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Heiße Luft um Hariri-Tribunal

Auch der jüngste Untersuchungsbericht blieb Täternamen schuldig

Von Jürgen Cain Külbel *

Nicolas Michel, Vertreter des UNO-Generalsekretärs für Rechtsangelegenheiten, erklärte am Montag (31. März) in der saudischen Tageszeitung »Ash-Sharq Al-Awsat«, das internationale Sondertribunal zur Untersuchung des Attentats auf den ehemaligen libanesischen Premier Rafik Hariri am 14. Februar 2005 sei für das erste Jahr finanziert. Und es werde »Zähne haben«. Bei dem Anschlag vor drei Jahren waren neben Rafik Hariri 22 weitere Menschen getötet worden. Für das auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats eingesetzte Tribunal im niederländischen Leidschendam wurden bereits elf Richter ausgewählt, darunter vier Libanesen.

Ob sich die bissige Prognose des Schweizers Michel erfüllen wird, bleibt jedoch ungewiss. Er selbst will seinen UN-Job im August an den Nagel hängen – eben wegen »politischen Drucks« in Sachen Hariri-Tribunal, heißt es. Und der der jüngste, inzwischen 10. Bericht der UNO-Kommission, die das Beiruter Verbrechen untersucht, scheint das Papier nicht wert zu sein, auf das er gedruckt wurde.

Der kanadische Staatsanwalt Daniel Bellemare, seit Anfang 2008 Chefermittler und künftig Chefankläger, fabulierte am vergangenen Freitag vor dem Sicherheitsrat, ein »Netzwerk aus Einzelpersonen« habe Hariri getötet: »Die Kommission hat Beweise gesammelt, die zeigen, dass das Hariri-Netzwerk vor dem Anschlag auf Hariri bestand, dass es Rafik Hariri vor dem Anschlag unter Beobachtung stellte, dass es am Tag des Anschlags tätig war und dass mindestens ein Teil des Netzwerks nach dem Anschlag weiterhin bestand und handelte.« Zumindest wisse man nach drei Jahren Ermittlungen, die Millionen Dollar kosteten, dass kein Fernsehnetzwerk hinter den Anschlägen stecke, witzelten Libanesen. Zur Identität der Täter machte Bellemare indes keine Angaben.

Der Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis, der die UN-Untersuchungskommission von Mai bis Dezember 2005 leitete, ehe er an den Aussagen zweier geschmierter Kronzeugen scheiterte, hatte Washingtons Wunschtäter ins Rennen gebracht – »hochrangige syrische Sicherheitsbeamte«. Und er »empfahl« Libanons oberster Justizbehörde im Sommer 2005, die syrienfreundlichen Chefs von vier libanesischen Sicherheitsdiensten zu inhaftieren. Beweise für deren Täterschaft blieb er bis heute schuldig. Ob Bellemares Hinweis auf das »kriminelle Netzwerk« die These von Mehlis stützt oder nicht, wurde nicht deutlich. Hingegen fand der Kanadier die Zusammenarbeit der Kommission mit Syrien »grundsätzlich zufriedenstellend«.

Mehlis verteidigte die Inhaftierung der vier Generäle noch am 18. März im libanesischen Fernsehsender LBC International mit der Bemerkung: »Niemand steht über dem Gesetz.« Das Team um den Pariser Anwalt Akram Azouri, das den ehemaligen Sicherheitsgeneral Jamil Sayyed vertritt, sieht das völlig anders. Sayyeds Pressebüro erklärte gegenüber ND: »Wir bekommen eine Petition, die von Mitgliedern des libanesischen Parlaments unterzeichnet ist und dazu dient, Libanons Justizminister Charles Rizk vor einem speziellen Gericht, hier im Land, zu verfolgen. Wir zählen nicht mehr auf die libanesische Justiz, um die Generäle frei zu bekommen, man kümmert sich nicht um sie. Sie werden illegal und aus politischen Gründen, ungeachtet des Fehlens jeglicher Beweise festgehalten, im Widerspruch zu Feststellungen des UN-Hochkommissars für Menschenrechte und des Jahresberichts des US-Außenministeriums zur Menschenrechtslage in Libanon.«

Mehlis behauptete in LBC, die Ermordung des Parlamentariers und Generalmanagers der Beiruter Tageszeitung »An Nahar«, Gebran Tueni, am 12. Dezember 2005 sei Teil der »gefährlichen Bedrohungen« gegen ihn selbst und die Kommission gewesen. Pikant daran: Tage später erklärte der 81-jährige keineswegs syrienfreundliche Vater des Getöteten, der Journalist und Politiker Ghassan Tueni, Israel sei in die Ermordung Rafik Hariris verstrickt.

Längst bezichtigen die Anwälte der Generäle Mehlis der »Fälschung von Beweisen, des Fabrizierens von Tatsachen, der Befragung imaginärer Zeugen«. Auch hier ist eine Klage in Arbeit. Auf Nachfrage erklärte Sayyeds Pressebüro: »Das ist eine sehr heikle Angelegenheit und verlangt Diskretion. Wir können Ihnen versichern, dass dieser Fall die Gesetzgeber lehren wird, sich selber und die internationalen Normen zu respektieren. Unser Team ist verpflichtet, diesen Fall zu verfolgen, bis wir ihn gewinnen.«

Doch der große Moment, so die britische Tageszeitung »The Guardian«, wird kommen, wenn Bellemare Ende des Jahres Anklagen erhebt: »Dann wird die Kacke durch den Ventilator fliegen«, zitierte das Blatt eine nicht näher bezeichnete »UNO-Quelle«.

* Aus: Neues Deutschland, 2. April 2008


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