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Für Wahlen ohne Religionsproporz

Libanesische Kommunisten wollen Spaltung des Landes überwinden

Samir Diab ist Mitglied des Politbüros der Libanesischen Kommunistischen Partei (LKP) und weilte kürzlich auf Einladung des Bundesvorstandes der LINKEN in Deutschland. Über die 2008 gebildete Einheitsregierung des Landes, Libanons Perspektiven nach dem jahrelangen Bürgerkrieg und das besondere Wahlsystem der Republik zwischen Mittelmeer, Israel und Syrien sprach mit ihm Patrick Widera.



ND: Libanon drohte 2008 -- wie einst in den 70er und 80er Jahren -- erneut in einem Bürgerkrieg zu versinken. Dann gab es das Treffen von Doha, und eine Regierung der nationalen Einheit wurde gebildet. Haben Sie Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden im Land?

Samir Diab: Die neue Regierung hat zwar alle wichtigen politischen Kräfte in Libanon an einen Tisch gebracht, aber die strukturellen Widersprüche zwischen den politischen Kontrahenten wurden nicht aus dem Weg geräumt. Diese handeln nicht autonom, sie sind häufig Stellvertreter regionaler und globaler Mächte, die Libanon als Schlüssel für die Umgestaltung des Nahen Ostens in ihrem Sinne ansehen. Die USA, die Europäer und Israel sehen den Nahen Osten als eine Region mit -- für sie -- großen Möglichkeiten und versuchen, ihre Avancen durch Unterstützung einer der libanesischen Konfliktparteien durchzusetzen. Daher werden die neue Regierung und der neue Präsident nur kurzfristig für Ruhe sorgen können.

Es gibt also keine Basis für eine politische Entspannung in Libanon?

Nein, im Gegenteil. Doha hat die Spaltung des Landes anhand religiöser Trennungslinien weiter vertieft. Die Wahlen werden nun nach dem Gesetz von 1960 durchgeführt, wodurch das Land nicht nur nach den religiösen Hauptrichtungen aufgespalten wird, sondern die jeweiligen religiösen Untergruppen ebenfalls einen Anspruch auf einen festgelegten Teil an der Macht haben. Das wird die politischen Widersprüche im Land verschärfen.

Sie haben das Wahlgesetz von 1960 erwähnt. Was besagt dieses Gesetz genau?

Libanon hat 17 anerkannte Religionsgemeinschaften. Das Wahlgesetz teilt das Land in 26 Wahlkreise. Je nach der demographischen Mehrheit ist in jedem Wahlkreis vorbestimmt, welche Religionsgemeinschaft jemanden zur Wahl aufstellen darf. Damit wird verhindert, dass die wirklichen gesellschaftlichen Verhältnisse im Parlament repräsentiert werden. Die Spaltung und Zersplitterung des Landes wird auf der Grundlage von religiösen Bindungen verewigt. Jede progressive und demokratische Entwicklung zu einem souveränen und demokratischen Libanon wird damit im Keim erstickt.

Welche alternativen Mechanismen schlägt die LKP vor, damit die Zusammensetzung des Parlaments nicht den religiösen Proporz, sondern die wirklichen Verhältnisse im Land abbildet?

Wir kämpfen für ein Libanon, das eine patriotisch-demokratische Einheit bildet und dessen Bürger sich nicht länger durch ihre religiöse Zugehörigkeit definieren. Darum fordern wir ein Wahlgesetz, in dem die Kandidaten für das Parlament sich nach politischen Programmen orientieren und das Parlament sich nach dem Verhältniswahlrecht, wie etwa in Deutschland, zusammensetzt.

Welche Kräfte haben ein Interesse daran, dass ein solches demokratisches Wahlgesetz nicht umgesetzt wird?

Das ist zum einen der Block USA/EU/Israel, dessen Akteure den Nahen Osten als Interessengebiet ansehen und entsprechend gestalten wollen. Und das sind zweitens die Regimes der Region, die auf Grund eigener Ambitionen mit ersteren in Konflikt geraten. Jede Macht ist daran interessiert, ihren jeweiligen Verbündeten in Libanon zu unterstützen, um ihren Einfluss in der Region zu erhalten.

Ministerpräsident Fuad Siniora hat sich für eine stärkere Anbindung an den Westen ausgesprochen. Wie wirkt sich eine solche Parteinahme auf den politischen Prozess in Libanon aus?

Die Tatsache, dass der Ministerpräsident diese Ambitionen geäußert hat, bedeutet gar nichts für die praktische Politik. Da die Regierung faktisch aus Kontrahenten besteht, die sich auf eine Minimalbasis geeinigt haben, wird nur das umgesetzt, worüber sie sich einigen können. Und eine stärkere Anbindung an den Westen wird dazu sicher nicht zählen.

Die israelische Armee griff 2006 Libanon an, um die Hizbollah militärisch und politisch zu zerschlagen. Wie schätzen sie rückblickend den Krieg und seine Folgen für Libanon ein?

Der Krieg hat eine neue Qualität innerhalb des israelisch-arabischen Konflikts offenbart. Israel hat in diesem Krieg den Nimbus der Unbesiegbarkeit verloren. Der Umstand, dass Israel seine Ziele nicht erreichen konnte, war ein Sieg für Hizbollah und die gesamte Widerstandsfront. Dass dieser Sieg sich aber nicht ummünzen ließ, um innergesellschaftlich die Bestrebungen für eine demokratische Entwicklung zu stärken, entwertet ihn faktisch wieder.

Ist die Hizbollah eine potenzielle Bündnispartnerin für die LKP?

Mit Hizbollah gibt es nur in einem Punkt eine klare Übereinkunft: im aktiven Widerstand gegen amerikanisch-israelische Bestrebungen zur Umgestaltung des Nahen Ostens. Darüber hinaus gibt es kaum Berührungspunkte. Wir wollen einen national-demokratischen Staat, die Hizbollah einen fundamentalistischen Gottesstaat.

Der frühere Generalsekretär der LKP George Hawi wurde 2005 ermordet. Konnten die Umstände für diese Tat aufgeklärt werden? Es kursiert das Gerücht, dass Syrien in das Komplott verwickelt war.

Nach der Ermordung George Hawis sind wir zu der Einsicht gelangt, dass der Nutzen einer solch abscheulichen Tat nicht auf der Seite Syriens liegen konnte. Jedoch wurde die Tat offiziell noch nicht aufgeklärt, weil wichtige Dokumente weiterhin zurückgehalten werden.

* Aus: Neues Deutschland, 12. März 2009


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