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Schwere Kämpfe in Beirut

Hisbollah bringt Teile der libanesischen Hauptstadt unter ihre Kontrolle. Tote bei Schußwechseln und Explosionen. UN-Sicherheitsrat fordert sofortige Beilegung der Krise

Von Karin Leukefeld *

Einheiten der Hisbollah-Milizen haben am Freitag Teile der libanesischen Hauptstadt Beirut unter ihre Kontrolle gebracht. Heftige Schußwechsel und Explosionen waren in der Nacht zum Freitag in Westbeirut zu hören, das allgemein als Basis des westlich orientierten Regierungslagers gilt. Bei den Kämpfen sollen elf Menschen getötet worden sein, Dutzende wurden verletzt. Am frühen Freitag morgen besetzten die Milizen die Räume der vom sunnitischen regierungstreuen Spitzenpolitiker Saad Hariri finanzierten Medien, zwei Fernsehsender (Future TV und Future News), eine Zeitung und ein Radio. Die Produktion wurde eingestellt. Schließlich übernahm die libanesische Armee die Kontrolle der Gebäude. Am Tag zuvor hatte Ministerpräsident Fuad Siniora in einem Interview mit dem Hariri-Sender Future TV erklärt, die Aktionen (der vergangenen Tage) der Hisbollah seien »schlimmer als das, was Israel während der Invasion 1982 angerichtet hat«. Die Hisbollah hatte am Mittwoch einen von der Gewerkschaftsföderation ausgerufenen Generalstreik unterstützt, in dessen Verlauf Barrikaden entzündet worden waren. Im Juni 1982 hatte das israelische Militär mehr als 20000 Menschen bei seinem Vormarsch auf Beirut getötet und christliche Milizen bei dem Massaker in den Palästinenserlagern Sabra und Schatila unterstützt.

Die neuen innerlibanesischen Gefechte sind die schwersten seit Ende des Bürgerkriegs 1990. Sie hatten unmittelbar nach einer Rede des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah begonnen, der in scharfen Worten der Regierung von Fuad Siniora vorwarf, der Hisbollah »den Krieg erklärt« zu haben. Damit bezog er sich auf die Ankündigung Sinioras, ein seit Jahren bestehendes autonomes Kommunikationsnetzwerk der Hisbollah schließen zu wollen. »Das Kommunikationsnetzwerk ist ein fundamentaler Bestandteil der Waffen des Widerstandes« erklärte Nasrallah in seiner per Videolink übertragenen Erklärung. »Die Hand, die sich gegen diese Waffen erhebt, wird abgeschlagen.« Bisher habe die Hisbollah ihre Waffen nie innerhalb des Landes eingesetzt, »doch wir werden es tun, um unsere Waffen zu verteidigen«, erklärte Nasrallah. Den Drusenführer Walid Dschumblatt bezeichnete Nasrallah als »Dieb, Lügner und Mörder«. Dschumblat hatte am vergangenen Wochenende die Hisbollah beschuldigt, den Flughafen von Beirut mit Hilfe des Iran auszuspionieren und Attentate vorzubereiten. Nasrallah beschuldigte seinerseits die Regierung, den Flughafen »zu einer Basis für die CIA, FBI und Mossad umzubauen, das können wir nicht zulassen«.

Der UN-Sicherheitsrat hat die rivalisierenden Parteien zu einer sofortigen Einstellung der Kämpfe aufgefordert. Das Gremium rief in New York ferner beide Seiten zu Gesprächen über eine Beilegung der Krise auf. Am Sonntag soll sich in Kairo ein Krisengipfel der arabischen Außenminister mit der Lage im Libanon befassen, wie die ägyptische Regierung ankündigte. Die syrische Regierung erklärte am Freitag nach einem Treffen mit Vertretern des Golfstaates Bahrain, es handele sich um einen internen Konflikt im Libanon. Beide Seiten sollten eine Lösung im Dialog finden, meldete die amtliche syrische Nachrichtenagentur. Saad Hariri schlug am Freitag einen deutlich milderen Ton gegenüber Hassan Nasrallah an. Man müsse zusammenarbeiten, um die Kämpfe zu beenden, sagte Hariri im Fernsehsender LBC. Nasrallah solle »die Kämpfer zurückrufen, … um Libanon vor der Hölle zu retten«.

* Aus: junge Welt, 10. Mai 2008

Siniora: Libanon wird der Hisbollah nicht unterliegen

In seiner ersten Ansprache seit Beginn der Kämpfe im Libanon hat Regierungschef Fuad Siniora die Entschlossenheit des Staates gegenüber der Hisbollah-Miliz beschworen. Die jüngsten Eroberungen der Hisbollah in Beirut hätten der Demokratie einen "vergifteten Stich" versetzt, doch der Staat werde nicht unterliegen, sagte Siniora in einer Fernsehansprache. Die Streitkräfte forderte er auf, die Sicherheit im Land zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass die bewaffneten Kämpfer "sofort" aus den Straßen abziehen. Die USA sagten Siniora ihre Unterstützung zu.

Das libanesische Volk werde nicht die Rückkehr von "Hegemonie und Terrorismus" zulassen, sagte Siniora mit Blick auf die Kämpfe in Beirut, bei denen die Hisbollah mehrere westliche Stadtteile erobert hatte. "Wir haben der Hisbollah nicht den Krieg erklärt und werden das auch nicht tun. Aber ihre Milizionäre und die von (der ebenfalls schiitischen Bewegung) Amal sind in die Häuser und Viertel von Beirut eingefallen, das können wir nicht zulassen", fügte der Regierungschef hinzu.

Gewalt sei keine Lösung, sondern der Dialog, sagte Siniora. Er rief die Libanesen auf, in einer Schweigeminute am Sonntag der Opfer der Kämpfe zu gedenken. Es war das erste Mal, dass sich der sunnitische und pro-westliche Politiker seit Beginn der Gefechte am Mittwoch äußerte.

In der libanesischen Hauptstadt Beirut wurden am Samstag (1o. Mai) sechs Menschen getötet und 20 weitere verletzt, als Bewaffnete nach Angaben von Krankenhausmitarbeitern auf Teilnehmer einer Beerdigung schossen. In Halba im Norden des Landes kamen fünf Menschen ums Leben, als sich Anhänger einer pro-syrischen Partei heftige Kämpfe mit Anhängern der Partei des anti-syrischen Mehrheitsführers im Parlament, Saad Hariri, lieferten.

Obwohl weiterhin einige bewaffnete Hisbollah-Kämpfer im Westen Beiruts zu sehen waren, öffneten dort am Samstag (10. Mai) erste Lebensmittelgeschäfte wieder.

US-Außenministerin Condoleezza Rice betonte, Washington unterstütze die Regierung Siniora. Ein Sprecher des Weißen Hauses zeigte sich "sehr beunruhigt" und forderte Syrien und den Iran auf, ihre Unterstützung der Hisbollah zu beenden. Auch die EU sicherte Siniora ihre Unterstützung zu und forderte eine Beilegung der Krise durch den Dialog.

Quelle: Nachrichtenagentur AFP, 10. Mai 2008

Libanesische Armee ruft Milizen zum Rückzug auf

Die libanesische Militärführung hat die verfeindeten Milizen zum Rückzug aus Beirut aufgerufen und den Soldaten befohlen, die Sicherheit in der Hauptstadt wiederherzustellen. Mit dem umstrittenen privaten Telekommunikationsnetz der schiitischen Hisbollah-Miliz solle sich das Fernmeldekorps der Armee befassen, hieß es in der Erklärung vom Samstag weiter. Ein Leiter des Sicherheitsdienstes auf dem Flughafen, der von der prowestlichen Regierung wegen seiner Verbindungen zur Hisbollah entlassen worden war, dürfe seinen Posten behalten.

