Verzweifelte Hoffnung im Paradiesgarten
Südlibanon leidet noch immer unter den Folgen des israelischen Bombenkriegs
Von Karin Leukefeld *
Frühling über Libanon. Tiefblau spannt sich der Himmel vom Mittelmeer bis zu den Bergen östlich
von Nabatiye. »Der Süden ist wie ein Paradiesgarten«, schwärmt Hamsa über seine Heimat. »Taxi
to all Lebanon« steht auf seiner Visitenkarte, doch am liebsten ist er hier im Süden unterwegs.
Hamsa steuert seinen Mercedes über die schmale Landstraße nach Arzoun Srifa und weicht
geschickt den vielen Schlaglöchern und Kratern aus, die nach dem Sommerkrieg 2006 nur
provisorisch mit Schotter und Bauschutt aufgefüllt wurden.
Zerstörungen sind in jedem Dorf zu sehen
»Sogar diese abgelegenen Straßen haben sie bombardiert!« Hamsa schüttelt den Kopf und lacht in
sich hinein. »Trotzdem konnten sie die Hisbollah nicht vernichten.« »Sie« sind die israelischen
Kampfjets, die während des 33-Tage-Krieges im Juli und August große Teile Südlibanons in Schutt
und Asche bombten. Borj Rahba, Deir Qanoun, Maaroub – auf dem Weg von Saida nach Arzoun
Srifa sind die Zerstörungen in jedem Dorf zu besichtigen.
Auf einer Anhöhe, wenige Kilometer von Arzoun Srifa entfernt, liegt eine Schule für Taubstumme
und Waisenkinder, die von der Mabarrat-Stiftung von Sayed Mohammad Hussein Fadlallah
unterhalten wird. Fadlallah ist die höchste religiöse Autorität unter den Schiiten Libanons, die
Mabarrat-Schulen sind als wohltätige Einrichtungen bekannt. Israelische Kampfjets griffen das
Gebäude als »terroristische Infrastruktur« an, berichtet Hamsa. Die Kinder hatte man schon zu
Beginn des Krieges evakuiert.
Arzoun Srifa liegt 450 Meter über dem Meeresspiegel in einer hügeligen Hochebene. Der Ort ist
politisch fest in der Hand der schiitischen Amal-Bewegung. Im Sommer 2006 kämpfte die Amal an
der Seite der Hisbollah gegen die israelische Armee. Wie in vielen Dörfern des Südens hängen auch
in Srifa die Bilder der Gefallenen. Die Märtyrer der Amal erkennt man an den grünen Fahnen, die der
Hisbollah an den gelben Fahnen. Die Gefallenen der Kommunistischen Partei sind als Gruppe auf
einem Plakat abgebildet, umrahmt mit roten Fahnen. Von den 1000 Häusern in Srifa wurden 350
komplett zerstört, erklärt Afif Najdi, der Bürgermeister des Ortes. Die restlichen 650 Häuser müssten
alle repariert werden, fast überall gingen die Scheiben während der Angriffe zu Bruch. »37
Menschen wurden getötet, 26 allein in einer Nacht und in einem Haus«, fährt Najdi fort, der Ende der
80er Jahre seine Ingenieursausbildung in Boston an der USA-Ostküste absolviert hat.
Warum Srifa angegriffen wurde, kann Najdi nicht sagen. »Die Israelis haben ihre eigene Art und
Weise«, murmelt er schulterzuckend. 85 Prozent der Einwohner von Srifa lebten vom Tabakanbau,
erklärt Najdi. Die meisten hätten ihre gesamte Ernte während des Krieges verloren. Nun liegen
Streubomben in den Feldern und auf den Wiesen, sogar zwei Raketen hätte die italienische
Hilfsorganisation gefunden, die in der Umgebung von Srifa die nicht explodierte Munition räumen
soll. Zwei Schulen, drei Moscheen, zwei andere religiöse Versammlungsstätten seien zerstört
worden, zählt der Bürgermeister auf. Das Abwassersystem, Straßen und Stromversorgung, alles
wurde beschädigt. Geld zum Wiederaufbau gebe es von der Regierung und von der Hisbollah.
Wird Libanon Israel auf Wiedergutmachung verklagen? »Wofür?«, fragt Bürgermeister Najdi. »Nur
für diesen Krieg?« 1978, 1982, 1993, 1996 und 2006 seien die israelischen Truppen über
Südlibanon hergefallen, fährt er fort.
Die Erfahrungen mit dem schwierigen israelischen Nachbarn haben die Libanesen misstrauisch
gemacht, zumal israelische Kampfflugzeuge und Aufklärungsdrohnen fast täglich libanesischen
Luftraum verletzten. Proteste der UNIFIL-Truppen verhallen ungehört. UNO-Soldaten wurden selber
zum Ziel israelischer Angriffe, im vergangenen Sommer starben vier bei der Zerstörung ihres
Stützpunktes in Khiam.
