Gascoup im Mittelmeer
Gigantische Vorkommen des Energieträgers im Küstenbereich sorgen für neuen Zündstoff in Beziehungen zwischen Israel und dem Libanon
Von Raoul Rigault *
Nach dem blutigen Gefecht zwischen israelischen und libanesischen
Grenztruppen Anfang des Monats ist das Verhältnis zwischen beiden
Ländern so gespannt wie seit dem Krieg im Juli 2006 nicht mehr. Zur
ständigen Verletzung des libanesischen Luftraums und der andauernden
Besetzung der Shebaa-Farmen durch Tel Aviv kommt nun ein weiterer
Streitpunkt hinzu: die enormen Erdgasvorkommen der Felder Dalit, Tamar
und Leviathan, die in einem umstrittenen Seegebiet bis zu 130 Kilometer
vor der Küste von Haifa beziehungsweise Tyros lagern.
Es sind die größten bislang nachgewiesenen Erdgasreserven im Mittelmeer.
Gesamtumfang etwa 800 Milliarden Kubikmeter, aktueller Marktwert, 100
Milliarden Dollar (78 Milliarden Euro). Da beide Staaten kaum über
eigene Energievorkommen verfügen, besitzen die Lagerstätten hohen
strategischen Wert und könnten den Konflikt eskalieren lassen.
Israels Rohstoffknappheit droht in den kommenden Jahren schmerzhaft zu
werden, da der Bedarf explosionsartig steigt. Laut Schätzungen des
Direktors der Erdgasbehörde, Shuki Stern, wird sich der Verbrauch von
gegenwärtig fünf Milliarden Kubikmeter bis zum Jahr 2020 verdoppeln. Die
Energiefrage bildet seit jeher die Achillesferse des zionistischen
Siedlungsprojektes. Bereits Ministerpräsidentin Golda Meir hatte sich
Anfang der 70er Jahre unter Bezug auf die biblische Überlieferung bitter
darüber beklagt: »Es gibt eine Sache, die wir Moses vorwerfen. Er
brauchte 40 Jahre, um die Wüste zu durchqueren und uns am Ende das
einzige Stückchen Land im Mittleren Osten zu geben, das nicht über Erdöl
verfügt.«
Seit dem Friedensschluß mit Ägypten 1979 hat sich die Lage etwas
entspannt. Der ehemalige Kriegsgegner wurde zum wichtigsten
Gaslieferanten. Im Januar 2009 jedoch zeichnete sich erstmals eine
Lösung des alttestamentarischen Problems ab, als mehrere israelische
Gesellschaften im Verbund mit dem US-Unternehmen Noble Energy die
Entdeckung der Lagerstätte Tamar bekanntgaben. Allein die dortigen 228
Milliarden Kubikmeter würden - bei heutigem Verbrauch -den Bedarf für
die nächsten 35 Jahre decken.
Am 3. Juni folgte eine noch größere Sensation, als Noble, das 40 Prozent
des Konsortiums kontrolliert, das Volumen des Feldes Leviathan auf 453
Milliarden Kubikmeter veranschlagte. Begeistert über die Funde erklärte
der Vorstandsvorsitzende Charles D. Davidson: »Wir glauben, daß wir
damit die Nachfrage des Binnenmarktes übertreffen werden.« Geradezu in
patriotischen Taumel verfiel der israelische Tycoon Isaac Tshuva, der
meinte: »Dies ist ein Festtag für den gesamten Staat Israel. Jetzt
besitzen wir ausreichend Energie für hundert Jahre.«
Im Libanon ist man jedoch nicht gewillt, der handstreichartigen
Aneignung der Reichtümer vor der gemeinsamen Küste tatenlos zuzusehen.
Drei Tage nach der Leviathan-Meldung erwiderte der Vorsitzende des
Exekutivrates der Hisbollah, Hashem Safieddine, daß seine Partei »es
Israel niemals erlauben wird, die libanesischen Erdgasressourcen zu
plündern«. Auch Energieminister Gebran Bassil von der verbündeten
christlich-liberalen FPM des Exgenerals Aoun erklärte: »Wir werden
Israel oder irgendeiner Gesellschaft, die für seine Interessen arbeitet,
niemals gestatten, Erdgas zu fördern, das auf unserem Territorium
liegt.« Ähnlich äußerte sich der schiitische Parlamentspräsident Nabih
Berri von der gemäßigten Amal, der darauf hinwies, daß ein Teil der
Vorkommen eindeutig in den Territorialgewässern des Libanon liege. Auch
wenn ein Blick auf die Landkarte dies bestätigt, drohte Israels
Infrastrukturminister Uzi Landau unverhohlen mit einem neuen Waffengang,
falls Beirut Ansprüche geltend machen und eigene Lizenzen vergeben
würde: »Der Libanon fordert etwas, das uns gehört. Dahinter steht
Syrien. Und wenn wir bedroht werden, schließen wir kein Mittel aus, um
unsere Souveränität zu verteidigen, auch nicht den Einsatz von Gewalt.
Diese Vorkommen sind ein strategischer Asset.« Trockener Kommentar des
pro-westlichen Premiers Saad Hariri: »Die Libanesen zu bedrohen, ist das
einzige, was Israel kann.«
Landau, ehemaliger Major und enger Gefolgsmann von Ariel Sharon, der
heute der rechtsextremen Vaterlandspartei Yisrael Beiteinu von
Außenminister Lieberman angehört, verweist derweil gern darauf, daß sein
Staat bereits 2003 prophylaktisch für Leviathan und andere Gebiete
Lizenzen vergeben habe. Mit Blick auf die geographischen Fakten sucht
Tel Aviv dennoch nach Verbündeten und scheint sie in Nikosia gefunden zu
haben. Gemeinsam mit Zypern wird gegenwärtig an einem Abkommen
gearbeitet, um sich jeweils - unter Ausschluß der übrigen Anrainer -
eine 200-Kilometer-Zone zuzuschanzen. Der Lohn für die weitabgelegenen
Zyprioten: für den Fall, daß sich Ausläufer auf ihr Gebiet finden
sollten, dürfen sie bei der Ausbeutung auf israelische Unterstützung hoffen.
Selbst nach Ansicht des ehemaligen Botschafters in Washington und
heutigen Professors für internationales Recht an der Universität
Jerusalem, Robbie Sable, ist die Rechtslage sehr viel komplexer. Zum
einen erhebt Israel seine aktuellen Ansprüche nicht auf Grundlage seiner
Territorialgewässer, sondern seiner »exklusiven Wirtschaftszone«, die
allerdings bislang weder erklärt noch in ihren Ausmaßen definiert wurde.
Die Ermittlung der libanesischen Anteile wiederum leide darunter, daß
die gemeinsame Grenze einen sehr ausgezackten Verlauf habe, weshalb eine
lineare Fortschreibung auf See schwierig sei.
Unerwartete Unterstützung für Beirut kommt aus London vom Chefökonomen
des angesehenen Centre for Energy Studies, Leonidas Drollas, der zwar
das Prinzip vertritt, daß derjenige, der zuerst komme, »mehr
Möglichkeiten« habe. Die »beste Lösung« sei aber »ein Abkommen zur
Teilung der Profite«, wie es derzeit das rohstoffhungrige China und das
an Bodenschätzen arme Japan bei der Ausbeutung der großen Lager im
Bereich der Senkagu-Inseln praktiziere. Eine ähnlich friedliche Lösung
erscheint im Falle Israels allerdings schwer vorstellbar.
* Aus: junge Welt, 23. August 2010
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