Die Ankündigungen werden als Zeichen des Zugeständnisses an die schiitische Miliz gesehen, die in den vergangenen Tagen in heftigen Straßenkämpfen fast alle muslimischen Viertel Beiruts unter ihre Kontrolle gebracht hat. Die Entlassung des Sicherheitschefs und die Erklärung der Regierung, das Telekommunikationsnetz der Hisbollah sei illegal, hatten die schlimmsten Unruhen in Libanon seit Ende des Bürgerkriegs im Jahr 1990 ausgelöst.

Quelle: Nachrichtenagentur AP, 10. Mai 2008



Ban Ki-moon ‘deeply concerned’ at continuing violence in Lebanon

9 May 2008 – The United Nations Secretary-General has expressed his deep concern at the continuing violence in Lebanon and has called on all parties to exercise restraint.

Lebanon’s capital Beirut has been rocked by clashes between pro- and anti-government militias for the past three days. The country’s parliamentary system is paralysed and the position of President has remained unfilled since November.

“Everything should be done at this time to keep the situation from deteriorating. The parties should address their political differences through peaceful means and dialogue,” UN spokesperson Marie Okabe told reporters.

She added that Mr. Ban is aware of the continuing mediation role of the Secretary-General of the Arab League and offered his full support.

In a statement to the press read out yesterday by Ambassador John Sawers of the United Kingdom, which holds the Security Council’s rotating presidency for May, the 15-member body stressed the need to uphold the stability and sovereignty of Lebanon, urged all sides to exercise calm and restraint, and called for the immediate re-opening of all roads.

This followed a briefing to the Council by UN Special Envoy Terje Roed-Larsen, who said that Lebanon is facing its worst crisis since the country’s civil war. He said that all militias in the country had to be disarmed and that political dialogue among the Lebanese parties was the only way to resolve outstanding issues.

Source: www.un.org/


Lebanon faces most serious crisis since civil war – UN envoy

[United Nations Special Envoy Terje Roed-Larsen speaks to reporters]

United Nations Special Envoy Terje Roed-Larsen speaks to reporters 8 May 2008 – The stalled political process in Lebanon, combined with the current violence on the streets and the “defiant manoeuvres of militias,” is leaving the country struggling to function as a sovereign, democratic State, United Nations Special Envoy Terje Roed-Larsen told the Security Council today.

“The riots that started yesterday in Lebanon show tragically that the country today confronts challenges of a magnitude unseen since the end of the civil war,” said Mr. Roed-Larsen.

“The electoral void combined with the stalled functions of Parliament and the defiant manoeuvres of militias are all threats to Lebanon’s ability to function as a sovereign, democratic and independent State,” he added, speaking as the Secretary-General’s Special Envoy on the implementation of Security Council resolution 1559.

Adopted by the Council in 2004, resolution 1559 calls for free and fair presidential elections in Lebanon without any foreign interference or influence, and for the disbandment of all militia groups operating in the country. Mr. Roed-Larsen said that he regretted he had no progress to report on the resolution over the past six months.

Speaking later to reporters, Mr. Roed-Larsen said that the Secretary-General “calls for all parties now to show restraint, to find a solution to the current impasse and the current violence, through peaceful dialogue,” and added that the Security Council had unanimously called for “calm and restraint.”

Since last November the country has been deadlocked on the election of a new president, with the position remaining vacant. Yesterday and today pro- and anti-government militias have been battling on the streets of Beirut. Mr. Roed-Larsen commented that, “Lebanon for a long time now – several months and more – has been on a slippery slope of violence and turmoil,” adding that “it is in the deep interest not only of the Lebanese but of the whole region and beyond to now stabilize the situation in Lebanon.”

While calling for the disarming of all militias in the country, the UN Envoy said that Hizbullah, the most significant Lebanese militia, “maintains a massive para-military infrastructure separate from the State.” This had “an adverse effect” on the Government’s efforts to impose law and order and was “a threat to regional peace and security.”

The Secretary-General, said Mr. Roed-Larsen, calls on all parties with ties to Hizbullah, “in particular Syria and Iran, to support its transformation into a solely political party.”

The Special Envoy urged a return to political dialogue among the Lebanese parties, stressing that this was “the only way to resolve all outstanding issues.”

www.un.org/




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