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Hisbollah im Visier des UN-Sondertribunals

Hassan Nasrallah fordert Untersuchung der Rolle Israels bei Mord an Rafik Hariri

Von Karin Leukefeld *

Das UN-Sondertribunal zum Mord an dem früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri plant offenbar, Angehörige der Hisbollah als Urheber des Verbrechens anzuklagen. Das sagte der Generalsekretär der islamischen Organisation, Hassan Nasrallah, bei einer Pressekonferenz in Beirut. Nasrallah berichtete, daß der amtierende Ministerpräsident Saad Hariri, ein Sohn des Ermordeten, ihm diese Absicht des Sondertribunals mitgeteilt habe. Hariri habe von »undisziplinierten Mitgliedern der Hisbollah« gesprochen, um deutlich zu machen, daß nicht die Partei als Ganzes angeklagt werden solle.

Das Sondertribunal wurde 2006 durch den UN-Sicherheitsrat eingerichtet, nachdem die libanesische Regierung eine entsprechende Anfrage eingereicht hatte. Es nahm im Juni 2007 seine Arbeit im niederländischen Den Haag auf. Die Anklagen habe das Tribunal offenbar bereits 2008 formuliert, lange bevor im April 2010 die ersten zwölf Angehörigen seiner Organisation »nicht als Beschuldigte, sondern als Zeugen« befragt worden seien, kritisierte nun Nasrallah. Alle Verdächtigungen der UN-Sonderermittler hätten sich bisher als falsch erwiesen, deshalb konzentriere sich die Beweisermittlung inzwischen auf Telefongespräche, die kurz vor dem Anschlag im Februar 2005 geführt worden waren.

Nach der Festnahme von mehreren Telekommunikationstechnikern, die zugegeben haben sollen, seit 1996 als Spione für Israel gearbeitet zu haben, hatte Nasrallah kürzlich das Sondertribunal als »israelisches Projekt« kritisiert. Es liege nahe, daß Israel mit seinen Spionen versucht habe, Telefonverbindungen zu manipulieren, um falsche Spuren für das Tribunal zu legen. Ermittlungsergebnisse könnten nur akzeptiert werden, wenn diese von »soliden und wahren Beweisen« untermauert würden. Solange die Rolle Israels nicht untersucht werde, sei das Tribunal »voreingenommen«. Israel habe ein Motiv für den Mord an Rafik Hariri gehabt, und es habe die Fähigkeiten, einen solchen Mord auszuführen, meinte Nasrallah. »Wir sind überzeugt, daß es darum geht, den Widerstand, Libanon und die ganze Region anzugreifen«, sagte Nasrallah. Diejenigen, die von Beginn an Syrien der Tat verdächtigt hätten, müßten ihre damalige Haltung überdenken. Sie hätten die Libanesen damals in Freunde und Gegner Syriens geteilt und fast in einen neuen Bürgerkrieg getrieben.

Die Erklärungen des Politikers lösten im Libanon und in arabischen Staaten Aufregung aus. Während Ministerpräsident Saad Hariri auf einem Kongreß seiner Zukunftsbewegung zur Ruhe mahnte, äußerte sich der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Moussa, besorgt über mögliche neue »politische Turbulenzen« im Libanon. Für das kommende Wochenende werden der syrische Präsident Bashar al-Assad, der saudische König Abdullah sowie der Emir von Katar, Scheich Hamad Bin Khalife al-Thani, zu einem Treffen mit Vertretern aller politischen Parteien im Libanon bei Präsident Michel Sleiman in Beirut erwartet.

Ein Beamter des US-Außenministeriums sagte derweil, die souveräne Arbeit des Tribunals sei unverhandelbar. Darum hätten die USA 20 Millionen US-Dollar an das Gericht gespendet. Die Gefahr eines Krieges zwischen Libanon und Israel sei gestiegen, weil Hisbollah versuchen könne, mit einem Angriff auf Israel von der möglichen Mordanklage abzulenken, so der anonym bleibende Funktionär. Hisbollah hingegen hat wiederholt betont, kein Interesse an einem Krieg zu haben.

* Aus: junge Welt, 26. Juli 2010


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