"Wir müssen eine Lösung finden"
Zwei Jahre nach dem Mord an Expremier Hariri steckt Libanon in einer schweren politischen Krise / Der heutige nationale Trauertag zeigt die Bevölkerung des Landes tief gespalten
Von Karin Leukefeld *
Ein nationaler Trauertag in Libanon soll am heutigen Mittwoch (14. Februar 2007) an die Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri erinnern. Das Rumpfkabinett des libanesischen Premiers Fuad Siniora hatte vor wenigen Tagen beschlossen, dass Schulen, Universitäten und öffentliche Einrichtungen geschlossen bleiben. Das Regierungslager rief die Libanesen auf, »massenweise« an dem Gedenken für Rafik Hariri auf dem Märtyrerplatz im Zentrum Beiruts teilzunehmen. Um 13 Uhr ist ein Gebet in der Rafik-Hariri-Grabmoschee vorgesehen.
Zwei Jahre nach dem Attentat ist die politische Lage in Libanon angespannt. Nach dem Sommerkrieg 2006 folgte eine politische Krise, die bis heute anhält.
Ende November zogen sich die fünf Minister der Hisbollah aus der Regierung zurück und forderten eine angemessenere Beteiligung von zehn Ministerposten oder vorgezogene Neuwahlen. Seit Anfang Dezember campiert die von der Hisbollah geführte Opposition mit einer Zeltstadt direkt vor dem Regierungsgebäude, um die Forderung zu unterstützen. Unterdessen hat die libanesische Armee die Grabmoschee von Rafik Hariri, die in unmittelbarer Nähe der Zeltstadt liegt, hermetisch abgeriegelt.
Ministerpräsident Fuad Siniora erwies sich bisher immun gegenüber den Forderungen der Opposition, er wird massiv von westlichen Politikern in seiner Haltung unterstützt oder auch dazu gedrängt, wie es Sayed Khodor Nour Eldeen vom Führungsrat der Hisbollah im ND-Gespräch ausdrückte. Im Regierungspalast gehen westliche Botschafter und Außenminister ein und aus, besonders häufiger Gast ist USA-Botschafter Jeffrey Feldmann.
Die libanesische Bevölkerung ist gespalten, wie eine Umfrage des Beiruter Zentrums für Forschung und Information zeigt (siehe rechte Spalte). Nach blutigen Auseinandersetzungen Ende Januar, bei denen sieben Menschen starben und 300 verletzt wurden, wächst die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg. Gleichzeitig nehmen die Stimmen zu, die für einen politischen Dialog plädieren.
»Die schweigende Mehrheit wird immer größer«, meint Herr George, Empfangschef in einem weitgehend leer stehenden Vier-Sterne Hotel im Zentrum Beiruts. »Ich würde zu Hassan Nasrallah gehen und ihn auffordern, die Proteste zu beenden«, sagt er auf die Frage, was er tun würde, wenn er Fuad Siniora wäre. Nasrallah sei ehrlich, er halte sein Wort. »Wir müssen eine Lösung finden, sonst gibt es hier eine Katastrophe, schon jetzt ist das Land wie eingefroren.«
Vor einigen Tagen folgten rund 300 Frauen dem Aufruf der Libanesischen Liga für Frauenrechte und forderten bei einer Kundgebung ein Ende der »konfessionellen Hassreden«. Die Politiker müssten »an den Verhandlungstisch zurückkehren, um eine nationale, säkulare Lösung« für Libanon zu finden.
Die vorwiegend älteren Frauen warnten vor einem neuen Bürgerkrieg. »Mehr als 100 000 Tote, mehr als 100 000 Behinderte, mehr als 17 000 Vermisste sind der Preis des letzten Bürgerkrieges«, war auf einem der Transparente zu lesen.
Eine andere Gruppe nennt sich »11. März«. Der Name soll die Mitte zwischen den Kräften des 14. März (Saad Hariri, Regierungslager) und 8. März (Hisbollah, Opposition) markieren. Auf großen Werbetafeln wirbt die Initiative, der vor allem Geschäftsleute angehören, mit dem Slogan: »Es reicht«. Ein Gründungsmitglied der Initiative, das seinen Namen nicht nennen möchte, erklärt, man wolle denen eine Stimme geben, die »weithin ignoriert werden, die bei den letzten gewaltsamen Streitereien verletzt wurden, die ihre Arbeit verloren haben, die ihre Geschäfte schließen mussten. Alle, die in Zukunft frei von Angst leben wollen.«
In westlichen Medien wird derweil schon spekuliert, dass es am heutigen Gedenktag für Hariri erneut zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen könnte. Zwei Anschläge am Mittwochmorgen haben die Anspannung im Land erhöht. Kurz hintereinander waren in zwei Kleinbussen Sprengsätze explodiert. Es gab Tote und Verletzte. Die Anschläge ereigneten sich in der Nähe der Ortschaft Bikfaja, in der die Politikerdynastie der Gemayel ihren Wohnsitz hat. Industrieminister Pierre Gemayel war im vergangenen November bei einem Anschlag ums Leben gekommen.
* Aus: Neues Deutschland, 14. Februar 2007
Angst vor neuem Bürgerkrieg
Die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Beiruter Zentrums für Forschung und Information
zeigen, dass eine Mehrheit der Libanesen Angst vor einem neuen Bürgerkrieg hat.
Bei der Umfrage Anfang Februar wurden 800 Personen in allen Teilen des Landes und aus allen
konfessionellen Gruppen befragt. Besonders groß war die Angst unter den Sunniten Beiruts, von
denen 83 Prozent gewaltsame Auseinandersetzungen fürchteten. 40 Prozent fühlten sich durch die
Reden von Hisbollahchef Hassan Nasrallah beruhigt, während das nur 3 Prozent von den Reden
des Drusenführers Walid Jumblatt sagten. Auf die Frage, wer für die blutige Gewalt am Tag des
Generalstreiks und zwei Tage später an der Arabischen Universität in Beirut verantwortlich sei,
antworteten mehr als 34 Prozent, sowohl das Regierungslager als auch die Opposition trügen
Verantwortung, 33 Prozent hielten die Regierung, 29 die Opposition für verantwortlich.
Die Unterstützung für die Forderung der Opposition nach vorgezogenen Neuwahlen ist insgesamt im
Vergleich zum Dezember zurückgegangen: Unter den Sunniten sank diese von 46 auf 26 Prozent,
unter den Drusen von 35 auf 29, unter den Christen von 70 auf 65 Prozent. Lediglich die befragten
Schiiten unterstützten weiterhin mit 94 Prozent vorgezogene Neuwahlen. Bei der Frage, wer neuer
Präsident Libanons werden sollte, sprachen sich 39,3 Prozent für Michael Aoun aus, für den Posten
des Ministerpräsidenten erhielt Fuad Siniora mit 34,5 Prozent die meisten Stimmen. Für Nabi Berri
als Parlamentssprecher plädierten 49 Prozent der Befragten.
Auf die Frage, ob die Pariser Geberkonferenz eine wirtschaftliche Unterstützung für Libanon oder
eine politische Unterstützung für Fuad Siniora sei, antworteten fast 42,7 Prozent, die Konferenz
unterstütze die Regierung, nicht Libanon. Die Frage, ob das internationale Tribunal zur Ermordung
von Rafik Hariri Gefahr laufe, politisiert zu werden, beantworteten 56 Prozent mit Ja.
K. L.
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