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Hariri bleibt vorerst Premier

An Haltung zu UN-Sondertribunal scheiden sich in Libanon die Geister

Von Karin Leukefeld *

Nach dem Rücktritt von elf Ministern seiner Regierung soll der libanesische Premier Saad Hariri vorerst weiterregieren. Das entschied Staatspräsident Suleiman am Donnerstag, einen Tag, nachdem die Regierung der nationalen Einheit zerbrochen war.

Derzeit amtiert in Beirut offiziell eine Übergangsregierung. Wie Staatspräsident Michel Suleiman am Donnerstag erklärte, soll sie so lange im Amt bleiben, bis eine neue Regierung gebildet ist. Laut der Nachrichtenagentur NNA forderte er die verbliebenen 19 Minister auf, ihre Pflicht zu tun.

Hintergrund der neuen Regierungskrise in Libanon ist der Streit um das UN-Sondertribunal, das den Mord an dem ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri – Saad Hariris Vater – und 22 seiner Begleiter aufklären soll. Saad Hariri war mit seinem Autokonvoi am 14. Februar 2005 gesprengt worden. Unmittelbar nach dem Anschlag hatten aufgebrachte Libanesen die langjährige Schutzmacht Syrien verantwortlich gemacht, die kurz darauf ihre Truppen aus dem Zedernstaat zurückzog.

Auch die Ermittlungen des UN-Sonderermittlers, des deutschen Staatsanwalts Detlev Mehlis, konzentrierten sich auf Syrien als Drahtzieher des Attentats. So wurden vier libanesische Generäle festgenommen, die eng mit Syrien kooperiert hatten. Doch die Zeugenaussagen, die zu den Festnahmen geführt hatten, wurden schließlich als unglaubwürdig eingestuft. Nach vier Jahren kamen die Männer wieder frei.

Will man Medienberichten glauben, laufen die Ermittlungen seitdem in Richtung der schiitischen Partei Hisbollah, die eine Verwicklung in den Hariri-Mord jedoch zurückweist. Hisbollahführer Hassan Nasrallah wirft dem Tribunal vor, einseitig zu ermitteln, weil es noch nie eine mögliche Täterschaft Israels in Erwägung gezogen habe.

Veröffentlichungen der Enthüllungs-Website Wikileaks und libanesische Ermittlungen machten indes deutlich, dass Israel über ein weites Spionagenetz in Libanon verfügt und sich unter anderem Zugang zur internen Kommunikation des libanesischen Sicherheitsapparates verschafft hatte.

Dadurch sei auch die Manipulation von Beweismaterial möglich geworden, hieß es. Weil sich das Kabinett von Saad Hariri mehrheitlich weigerte, über die Konsequenzen »falscher Zeugenaussagen« und eine mögliche Instrumentalisierung des Sondertribunals zu beraten, waren die politischen Spannungen innerhalb der Regierung in den letzten Monaten gestiegen. Nasrallah lehnte eine Zusammenarbeit mit dem Tribunal ab. Saudi-Arabien und Syrien hatten seit November versucht, in dem Streit zu vermitteln – ohne Erfolg. Vor drei Tagen stellte Riad offiziell die Vermittlungen ein, weil Saad Hariri nicht zum Einlenken bereit war. Die Hisbollah wiederum beschuldigte die USA, für das Scheitern verantwortlich zu sein, weil sie Hariri unter Druck gesetzt habe. Saad Hariri war zum Zeitpunkt des Ministerrücktritts am Mittwoch in Washington. US-Präsident Barack Obama hatte ihn demonstrativ unterstützt und die Hisbollah für die Regierungskrise verantwortlich gemacht. Hariri ist inzwischen zurück in Beirut.

Außenminister Guido Westerwelle forderte derweil die politischen Kräfte in Libanon auf, sich »verantwortungsvoll und konstruktiv zu verhalten«, stellte sich aber hinter die Arbeit des Sondertribunals. Anfang des Jahres hatte die Bundesregierung für dessen Arbeit 1,5 Millionen Euro überwiesen und damit den bisherigen Jahresbeitrag von einer Million Euro deutlich erhöht.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Januar 2011


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