Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nahr al-Bared im Würgegriff

Belagertes Flüchtlingslager in Nordlibanon gleicht Geisterstadt

Von Karin Leukefeld *

Im palästinensischen Flüchtlingslager Nahr al-Bared in Libanon sind am Dienstag erneut Scharmützel zwischen der Armee und Kämpfern der islamistischen Fatah al-Islam entflammt. Unterhändler bemühen sich derweil um ein Ende des Blutvergießens.

Eine Woche nach Ausbruch der Kämpfe in und um das palästinensische Flüchtlingslager Nahr al-Bared im Norden Libanons gleicht der Ort einer Geisterstadt, berichtet Khaled al-Haj von der UN-Hilfsorganisation für Flüchtlinge, UNRWA. »Das einzige was man wahrnimmt, ist der Geruch des Todes.« Mehr als 200 Häuser und fünf Moscheen sollen zerstört worden sein, sagt Abu Jaber, ein Gemeindearbeiter aus Nahr al-Bared. Auch das Krankenhaus des Palästinensischen Roten Halbmondes sei vom Artilleriefeuer der libanesischen Armee getroffen worden.

»Nahr al-Bared sieht aus wie Leningrad während der Belagerung durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg«, berichtet der Fatah-Vertreter Bilal Aslan aus dem Flüchtlingslager. Die Armee habe das Lager abgeriegelt, »damit niemand die Massaker sehen kann, die sie hier verübt haben.« Nach Angaben palästinensischer Organisationen, befinden sich noch mehr als 100 Verletzte in Nahr al-Bared, mindestens zehn von ihnen seien im kritischen Zustand. Exakte Zahlen über die Todesopfer innerhalb des Lagers gibt es nicht. Sie schwanken je nach Quelle zwischen zehn bis 60 getöteten Kämpfern der Fatah al-Islam und 20 bis 35 getöteten Zivilisten; die libanesische Armee sprach von 33 Soldaten, die ums Leben gekommen seien. Die saudische Botschaft in Beirut bestätigte vier getötete Staatsangehörige Saudi-Arabiens, die auf Seiten von Fatah al-Islam gekämpft hätten. In der Gruppe werden zudem Männer aus Algerien, Libanon, Syrien und Jemen vermutet. Auch junge Palästinenser sollen dazu gehören, berichtet das UN-Informationsnetzwerk IRIN.

Die Kämpfe lösten eine Reihe diplomatischer Aktivitäten aus. Nach dem Besuch des französischen Außenminister Bernard Kouchner wird Anfang Juni auch der italienische Außenminister Massimo D'Alema in Beirut erwartet. Iran und Saudi-Arabien konferierten auf Außenministerebene über die Lage im Libanon. Die EU erklärte am Montag, für die rund 30 000 vertriebenen Palästinenser 370 000 Euro zur Verfügung zu stellen, um sie mit Lebensmitteln, Wasser und den notwendigsten Dingen zu versorgen.

Derweil hat eine Delegation der »Vereinigung der Palästinensischen Gelehrten« am Montag zum zweiten Mal Nahr al-Bared besucht, um zwischen den beiden Seiten zu vermitteln. Die Abordnung habe sich auf die Frage konzentriert, »wie die Umstände, die zum Ausbruch der aktuellen explosiven Lage geführt haben, beseitigt werden können«, erklärte Delegationsleiter Scheich Mohammad al-Hajj gegenüber Journalisten. Er verwies auf die schlechte Versorgungssituation im Lager sowie die schweren Umweltschäden, die durch die Brände ausgelöst worden seien. Gerüchte, Libanons Armee habe chemische Waffen vom US-Militär bekommen und eingesetzt, wies der Geistliche zurück. US-Maschinen haben seit Donnerstag wiederholt Rüstungsgüter nach Libanon transportiert.

In einer Fernsehansprache kritisierte der Führer der Hisbollah, Scheich Hassan Nasrallah, diese Militärtransporte als »gefährlich«. Nasrallah wandte sich gegen ein militärisches Vorgehen gegen Fatah al-Islam, deren Kämpfer »vor Gericht gestellt« werden sollten. »Das Problem im Norden kann politisch gelöst werden und durch unsere Gerichte, die die libanesische Armee, unsere palästinensischen Brüder, den Staat und den Frieden schützen«, sagte Nasrallah. Libanon dürfe nicht zum Schlachtfeld werden, »auf dem wir im Auftrag der Amerikaner gegen Al Qaida kämpfen.«

* Aus: Neues Deutschland, 30. Mai 2007


Zurück zur Libanon-Seite

Zurück zur Homepage