von den meisten libanesischen Bevölkerungsgruppen und Parteien wie auch von der PLO als Schutz gegen die israelische Armee und vielleicht auch als vermittelnde Kraft im Bürgerkrieg sehr gut aufgenommen worden. Der Rückzug der MNF aus Westbeirut, der das Massaker von Sabra und Schatila ermöglichte, warf darauf einen ersten schweren Schatten. Zunehmend wurde die MNF als zusätzliche Besatzungsarmee empfunden, zumal als mit der ersten Phase des israelischen Rückzugs die unmittelbare Bedrohung Beiruts nachließ. Außerdem wirkte sich die äußerst einseitige Unterstützung des Gemayel-Clans – für den inzwischen Amin Gemayel, ein Bruder des Ermordeten, Präsident geworden war – negativ auf das Ansehen der MNF aus.

Im April 1983 wurde die US-Botschaft in Beirut, in der auch die CIA-Zentrale für den ganzen Nahen Osten untergebracht war, durch einen Bombenanschlag zerstört. Im September 1983 mischte sich die MNF massiv in die Kämpfe zwischen den Drusen – einer islamischen Gruppe – und der Falange-Miliz in der Schuf-Region ein, indem sie angebliche Drusen-Stützpunkte bombardierte und mit Kriegsschiffen beschoß. Neben den Amerikanern beteiligten sich auch die Franzosen als ehemalige Kolonialmacht des Libanon sehr aktiv an diesen Angriffen.

Am 23. Oktober 1983 wurden US-amerikanische und französische Militäranlagen in Beirut von außerordentlich schweren Sprengstoffanschlägen getroffen. 241 US-Marines und 56 französische Fallschirmjäger starben. Als Urheber der Anschläge erklärten sich mehrere schiitische Gruppen. Bald darauf wurde die MNF aus dem Libanon abgezogen.

In der Folgezeit entbrannte der libanesische Bürgerkrieg aufs neue, mit ständig wechselnden Bündniskonstellationen.

Aouns Feldzug gegen die Syrer

Im September 1988 ernannte Präsident Amin Gemayel zum Ende seiner Amtszeit den christlichen Armeechef General Michel Aoun zum Chef einer militärischen Übergangsregierung. Gleichzeitig gab es aber eine rechtmäßige Regierung unter einem moslemischen Ministerpräsidenten. Libanon hatte nun also zwei Regierungen, die eine in Westbeirut, die andere in Ostbeirut.

Nachdem drusische und moslemische Milizen, die von den Syrern unterstützt wurden, den christlichen Ostteil Beiruts beschossen hatten, erklärte Aoun, die »Schlacht zur Befreiung des Landes von den Syrern« habe begonnen. Syrien hatte zu dieser Zeit noch etwa 40.000 Soldaten im Libanon stationiert. Aoun wurde, in einer sehr seltsamen Bündniskonstellation, in seinem Kampf gegen die Syrer unterstützt vom Irak Saddam Husseins. Aouns moslemische Gegner wurden nicht nur von Syrien, sondern zunehmend auch vom Iran unterstützt. Vor allem im Süden Libanons gewann die von Teheran geförderte schiitische Hisbollah immer mehr an Bedeutung.

Am 22. September 1989 trat ein von der Arabischen Liga vermittelter Waffenstillstand in Kraft. Am 1. Oktober 1989 begannen Verhandlungen der Abgeordneten des libanesischen Parlaments und der Bürgerkriegsparteien im saudi-arabischen Taif. Zwei Wochen später kam ein Abkommen zustande, das die »Verfassung« von 1943 ersetzte und bis heute die Grundlage der Machtteilung im Libanon darstellt. Das Abkommen von Taif trug der veränderten demographischen Situation im Libanon ansatzweise Rechnung, indem es festlegte, daß künftig jeweils die Hälfte der Abgeordneten Moslems und Christen sein sollen. Unverändert blieb die Regelung, daß der Präsident ein Christ sein soll. Aber sie hat dadurch an Bedeutung verloren, daß die zuvor sehr weitgehenden Vollmachten des Präsidenten stark eingeschränkt wurden.

Ein wichtiger Punkt des Abkommens war die Entwaffnung und Auflösung sämtlicher Milizen. Mit einer einzigen Ausnahme: der im Süden des Landes aktiven schiitischen Hisbollah, die aber militärisch ausschließlich gegen Israel agiert und sich ansonsten zu einer normalen politischen Partei transformiert hat, die im Beiruter Parlament mit Abgeordneten vertreten ist.

Bezüglich der syrischen Truppen wurde im Taif-Abkommen vereinbart, daß sie schrittweise aus dem Libanon abgezogen werden sollen. Allerdings gibt es im Abkommen dafür keinen Zeitplan. Tatsächlich wurde aber die Zahl der syrischen Soldaten seither auf 15.000 gesenkt, die fast nur im grenznahen Gebiet stationiert sind.

Der Favorit der US-Neocons

Das Abkommen von Taif markiert weitgehend das Ende des libanesischen Bürgerkriegs. Allerdings noch nicht vollständig, da General Aoun die Einigung nicht anerkennen wollte. Am 5. November 1989 wählte das Parlament den Christen Rene Mouwad zum Präsidenten, während Aoun darauf beharrte, rechtmäßiges Staatsoberhaupt zu sein. Am 22. November kam Mouwad bei einem Bombenanschlag ums Leben. Sein Nachfolger Elias Hrawi stellte Aoun ein Ultimatum, den Präsidentenpalast zu verlassen. Die Konfrontation zog sich noch bis Oktober 1990 hin, als syrische Panzer um den Palast Stellung bezogen. Erst dann war Aoun bereit, nach Frankreich ins Exil zu gehen. Der Exgeneral ist seither der Favorit der amerikanischen Neokonservativen für die Zeit nach einer »Revolution« im Libanon.

In der sogenannten Opposition des Libanon gibt es praktisch keine einzige nennenswerte Gruppierung, die nicht zu irgendeinem Zeitpunkt der letzten 20 Jahre mit Syrien zusammengearbeitet hat. Der in den Medien als »Oppositionsführer« hochgespielte Drusenführer Walid Dschumblat ist eine der zwielichtigsten Figuren des Bürgerkriegs der 70er und 80er Jahre. Mit fast jedem war er irgendwann einmal verbündet, gegen fast jeden hat er irgendwann einmal gekämpft. 1983 machten die Amerikaner, die ihn jetzt offenbar unterstützen, Jagd auf ihn.

Im Libanon bereiten amerikanische Kreise, die mittlerweile schon über einige praktische Erfahrungen im Finanzieren und Organisieren solcher Events besitzen, eine ihrer »Revolutionen« vor, für die ihnen vermutlich auch noch ein passender Name einfallen wird. Sie wird an den wirklichen, verwickelten Machtverhältnissen im Libanon nicht viel ändern. Weit mehr scheint es darum zu gehen, den Druck auf Damaskus zu verstärken und Militäraktionen gegen Syrien näher zu kommen. Zusammen mit Iran bildet Syrien den nächsten Angriffspunkt in der Strategie der amerikanischen Neokonservativen. Gegenüber Iran hat es jedoch den zweifelhaften Vorzug, der bei weitem verdaulichere – und daher wohl unmittelbar nächste – Brocken zu sein.

* Der Beitrag erschien am 1. März 2005 in der Tageszeitung "junge Welt".


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