Der Ort Qana, südöstlich von Tyros gelegen, ist ein anderes Beispiel. 1996 fielen israelische
Bomben auf den dortigen UNO-Stützpunkt, wo fast 300 Menschen Zuflucht vor der israelischen
Operation »Früchte des Zorns« gesucht hatten. 106 von ihnen wurden bei dem Angriff getötet.
2006 war Qana wieder das Ziel israelischer Luftangriffe. Am 30. Juli wurde ein Haus am Ortsrand
zerstört, weil es angeblich eine Stellung der Hisbollah gewesen sei. 28 Menschen wurden getötet,
16 von ihnen waren Kinder. Die Gemeinde von Kana hat eine Gedenkstätte errichten lassen, wo
neben den Zivilisten auch zwei Kämpfer der Hisbollah beerdigt wurden, die aus Kana stammten.
Sympathie und Spenden für Hisbollah
Viele Familien aus Qana fanden während des Krieges im Ain-al-Hilwa-Camp der Palästinenser in
Saida Zuflucht. Unter ihnen war auch Khodor Nasrallah mit seiner Frau und drei Kindern. Die Suche
nach ihm in Qana ist nicht schwer, jeder kennt den blinden Schlüsselmacher. Gerade ist er dabei,
einem Kunden einen Nachschlüssel zu fertigen, zwei Minuten später ist er fertig. Mit Hilfe der
Brailleschrift, die Khodor Nasrallah als Kind in einer christlichen Schule in Beirut erlernte, hat er die
6000 Schlüsselmodelle markiert und kann sie leicht auseinanderhalten, erklärt er. Sein Geschäft und
sein Haus seien in Ordnung gewesen, als er nach dem Krieg zurückkehrte, nur der Geruch des
Todes habe über dem Ort gehangen. Hassan Nasrallah, der Führer der Hisbollah, sei ein entfernter
Verwandter von ihm, erzählt der Schlüsselmacher. »Ich liebe die Hisbollah, jeden Monat spende ich
für sie.«
Stolz zeigen Khodor Nasrallah und seine Frau zwei Sparbüchsen. »Eine ist für Hisbollah, und eine
ist für die Stiftung von Mohammad Hussein Fadlallah, für die Waisenkinder.« Jeden Abend lege er
etwas Geld in die Dosen, und am Monatsende könne er manchmal bis zu 50 Dollar spenden.
Sein Bruder habe früher in Deutschland gelebt, erzählt Khodor Nasrallah. Nach fünf Jahren, 1994,
wurde er abgeschoben. Sein Bruder sei unter denen gewesen, die 1996 Schutz suchten im UNOCamp
in Qana. Bei dem Angriff habe er ein Bein verloren. Der Schlüsselmacher schweigt einen
Moment. »Was soll ich sagen, den Israelis ist das alles doch egal, die UNO-Fahne, die Kinder ...«
In Richtung Süden nehmen die Verwüstungen zu, manche Dörfer scheinen nur noch aus Trümmern
zu bestehen. Siddiqine, Kafra, Beit Leif, Aita Chaab. Ab und zu weist ein Schild auf Projekte der EU
und der UNO hin, doch viel ist nicht zu sehen. Autowracks türmen sich am Straßenrand, einige
Männer schrauben brauchbare Teile heraus. Farbige Holzbögen spannen sich über der Straße. »Die
Niederlage konnte mit eurer Geduld abgewendet werden«, ist darauf zu lesen, oder »Bent Jbail, die
Hauptstadt der Befreiung«. Bent Jbail liegt in unmittelbarer Nähe zu Israel, ein massiver Wachturm
ragt auf einem Hügel jenseits der Grenze empor. Am Ortseingang warten Männer vor einem
Container der Wiederaufbaubehörde für den Süden, einer Regierungseinrichtung. Seit Monaten
hoffen sie auf Geld, um ihre Häuser zu reparieren. Bent Jbail wurde zu fast 50 Prozent zerstört, die
meiste Hilfe kommt aus dem Ausland. Die Schulen werden von den Vereinigten Arabischen
Emiraten wieder aufgebaut, die historische Altstadt wird vom Scheichtum Katar restauriert. Oberhalb
der Altstadt ist der alte Wochenmarkt, der Suk. Ein paar Ruinen der Grundmauern sind alles, was
davon geblieben ist. Die Händler haben ihre Waren einfach dazwischen ausgebreitet. Ein Schulbus
holpert vorbei, den Hang hinunter in die Trümmer der Altstadt. Einige Kinder springen heraus,
winken kurz, schultern ihre Schultaschen und verschwinden zwischen den Ruinen.
* Aus: Neues Deutschland, 11. April 2007
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