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Libanon: Eine neue Front

Wer steckt hinter den "Soldaten der Levante"?

Von Karin Leukefeld

„Wenn das so weiter geht, wenn die Armee weiterhin die Wohngebiete im Lager bombardiert, dann könnte das zu einem Dominoeffekt in allen Flüchtlingslagern im Libanon führen und ein Krieg zwischen den Palästinensern und Libanesen könnte beginnen“, warnte Amal Saad-Ghorayeb bereits zu Beginn der Kämpfe in Nahr al-Bared gegenüber dem UN-Informationsnetzwerk IRIN. Amal Saad-Ghorayeb ist Autorin des Buches „Politik und Religion der Hisbollah“ und zählt zu den besten Kennerinnen der politischen Situation im Libanon. Die Palästinenser hätten zunächst die libanesische Armee im Kampf gegen die „ausländische Gruppe“ Fatah al-Islam unterstützt, doch je länger die Kämpfe anhielten, je mehr Häuser zerstört und Zivilisten getötet würden, desto mehr wende sich die Stimmung der palästinensischen Flüchtlinge. „Die Regierung hat die Büchse der Pandora geöffnet und eine Fülle von miteinander verbundenen Problemen kommen heraus, die sie nicht kontrollieren kann“, so Saad-Ghorayeb. Die neuen Kämpfe im größten palästinensischen Flüchtlingslager Libanons, Ain al-Hilweh bei Sidon, scheinen die These zu bestätigen. Während die libanesische Armee noch damit beschäftigt ist, Fatah al-Islam im Norden ein Ende zu setzen, eröffnet Jund al-Sham eine weitere neue Front.

Beide Gruppen sind wenig bekannt und erschienen erst in jüngster Zeit auf der politischen Bildfläche. Sprecher von Fatah al-Islam wiesen Verbindungen zu Al Khaida zurück. Man habe weder Kontakte zu Al Khaida noch zu Syrien, hieß es zu Beginn der Kämpfe. „Unsere einzige Beziehung ist die zum Allmächtigen Gott.“ Bei beiden Gruppen handelt es sich nicht um palästinensische Gruppen, ihre Mitglieder sollen vielmehr eine bunte Mischung aus Arabern verschiedener Länder sein, die zuvor in Afghanistan oder auch im Irak gekämpft haben. Auch libanesische und palästinensische Jugendliche, die von der erfolglosen Politik der eigenen Parteien enttäuscht sind, sollen sich angeschlossen haben.

Fatah al-Islam, die ihrer Ideologie nach den Selafisten zugerechnet wird, die eine dogmatische sunnitische-wahabitische Ideologie gegen „Ungläubige“ vertreten, scheint im vorwiegend von Sunniten bewohnten Nordlibanon besonders unter Jugendlichen Zulauf gefunden zu haben, erklärt Dai al Islam al-Shahal, der als Mitbegründer der Selafisten im Libanon gilt. Die Gruppe sei Sammelbecken für viele geworden, die sich durch Hisbollah bedroht fühle und wirtschaftlich am Rande der Gesellschaft stehe. Er teile nicht alle Ideen von Fatah al-Islam, halte einen Dialog aber für erforderlich.

Jund as-Sham, was soviel heißt wie „Die Soldaten der Levante“, ist eine ebenfalls eine sunnitische Selafistengruppe. Vor wenigen Tagen sollen vier ihrer Mitglieder von syrischen Soldaten getötet worden sein, als sie versuchten, illegal in den Irak zu kommen. Syrien hat sich zu dem Vorfall nicht geäußert, die Gruppe früher aber schon mehrfach für bewaffnete Angriffe in Syrien verantwortlich gemacht, die alle fehlschlugen. Lokalen Medien zufolge soll Jund as-Sham über 50 Kämpfer und rund 250 Anhänger in dem Flüchtlingslager Ain al-Hilweh verfügen, wo man die Gruppe ablehnt. Nawaf Musawi, außenpolitischer Sprecher der Hisbollah, geht davon aus, dass die libanesische Regierung und der US-Geheimdienst CIA für die Finanzierung der sunnitischen Extremistengruppen im Libanon verantwortlich seien. Ziel sei, ähnlich wie im Irak, Kämpfe zwischen Sunniten und Schiiten im Libanon zu schüren. Ähnliches hatte auch der renommierte US-Journalist Seymour Hersh vor wenigen Monaten in der Zeitschrift „The New Yorker“ berichtet.

Die libanesische Regierung weist das zurück und beschuldigt, wie Frankreich, USA und andere westliche Staaten wiederum Syrien, die Gruppen bewaffnet und finanziert zu haben. Damaskus wird unterstellt, Unruhe in Libanon schüren zu wollen, um die Einrichtung des internationalen Tribunals zur Untersuchung des Mordes an Rafik Hariri, dem früheren libanesischen Ministerpräsidenten, zu verhindern. Damaskus hat wiederholt erklärt, Fatah al-Islam nicht zu unterstützen. Die Tatsache, dass man Mitglieder der Gruppe bei einem Bankraub erwischt habe deute darauf hin, dass möglicherweise niemand die Gruppe finanziell unterstütze, meinte Hilal Khashan, Politikprofessor an der Amerikanischen Universität in Beirut (AUB). Gleichzeitig meint auch Khashan, dass Syrien vermutlich geholfen habe, der Gruppe Stützpunkte in dem Flüchtlingslager zu verschaffen. Wieder andere vermuten, die Gruppe habe erst angefangen, Banken zu überfallen, nachdem Geldgeber aus der Umgebung von Saad Hariri ihre finanzielle Unterstützung für die Gruppe eingestellt habe. Und der US-Journalist Franklin Lamb vermutet in seinem jüngsten Artikel in Counterpunch sogar einen nicht genauer erklärten Zusammenhang zwischen den Kämpfen in Nahr al-Bared und US-Plänen, den nahe gelegenen kleinen Flughafen von Kleiaat, der nicht mehr in Betrieb ist, zu einer US-Militärbasis auszubauen.

Eine Delegation von Geistlichen der Vereinigung der Palästinensischen Religionsgelehrten versucht derweil seit Tagen, zwischen Fatah al-Islam und der libanesischen Armee zu vermitteln. Die neuen Unruhen in Ain al-Hilweh machen das nicht einfacher. Ein Palästinensisch-Libanesisches Dialogkomitee wurde eingerichtet, gegenüber dem Ministerpräsident Fuad Siniora deutlich gemacht hat, dass er von den Palästinensern erwartet, die Krise zu lösen. Die palästinensischen Gruppen jedoch, die einer Vereinbarung aus dem Jahr 1969 zufolge für die Sicherheitslage in den Lagern verantwortlich sind, scheinen sich im Umgang mit der Gruppe Fatah al-Islam nicht einig zu sein. Sultan Abu al-Aynayn, Chef der Fatah im Libanon erklärte, es gebe einige Hindernisse für die palästinensischen Gruppen, die Krise zu schlichten. Einige Gruppen nähmen „die Bande“ von Fatah al-Islam in Schutz, sagte er in einem Pressegespräch, nannte aber keine Namen. Sich unter den Palästinensern im Libanon zu bewegen, sei wie ein Gang durch ein „Minenfeld.“ Abu Emad al-Rifai, Vertreter des Islamischen Jihad im Libanon erklärte, man habe sich noch nicht einigen können, wie „das Phänomen von Fatah al-Islam friedlich zu Ende gebracht werden“ könne. Man brauche Zeit für Diskussion.


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