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Warnung vor einem Bürgerkrieg

"Treffen der Linksparteien" des Libanon *

02.02.2011: Mit Sorgen blicken die extremistisch rechte Regierung Israels und ihre Bündnisgenossen in den USA und der EU auf die aktuellen Ereignisse und Volkserhebungen in ihrem Umfeld. Denn es droht eine Schwächung und ein Abbröckeln des eigenen Einflusses und der westlichen Hegemonie. Und die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, hatte das sicherlich auch im Hinterkopf, als sie gestern in Israel anmahnte, den sogenannten 'Friedensprozess' mit den Palästinensern wieder in Gang zu setzen - solange es noch Zeit und Optionen dafür gäbe ... ! Was in Ägypten jedoch erst noch und hoffentlich bald ansteht: im Libanon hat die letzte Regierungsbildung den Prozess "Nationen wollen ihre Befreiung" schon voran gebracht.

Am 12. Januar 2011 hatte die schiitische Hisbollah durch den Rückzug ihrer 10 Minister aus der Regierung von Saad Hariri deren Auflösung erzwungen. Hintergrund war, dass Hariri unter großem Druck der USA nicht bereit war, dem exterritorialen und von den USA und ihren Verbündeten beherrschten UN-Tribunal zur Aufklärung des Mordes an Hariris Vater im Februar 2005 das Mandat und die finanziellen Mittel des Libanon zu entziehen.

Das UN-Tribunal hatte sich in der Vergangenheit bereits lächerlich gemacht, als erste Verdächtigungen und Anklageabsichten gegen syrische Kräfte sich als auf erfundene und gelogene 'Beweise' gegründet erwiesen. Seither wurden vom UN-Tribunal Verdächtigungen in Richtung Hisbollah aufgebaut, was diese jedoch stets kategorisch - und mit nachvollziehbaren Gründen - als falsch und böswillig konstruiert zurück wies. Eine Verlagerung der Mord-Untersuchungen auf ein libanesisches Gericht hätte jedoch den USA die Gestaltung des Verfahrens aus der Hand genommen.

Nach dem Zerfall der Regierung des Libanons im Januar und bisher zeigte sich, dass das Land ohne Einmischung von außen durchaus in der Lage ist, seine Einheit zu stärken. Den von der Hisbollah geführten 'Kräften des 8. März', die zusammen vorher 60 Stimmen von 128 im Parlament hatten, schlossen sich die Abgeordneten der Sozialistischen Fortschrittspartei unter Führung von Walid Dschumblat am 22. Januar an. Diese Koalition erreichte damit 68 Stimmen und eine sichere Mehrheit. Dschumblat hatte dabei erklärt, sein Platz sei "an der Seite des Widerstandes", die neue libanesische Regierung müsse sich von dem UN-Tribunal lossagen, es sei zu einem "Werk der Zerstörung (des Libanons)" und zu einem "Ort des Kuhhandels" geworden.

Damit wurden die auf eine Kollaboration mit den USA hin orientierten 'Kräfte des 14. März' von Saad Hariri in die Opposition gedrängt und der neue (sunnitische) Ministerpräsident Najiid Mikati wurde nach diversen internen Verhandlungen vom libanesischen Parlament am 24.1. gewählt und von Staatspräsident Sleiman danach zum Ministerpräsidenten ernannt. Trotz einiger heftiger Protestaktionen der Opposition ist der Libanon dadurch jedoch bisher nicht zerfallen, in einen Bürgerkrieg abgetrieben oder zu einem Vasallen des Irans geworden. Allerdings sind diese Gefahren nicht gebannt und das Land sieht sich immer noch schwierigen Aufgaben gegenüber, zur Zusammenarbeit mit dem UN-Tribunal gibt es noch keine offizielle Entscheidung, der Streit mit Israel über die Ausbeutung von Öl- und Gasfeldern vor der Küste Libanons kann sich jederzeit zuspitzen und auch eine evtl. kriegerische Aktion Israels über die gemeinsame Landgrenze hinweg ist keineswegs ganz ausgeschlossen.

In dieser Lage kamen am letzten Wochenende in Beirut auf Einladung der Libanesischen Kommunistischen Partei (LKP) verschiedene linke Parteien zusammen, um sich hinsichtlich der aktuellen Entwicklungen im Libanon, aber auch hinsichtlich der Volkserhebungen im arabischen Sprachraum zu verständigen.

