Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Falsche Zeugen"

Libanon: Manipulationen nach dem Hariri-Mord. Haftbefehle in Syrien

Von Karin Leukefeld *

Mehr als fünf Jahre nach dem Mord an dem früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri sorgt das UN-Sondertribunal Libanon (STL) und eine Diskussion um »falsche Zeugen« im Zedernstaat für große Spannungen. Syrien war damals umgehend der Tat am 14. Februar 2005 verdächtigt worden, hatte die Beschuldigung aber stets zurückgewiesen. Die seit zwei Jahren von Ministerpräsident Saad Hariri geführte Regierung der Nationalen Einheit ist nun auf eine harte Probe gestellt, seit bekannt wurde, daß das Tribunal möglicherweise Mitglieder der Hisbollah für die Tat anklagen wolle.

Ministerpräsident Saad Hariri hatte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah über diese mögliche Anklage informiert, woraufhin Nasrallah eine Verwicklung seiner Organisation in den Mord ausschloß und Israel als möglichen Verdächtigen ins Spiel brachte. Israel habe durch ein weites Spionagenetz im Libanon alle Möglichkeiten gehabt, den Mord vorzubereiten, durchzuführen und spätere Beweise zu manipulieren. Seit 2009 wurden rund 150 Personen wegen Spionage für Israel im Libanon festgenommen. Oberermittler Daniel Bellemare wies Spekulationen über eine angebliche Anklage gegen die Hisbollah zurück.

Parlamentssprecher Nabi Berri (Amal-Bewegung) warnte am Mittwoch vor der wachsenden Gefahr eines neuen Bürgerkrieges, während die Minister von Amal und Hisbollah drohten, an keiner weiteren Kabinettssitzung teilzunehmen, falls nicht über die »falschen Zeugen« debattiert werde, die die Arbeit des Sondertribunals beeinflußt hatten. Der mit Hisbollah verbündete Michel Aoun (Freie Patriotische Bewegung) beschuldigte Hariri, zwar zugegeben zu haben, daß es »falsche Zeugen gibt, aber Sie wollen sie nicht vor Gericht bringen, weil Sie sie gemacht haben«.

Die »falschen Zeugen« wurden offensichtlich, nachdem vier frühere hochrangige libanesische Militärs, die fast vier Jahre ohne Anklage in Haft saßen, 2009 mangels Beweisen freigelassen wurden. Einer von ihnen, General Jamil Sayyed, hatte vor wenigen Wochen schwere Vorwürfe gegen Saad Hariri erhoben und zum Sturz seiner Regierung aufgerufen, nachdem dieser offiziell eingestanden hatte, nach dem Mord an seinem Vater (2005) das Nachbarland Syrien fälschlicherweise der Tat beschuldigt zu haben. Hariri hatte Anfang September zugegeben, sein Handeln sei »politisch motiviert« gewesen, die Zeugen hätten »falsche Aussagen« gemacht, um Syrien zu belasten. Die »falschen Zeugen« nahmen ihre Aussagen zurück, einige erklärten, sie seien unter Druck gesetzt worden. General Sayyed hatte daraufhin in Syrien eine Reihe von Personen angezeigt, woraufhin Syrien vor wenigen Tagen 33 Haftbefehle gegen libanesische und ausländische Richter, Politiker und Journalisten erließ, die »falsche Zeugen« unterstützt haben sollen. Prominenter Name auf der Liste der Beschuldigten ist der Berliner Staatsanwalt Detlev Mehlis, der unmittelbar nach Einrichtung des Tribunals durch den UN-Sicherheitsrat mit den Ermittlungen beauftragt worden war. Zielstrebig hatte Mehlis Syrien als Hauptverantwortlichen verfolgt und damals die Festnahme der Generäle angeordnet. Haftbefehl wurde in Syrien auch gegen Mehlis' damaligen Assistenten, den BKA-Ermittler Gerhard Lehmann, erlassen.

Bei den aktuellen Haftbefehlen handele es sich um eine rein juristische Angelegenheit von General Sayyed, erklärte der syrische Präsident Bashar Al-Assad in einem Interview mit dem türkischen Fernsehsender TRT. Außenminister Walid Mou'allem wies Vorwürfe zurück, Syrien wolle das Tribunal »politisieren«. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärte hingegen, niemand im Libanon und in der Region solle sich in die Arbeit des Tribunals einmischen, es sei »unabhängig« und habe »das klare Mandat des Sicherheitsrates, die Wahrheit zu enthüllen und Straffreiheit zu beenden«.

* Aus: junge Welt, 8. Oktober 2010


Zurück zur Libanon-Seite

Zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage