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Beweise sind Mangelware

UN-Sondertribunal für den Libanon zur Aufklärung des Hariri-Attentates muß über Rechtmäßigkeit seiner Existenz befinden

Von Jürgen Cain Külbel *

Das von den Vereinten Nationen installierte Sondertribunal für den Libanon »hat eine politische Agenda und sollte den Prozeß gegen die mutmaßlichen Mörder des ehemaligen libanesischen Premierministers Rafik Hariri nicht führen«, argumentierte der Pariser Anwalt ­Antoine Korkmaz vor der Strafkammer des im Den Haager Vorort Leidschendam ansässigen Gerichtes. In der ersten öffentlichen Anhörung, die am Mittwoch begann, lieferten sich Verteidigung und Anklage von Beginn an eine Auseinandersetzung über die gerichtliche Zuständigkeit und Rechtmäßigkeit des Justizkörpers, der ihnen Brot und Lohn sichert.

Rafik Hariri war am 14. Februar 2005 mit seinem Autokonvoi in Beirut in die Luft gesprengt worden. 23 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt. Das UN-Sondertribunal wirft den Mitgliedern der schiitischen Hisbollah Salim Jamil Ayyash (48), Mustafa Amine Badreddine (51), Hussein Hassan Oneissi (38) und Assad Hassan Sabra (35) Mittäterschaft vor und erließ im Juni 2011 internationale Haftbefehle. Harte Beweise hat die Anklage nicht, begründet die Täterschaft jedoch mit einer unter Fachleuten umstrittenen Analyse eines Netzwerkes von Telefonverbindungen, von denen kein einziger Gesprächsfetzen bekannt ist. Die Hisbollah wies die Beteiligung an dem Attentat stets zurück, erklärte, sie werde die Verdächtigen nicht ausliefern, da das Gericht illegal sei, die US-und israelischen Interessen diene. Das Tribunal will in Abwesenheit gegen die vermeintlichen Täter verhandeln.

Korkmaz, Mitglied der Verteidiger-Crew, ging den UN-Sicherheitsrat scharf an: Der »mißbrauchte seine Befugnisse (…) um den Erfolg einer politischen Partei gegenüber einer anderen im Staat Libanon zu sichern«, denn er »hat Partei ergriffen«, als er am 30. Mai 2007 per Resolution 1757 das Tribunal einrichtete. Dies, so Korkmaz, stelle »einen Machtmißbrauch und eine Verletzung des Völkerrechts« dar. Die Resolution – China, Rußland, Katar, Indonesien und Südafrika enthielten sich der Abstimmung – war von Frankreich, Großbritannien und den USA eingebracht worden. Libanons damaliger Ministerpräsident Fuad Siniora hatte persönlich um den Schritt gebeten, war aber weder vom Beiruter Parlament noch von Präsident Emile Lahoud legitimiert worden; beides verlangt die libanesische Verfassung. China und Rußland betrachteten das Vorgehen daher als Einmischung in innerlibanesische Angelegenheiten, als Präzedenzfall, der die innenpolitische Spaltung Libanons zwischen der prowestlichen Regierung unter Siniora und der von der Hisbollah geführten Opposition vertiefe.

Korkmaz’ Einwand, das der Einrichtung des Tribunals zugrunde gelegte Kapitel VII der UN-Charta (»Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen«) greife ebenfalls nicht, denn »die Ermordung Hariris« könne »nicht als eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit« gewertet werden, wurde von der Anklage abgeschmettert. Staatsanwalt Norman Farrell, der die Argumente der Verteidigung als »ein bißchen fehl am Platze« herunterspielte, konterte kaltschnäuzig, »der Sicherheitsrat brauchte nicht die Erlaubnis, sich auf Kapitel VII zu berufen, und das Land, das Gegenstand der Resolution ist, hat als Mitglied der Vereinten Nationen bereits seine Souveränität in solchen Fällen abgetreten«. Farrell meinte, »alle Anstrengungen der Verteidigung in Sachen Rechtmäßigkeit der Gründung des Gerichts seien unzulässig, weil das die Regeln des Sondertribunals nicht erlauben«.

Marten Youssef, Sprecher des Sondertribunals, erklärte, mit einem Spruch der Richter über Legalität oder Illegalität ihres Gerichtes sei nicht vor Ende Juli zu rechnen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 15. Juni 2012


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