Kein Präsident, keine Lösung
Die politische Krise in Libanon geht in die Verlängerung
Von Birgit Kaspar, Beirut *
Die Hamra-Einkaufsstraße im Zentrum Beiruts ist leerer als gewöhnlich, einige Geschäfte sind
geschlossen, die Schaufenster der meisten Juweliere zeigen schmucklose Samtauslagen – eine
Vorsichtmaßnahme. Denn es wurde befürchtet, dass am Wochenende schlimmstenfalls
marodierende Milizen durch Beirut ziehen könnten.
Doch davon ist die libanesische Hauptstadt weit entfernt. Von der Gefahr eines
Ausnahmezustandes, wie sie der scheidende pro-syrische Staatspräsident Émile Lahoud vor seinem
Auszug aus dem Präsidentenpalast am Freitag beschworen hatte, ist nichts zu spüren.
Auf dem Souk al-Tayeb, einem Markt im Zentrum Beiruts, auf dem Biobauern samstags ihre
Produkte feilbieten, herrscht eine entspannte Atmosphäre. Viele der Soldaten und Panzer, die noch
bis Ende der Woche die Straßen dominierten, waren zur Erholung ins Wochenende entlassen
worden. Eine Gemüsehändlerin grinsend: »Das ist Ausnahmezustand à la Libanaise!« Sie schimpft,
sie habe die Nase voll von den Politikern. »Die sollen uns in Ruhe lassen mit ihren Machtkämpfen
und das Land managen. Wir wollen unser Brot verdienen können und ein ganz normales Leben.«
Letzteres scheint in naher Zukunft ein Traum für die rund vier Millionen Libanesen zu bleiben.
Nachdem die Parlamentssitzung zur Wahl eines neuen Präsidenten auf den nächsten Freitag (30. Nov.) vertagt wurde, geht der politische Schwebezustand in die Verlängerung. Die libanesischen Politiker können sich seit Monaten nicht auf einen Konsenskandidaten einigen.
Das Land ist politisch gespalten zwischen dem anti-syrischen Lager um Mehrheitsführer Saad Hariri
und der von der radikal-schiitischen Hisbollah angeführten Opposition. Im Kern geht es bei dem
Machtkampf um zwei unvereinbare Visionen: Das Regierungslager sieht Libanon als Freund des
Westens mit engen Beziehungen zu den USA, während die Opposition ihn als Teil der
Widerstandsachse Syrien-Iran versteht.
Zum ersten Mal seit dem Bürgerkrieg 1975-90 ist der Zedernstaat nun ohne Staatschef. Es herrscht
ein organisiertes politisches Vakuum, denn die wichtigsten Institutionen sind schon seit einiger Zeit
paralysiert. Präsident Lahoud spielte weitgehend eine Statistenrolle seit der von Damaskus vor drei
Jahren erzwungenen Verlängerung seines Mandats.
Aber auch die Rumpf-Regierung um Fuad Siniora ist seit dem Rücktritt aller schiitischen Minister vor
einem Jahr nur bedingt handlungsfähig. Die Opposition hält sie für verfassungswidrig, weil die
Schiiten nicht mehr repräsentiert sind. Die einzige staatliche Institution, der alle Libanesen Respekt
zollen und die zum Symbol der nationalen Einheit geworden ist, ist die Armee. Ihr hat Lahoud kurz
vor seinem Abtreten die Verantwortung für die Sicherheit im Lande übertragen, bis ein neuer
Präsident gewählt sei. Der 71-jährige Exgeneral betonte, dies sei mangels einer legitimen Regierung
notwendig. Das wies Premier Siniora umgehend zurück und erklärte, sein Kabinett übernehme
verfassungsgemäß vorübergehend alle Vollmachten des Präsidenten.
Die Armee gab keinen Kommentar ab. Sie hatte schon zuvor die Sicherheit garantiert und bis jetzt
jede Parteinahme vermieden.
Der Oppositionsparlamentarier Ali Hassan Khalil unterstrich, der einzige Ausweg sei die schnelle
Wahl eines Konsenspräsidenten.
Niemand will verantwortlich sein für den Beginn eines neuen Bürgerkrieges. Deshalb verzichteten
beide Seiten bislang auf provokative Maßnahmen. Man will Zeit gewinnen. Aus Oppositionskreisen
hieß es, Washington habe zudem das pro-westliche Lager gebeten, die für Dienstag geplante
Nahostkonferenz in Annapolis nicht durch einseitige Schritte zu torpedieren. Doch der Chef der
christlichen Forces Libanaises, Samir Geagea, erklärte, das Regierungslager halte sich die Option
der Wahl eines eigenen Präsidenten außerhalb des Parlaments offen. Für die Opposition käme dies
einem Putsch gleich.
* Aus: Neues Deutschkand, 26. November 2007
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