Kräftemessen in Libanon
Streik der Gewerkschaften eskalierte zu massiver Auseinandersetzung
Von Karin Leukefeld *
Der eintägige Streik, mit dem in Libanon die Allgemeine Föderation der Arbeitergewerkschaften
(GLC) am Mittwoch die Forderung nach Anhebung des Mindestlohns unterstreichen wollte, ist zu
einem politischen Kräftemessen zwischen dem Regierungslager um Ministerpräsident Fuad Siniora
und der Opposition geworden.
Hisbollah, die Amal und die Freie Patriotische Union des christlichen Präsidentschaftskandidaten
Michel Aoun hatten ihre Anhänger aufgefordert, sich an dem eintägigen Protest der Gewerkschaften
zu beteiligen. Lebensmittel und Benzin haben sich in den vergangenen Monaten in Libanon
drastisch verteuert, der Unterhalt einer Familie ist mit einem einfachen Einkommen nicht mehr zu
schultern.
Rami Zurayk, Professor an der Amerikanischen Universität in Beirut, erklärte gegenüber dem UNInformationsnetzwerk
IRIN, Krise und Verteuerung der Lebenshaltungskosten resultierten aus dem
Anstieg des Ölpreises, der die Weltwirtschaft belaste, und einer falschen nationalen
Wirtschaftspolitik nach dem Ende des Bürgerkrieges 1990. Die Regierungen hätten versäumt,
Arbeitsplätze zu schaffen und in produktiven Sektoren wie der Landwirtschaft zu investieren. Die
Schere Arm – Reich sei größer geworden.
Zwar hatte die Regierung Siniora in letzter Minute vor dem Streiktag beschlossen, der Forderung der
Gewerkschaften nachzugeben und den monatlichen Mindestlohn von derzeit 200 US-Dollar auf 330
Dollar anzuheben. Doch die Proteste waren nicht mehr zu stoppen und hielten auch am Donnerstag
an, wobei insbesondere das Regierungslager einen deutlich konfessionellen Tonfall anschlug. Der
Mufti von Libanon, Mohammad Rashid Qabbani, erklärte, die »Sunniten Libanons« hätten die Nase
voll von den Aktionen der (schiitischen) Hisbollah. Samir Geagea von den (christlichen)
rechtsradikalen Libanesischen Streitkräften (nicht die Armee!) bezeichnete die Hisbollah als die
»Mahdi-Armee in den Straßen Beiruts«. Die Mahdi-Armee des irakischen Predigers Muktada al-Sadr
wird bekanntlich seit vier Wochen von der US-Armee und den irakischen Streitkräften massiv
angegriffen.
Im Bekaa-Tal schossen schiitische Anhänger der Opposition und sunnitische Sympathisanten der
Regierungsmehrheit aufeinander. Nach Informationen arabischer Medien griff die Armee ein und
beendete das Gefecht.
Für die Hisbollah geht es bei den Protesten aktuell um ein Kräftemessen mit Fuad Siniora, der einen
Tag vor dem Streik angekündigt hatte, ein militärisch genutztes Funknetz der Hisbollah schließen zu
lassen. Hisbollah bezeichnete das Funknetz als »integralen Bestandteil der Infrastruktur der
Widerstandsbewegung«, um mögliche Angriffe Israels abwehren zu können. Der Staat dürfe das
nicht antasten.
Außerdem hat Siniora eine Untersuchung über angebliche Videokameras der Hisbollah am
Internationalen Flughafen von Beirut eingeleitet. Der Sicherheitschef General Wafiq Shoucair,
angeblich ein Anhänger der Hisbollah, wurde von seinem Posten entbunden. Hisbollah soll nach
Ansicht des Regierungslagers mit finanzieller und militärischer Unterstützung Irans einen
Staatsstreich gegen die Regierung planen.
* Aus: Neues Deutschland, 9. Mai 2008
Zurück zur Libanon-Seite
Zurück zur Homepage