In einem gemeinsamen Kommunique darüber heisst es:


Die 'Versammlung der Linksparteien des Libanons' ist der Auffassung, dass der Libanon gegenwärtig eine äußerst kritische Phase durchläuft, die seine innere Stabilität und sogar seine Existenz gefährdet. Diese gefährliche Situation hat ihre Ursache in der Verflechtung der tief gehenden inneren Krise des Libanon mit der Einmischung der USA in seine inneren Angelegenheiten, eine Einmischung, die sowohl direkt als auch über das 'UN-Sondertribunal Libanon' erfolgt, welches dazu benutzt wird, unser Land in einen neuen Bürgerkrieg zu stoßen und so einer neuen israelischen Aggression gegen unser Volk Vorschub zu leisten.

In diesem Zusammenhang betont die 'Versammlung der Linksparteien des Libanons', dass die Probleme und Gefahren des Libanon seinem politischen, auf konfessioneller Spaltung beruhenden Herrschaftsystem, wie auch dem Verhalten und den Handlungen seiner herrschenden politischen Klasse geschuldet sind: Diese Klasse lässt nicht davon ab, die Bevölkerung mit Hilfe religiöser und konfessioneller Konflikte zu spalten, um den verschiedenen daran Beteiligten zu ermöglichen, unter sich den 'Kuchen der Macht' aufzuteilen oder zwischenkonfessionelle Kompromisse zu schließen, die mit den Interessen der Masse der Bevölkerung und dem Vaterland nichts zu tun haben.

Das Treffen warnt vor der Gefahr, dass der Libanon in innere Spannungen oder infolge einer sich verstärkenden religiösen und konfessionellen Mobilisierung in einen Bürgerkrieg fallen könnte, was nur Wasser auf die Mühlen der USA wäre. Darum kann eine Abwehr dieser Absichten, zur Bewahrung des inneren Friedens und um und eine Lösung für die ständigen Krisen zu finden, nicht darin bestehen, den konfessionellen Kompromiss zu erneuern, unabhängig davon welche Konfession die Oberhand gewinnt, sondern letztlich nur in grundlegenden Veränderungen, die das herrschende konfessionelle durch ein demokratisches, laizistisches System ablösen, welches sowohl Gleichheit wie soziale Gerechtigkeit für die libanesische Bevölkerung garantiert.

Die 'Versammlung der Linksparteien des Libanon' sieht in der heldenhaften Intifada des tunesischen Volkes gegen eines der Symbole der Diktaturen, die die arabischen Völker unterdrücken, die Flamme, die die arabische Welt erleuchtet und die Erhebung des ägyptischen Volkes inspiriert, gegen die herrschende imperialistische Allianz, wie sie das Abkommen von Camp David geschaffen hat. Die 'Versammlung der Linksparteien des Libanon' erkennt im Aufstand der anderen arabischen Völker den Versuch, die Landkarte der Region neu zu zeichnen und dem Plan eines 'Neuen Nahen Ostens' sowie auch denen entgegen zu treten, die seine Instrumente im Nahen Osten sind, das heißt, den Unterdrückungsregimen, unter deren Schirm die imperialistischen zionistischen Pläne gedeihen und die diesen Plänen durch Unterdrückung, Unrecht, Verhaftungen und Korruption den Weg bereiten.

Die 'Versammlung der Linksparteien des Libanon' betont ihre Unterstützung für die Erhebungen der arabischen Völker Tunesiens, Ägyptens, Jordaniens und Algeriens wie auch aller zukünftigen Aufstände gegen die Unterdrückungsregime, doch sie warnt auch vor den Gefahren eines Komplotts zur Beendigung dieser Aufstände, wie sie von den herrschenden Kreisen oder auch von äußeren Kräften beabsichtigt sein könnte, vor allem von den USA und ihrem militärischen Arm, der NATO. Deswegen rufen wir alle linken, fortschrittlichen Kräfte der arabischen Welt auf, diese Erhebungen zu unterstützen und zu schützen und sie mit dem Ziel der Verwirklichung einer echten Beendigung aller Formen der Ausbeutung, des Elends und der Unterdrückung zu führen. Die 'Versammlung der Linksparteien des Libanons' hat eine Solidaritätskampagne mit der Intifada beschlossen, sowohl international wie auch vor Ort. Wir haben außerdem beschlossen, unsere Treffen zu öffnen, damit ein libanesisches Kampfprogramm auf politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ebene entstehen kann.

Beirut, 30. Januar 2011



Text: hth / Übersetzung: hali

* Quelle: Internet-Zeitung der DKP: "kommunisten.de"; http://kommunisten.eu


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