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Seltene Eintracht in Libanons Politik

Erbitterte Gegner geben sich versöhnlich

Von Karin Leukefeld *

Angesichts der Rückkehr derer, die Israel im Zuge des jüngsten Gefangenenaustauschs an Libanon zurückgab, herrschte im Zedernstaat seltene Eintracht. Libanesen und palästinensische Flüchtlinge gleichermaßen feierten die Rückkehr ihrer »Helden«, der »Kinder Libanons«.

»Die Glocken der Kirchen läuteten in Eintracht mit den Rufen der Moscheen, vermischt mit den Widerstandsliedern der Hisbollah«, beschrieb eine Augenzeugin die Stimmung. Die Hisbollah, von ihren Anhängern als »Widerstand« bezeichnet, will ihren in harten Verhandlungen erstrittenen Erfolg allerdings nach eigener Aussage »nicht innenpolitisch ausnutzen«. Der Erfolg sei einer für ganz Libanon, verkündete sie.

Die Freigelassenen, mehr aber noch die zurückgekehrten Toten spiegeln das gesamte ethnische und religiöse Mosaik des Zedernstaates wider. Samir Kuntar, der mit 28 Jahren am längsten in Israel gefangen war, ist Druse. Unter den zurückgekehrten Toten sind palästinensische Araber ebenso wie Libanesen, die in der PLO, der damaligen Kommunistischen Partei oder, nach 1982, in der Hisbollah organisiert waren.

Am Morgen des Austauschtages, der zum Feiertag erklärt wurde, hatte sich unter Leitung von Präsident Michel Suleiman erstmals das 30-köpfige Kabinett der nationalen Einheit getroffen. Am späten Nachmittag war die Regierung auf dem Flughafen von Beirut angetreten, um die Rückkehrer zu begrüßen. Verteidigungsminister Elias Murr gratulierte der Hisbollah, Saad Hariri, Führer der parlamentarischen Mehrheit, sprach von einem »historischen Tag der nationalen Freude«. Er fuhr fort: »Hoffen wir, dass mit dem Austausch das Leid der Libanesen durch israelische Aggressionen ein Ende haben wird.« Hariri politisch nahe stehende Gruppen forderten derweil, nun müsse man auch das Schicksal libanesischer Gefangener in syrischen Gefängnissen aufklären.

Noch im Mai hatten sie in den Chouf-Bergen gegeneinander gekämpft, doch auf einer Begrüßungsfeier für Samir Kuntar in dessen Heimatort Aabey, sprachen neben Drusenführer Walid Dschumblatt, einem erbitterten Gegner der Hisbollah, auch der neue Arbeitsminister Mohammad Fneish für die Hisbollah und Talal Arslan, der Minister für Jugend und Sport als Führer der oppositionellen Drusen. Dschumblatt sagte versöhnlich und mahnend zugleich, es gebe »keinen Widerspruch zwischen dem Widerstand und dem internationalen Tribunal« (zur Aufklärung des Mordes an Rafik Hariri), »keinen Widerspruch zwischen Libanon und dem Widerstand« – sofern man sich auf eine gemeinsame Verteidigungsstrategie einige. Fneish erklärte: »Wir reichen unseren nationalen Partnern die Hand, ungeachtet unschöner vergangener Erfahrungen.« Man solle zusammenarbeiten, »um die Vergangenheit zu überwinden«.

Aus Kreisen des israelischen Geheimdienstes, der sich gegen die Freilassung Kuntars ausgesprochen hatte, wird derweil mit dessen Ermordung gedroht. »Wenn es eine Chance gibt, die Akte Kuntar zu schließen, wird Israel nicht zögern«, sagte ein Mitarbeiter gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Am gleichen Tag meldeten verschiedene Bewohner Südlibanons, sie seien aus Israel angerufen worden. »Hier spricht der Staat Israel«, habe eine Stimme gesagt, »Macht Schluss mit der Hisbollah, sonst wird es einen weiteren Krieg wie 2006 geben.« Libanons neuer Telekommunikationsminister Gibran Bassil erklärte, er habe bei UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gegen die Drohungen protestiert.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Juli 2008


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