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Libanon in der Zerreißprobe

Streiks, Blockaden und gewalttätige Zusammenstöße in Beirut - "Geberkonferenz" in Paris schnürt Rekord-Hilfspaket

Libanon kommt nicht zur Ruhe. Seit über sieben Wochen ringen die verfeindeten Parteien um den entscheidenden Anteil an der Macht im Staat. Erschwerend kommt hinzu, dass die Konfliktparteien Unterstützung von außen erhalten: die Regierung von Fuad Siniora aus dem Westen (USA, Frankreich, Deutschland, EU usw.), die Opposition aus Syrien und - zum Teil - aus dem Iran. Mitten in dieser zugespitzten Situation findet in Paris eine sog. "Geberkonferenz" statt, an der sich an die 50 Regierungen beteiligen.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Berichte, die sich mit der aktuellen Lage und der Konferenz (ironisch als "Nehmerkonferenz" gegen den Strich gebürstet) befassen.



Rauchwolken über Beirut

Generalstreik gegen prowestliche Regierung Libanons im Vorfeld der Geberkonferenz

Vor der Pariser Geberkonferenz für Libanon hat ein Generalstreik mit Straßensperren das krisengeschüttelte Land am Dienstag (23. Jan.) lahmgelegt.

Während sich die libanesischen Sicherheitskräfte um eine Entspannung der Lage bemühten, gab es nach Angaben der Polizei drei Tote und über 70 Verletzte bei gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Anhängern von Regierung und Opposition. Über Beirut und seinem Flughafen schwebten dichte Qualmwolken, nachdem Streikende Autoreifen und auch ganze Autos in Brand gesetzt hatten.

Mit dem Ausstand und den Blockaden will die Opposition um die radikal-islamische Hisbollah und die christliche Partei Courant patriotique libre (CPL) des Generals Michel Aoun den Rücktritt Fuad Sinioras erzwingen. Der von den USA und der EU unterstützte Regierungschef hatte am Vortag an die Libanesen appelliert, den Streikaufruf nicht zu befolgen. Die von Syrien und dem Iran unterstützte Opposition wolle damit die Geberkonferenz in Paris »sabotieren«, behauptete er.

Demonstranten legten unter anderem die wichtige Straßenverbindung zwischen der Hauptstadt Beirut und der syrischen Metropole Damaskus lahm; auch die Zufahrten zum Flughafen Beirut wurden unterbrochen. Die libanesische Polizei hielt sich zurück. Nach Angaben der Opposition wurden Demonstranten jedoch von Unbekannten beschossen, als sie Straßensperren errichteten.

Christen-Führer Samir Geagea sprach von einem »Staatsstreich gegen die Regierung« und verurteilte die Aktionen der Opposition als »terroristisch«. Aoun dagegen kritisierte die Regierung als »kriminell« und verlangte die Verhaftung derjenigen, die Schüsse auf Demonstranten abgegeben hatten.

Frankreich rief die libanesischen Parteien auf, die für heute (24. Jan.) geplante Geberkonferenz in Paris nicht zu gefährden, auf der über den Abbau der 41 Milliarden Dollar Auslandsschulden Libanons beraten werden soll.

Die Zusammenstöße zwischen Anhängern der Regierung und der Opposition seien besorgniserregend, erklärte das Pariser Außenministerium. Die geplanten Finanzhilfen seien nicht für die Regierung von Fuad Siniora bestimmt, sondern für das Land. Die Libanesen müssten mit ihrem Verhalten »die Konferenzteilnehmer dazu bringen, sich zu mobilisieren«.

Bereits seit Anfang Dezember demonstrieren Regierungsgegner mit einem Sitzstreik vor den Amtssitz des Ministerpräsidenten. Die Opposition verlangt die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Sie bezichtigt Siniora der Unfähigkeit und wirft ihm vor, er folge dem Diktat der US-Regierung. Die Siniora-Regierung sieht in den Protesten dagegen einen Versuch der einstigen Schutzmacht Syrien, wieder mehr Einfluss im Libanon zu gewinnen.

Diese steht unter dem Verdacht, an dem Attentat auf den ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Februar 2005 beteiligt gewesen zu sein. Sechs prosyrische Minister hatten im vergangenen November das Kabinett verlassen, als dieses über die Rahmenbedingungen für ein internationales Tribunal zur Aufklärung des Hariri-Mordes beriet. Siniora war ein enger Freund Hariris.

Zur Pariser Konferenz werden Vertreter von rund 50 Ländern und internationalen Organisationen erwartet, darunter der neue UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und dessen US-Kollegin Condoleezza Rice. Der stellvertretende US-Außenminister Nicholas Burns kündigte für sein Land einen »substanziellen Beitrag« an.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Januar 2007


Nehmerkonferenz

Der Westen steht hinter seiner Libanon-Regierung

Von Werner Pirker **


Frankreichs Präsident Chirac hat die Linie für die heute (25. Januar 2007) in Paris beginnende internationale »Geberkonferenz«, auf der finanzielle Hilfsmaßnahmen für den ausgebluteten Libanon beschlossen werden sollen, bereits festgelegt. Gegeben wird nur, wenn sich die Libanesen ordentlich benehmen. Proteste gegen die Regierung haben künftig zu unterbleiben. Denn diese Regierung genießt die breite Unterstützung des Westens, weshalb auf ihren Rücktritt zielende Bestrebungen der Massen als illegitim zu betrachten sind. Als aufrührerisch haben demnach selbst die Worte des libanesischen Präsidenten Emile Lahoud zu gelten, der Sinioras Rumpfkabinett als verfassungswidrig bezeichnete.

Auch Washington äußerte seine tiefe Besorgnis. Mit Syrien verbündete Parteien blockierten Straßen, hinderten Menschen am Zugang zu ihren Arbeitsplätzen und behinderten den Einsatz der Sicherheitskräfte, hieß es in einer Erklärung des State Departments. Dort war im März 2005 der Begriff »Zedernrevolution« erfunden worden. Denn damals wurde der Versuch, ein »Regime change« auf der Straße zu erzwingen, keineswegs als anstößig empfunden. Der Gesinnungswandel erfolgte umgehend, als die antiimperialistischen Kräfte den prowestlichen Freizeitrevolutionären die Oberhoheit über die Straße entrissen hatten und diese auch zu behaupten wußten.

Dabei geht es dem linksnationalistischen Lager gar nicht um einen tiefgehenden Regimewechsel, sondern erklärtermaßen um eine Regierung der nationalen Einheit, in der das Mehrheitsspektrum angemessen vertreten ist. Aus US-Sicht wird dieses von »mit Syrien verbündeten Parteien« gebildet – ungeachtet der Tatsache, daß die nun an der Seite der Hisbollah kämpfende christliche Partei von General Aoun einst an der Spitze des antisyrischen Widerstandes stand. Denn anders ließe sich die demagogische Verkehrung des an die westliche Hegemonialpolitik gebundenen Spektrums in eine »libanesische Unabhängigkeitsbewegung« nicht aufrechterhalten.

Die »Geberkonferenz« hat nicht die geringste moralische Berechtigung, dem libanesischen Volk Bedingungen abzuverlangen. Denn die Geber waren die Nehmer. Sie haben stillschweigend oder offen die israelische Aggression gegen den Libanon mitgetragen. Die »internationale Gemeinschaft« hat den illegalen Angriffskrieg nicht zum Stehen gebracht. Und sie hat, nachdem sich die Aggression erschöpft hatte, einen Waffenstillstand zu den Bedingungen der Aggressoren ausgehandelt. Die Regierung Siniora, die abgemeldet war, als es um die Verteidigung des Landes ging, repräsentiert einzig die libanesische Kapitulation. Nun wollen die Geber dem Libanon den letzten Rest seiner Unabhängigkeit nehmen.

** Aus: junge Welt, 25. Januar 2007

Spendable Sponsoren - Ergebnis der Pariser Geberkonferenz

Vor dem Hintergrund der jüngsten Auseinandersetzungen im Libanon hat die internationale Gemeinschaft in Paris ein Rekord-Hilfspaket in Höhe von 7,6 Milliarden Dollar (gut 5,8 Milliarden Euro) geschnürt. Mit dieser von Frankreichs Staatschef Jacques Chirac genannten Summe wurden die Erwartungen an die Geberkonferenz klar übertroffen. Deutschland stockt bereits beschlossene Hilfen auf 103 Millionen Euro auf. Libanons im eigenen Land umstrittener Regierungschef Fuad Siniora kann mit dem Geld sein bis 2011 angesetztes Programm ehrgeiziger Reformen angehen.

Die Hilfen sollen dem Libanon auf verschiedene Weise und zu unterschiedlichen Zeitpunkten zugehen; das Spektrum reicht von vergünstigten Sofortkrediten bis zu Spendenversprechen. Allein Saudi-Arabien versprach bei der Konferenz "Paris III", 1,1 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. Die Europäische Investitionsbank (EIB) sagte 960 Millionen Euro (knapp 1,25 Milliarden Dollar) zu, die Weltbank eine Milliarde Dollar. Die EU will rund 400 Millionen Euro Hilfen beisteuern, die USA 770 Millionen Dollar.

Deutschland stockt bereits beschlossene Hilfen für den Libanon auf 103 Millionen Euro auf, wie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (beide SPD) bekannt gaben. Die Mittel sollen in die Wiederherstellung der Wasserversorgung sowie in den Wiederaufbau zerstörter Schulen und Ausbildungsstätten fließen. Nach Angaben Wieczorek-Zeuls stammen 63 Millionen Euro aus dem Entwicklungshilfe-Etat. Auf der Konferenz waren 50 Länder und internationale Organisationen hochrangig vertreten.

Quelle: Agenturmeldungen vom 25. Januar 2007




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