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Eine Bombe vorm Hariri-Bericht

Aufgeheizte Atmosphäre in Libanon begleitet Fortgang der Ermittlungen

Von Jürgen Cain Külbel, Beirut *

In zehn Tagen soll ein weiterer Bericht zur Ermordung des ehemaligen libanesischen Premiers Hariri vorgelegt werden. Ein weiterer Anschlag hat die Stimmung angeheizt.

Bei einem Bombenanschlag auf den aus zwei Polizeifahrzeugen bestehenden Konvoi von Oberstleutnant Samira Shehade, ehemals ranghoher Mitarbeiter im Beiruter Innenministerium, kamen in Südlibanon ein Zivilist und ein Bodyguard ums Leben. Unbekannte Täter brachten per Fernzündung eine am Straßenrand abgelegte Bombe zur Explosion, als die Eskorte die zwischen zwei Brücken gelegene Landstraße nahe der Ortschaft Rumeila passierte. Shehade, durch Schrapnelle schwer verletzt, wurde ins Hammoud Hospital nach Sidon gebracht. Bislang bekannte sich niemand zu dem Anschlag.

Dem Sender Al Arabiya zufolge gehört Shehade zu den Geheimdienstmitarbeitern, die maßgeblich an den Ermittlungen zum Mord am früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri beteiligt gewesen waren. Innenminister Ahmed Fatfat sagte, Shehade habe im August 2005 für die Verhaftung der vier »prosyrischen« Generäle Jamil Sayyed, Ali Hajj, Raymond Azar und Mustafa Hamdan gesorgt, die aufgrund der »Eingebungen« des ehemaligen deutschen UN-Sonderermittlers Detlev Mehlis in die Ermordung Hariris verwickelt sein sollen. Mehlis hatte ein wurmstichiges juristisches Konstrukt auf der Basis unbewiesener Angaben und Aussagen von Zeugen errichtet, die offenbar bestochen waren oder denen Folter angedroht worden war, um die Regierung in Damaskus als Drahtzieher des Verbrechens, so wie von Washington gewünscht, ins Rampenlicht zu zerren.

Das Attentat ist das jüngste einer seit Februar 2005 Libanon erschütternden Serie und ereignete sich, wie so manches zuvor, gerade zu einem Zeitpunkt, an dem ein »größeres Ereignisse« ins Haus steht: In zehn Tagen wird der jetzige UN-Chefermittler, der Belgier Serge Brammertz, seinen dritten Bericht zum Stand seiner Ermittlungen in der Mordsache Hariri dem UN-Sicherheitsrat vorlegen. Ein Abgeordneter der »antisyrischen« Koalition bewies zudem vor wenigen Tagen hellseherische Fähigkeiten, als er im Fernsehen andeutete, »dass Syrien wieder Explosivstoffe einsetzen werde».

Es seien, so die Kommission, »wichtige neue Beweise von den Beamten hier und auswärts gesammelt worden«. Aus Justizkreisen verlautete, Brammertz sei kürzlich in Paris gewesen, um die Aussagen des syrischen Ex-Vizepräsidenten Abdel-Halim Khaddam und des »Hauptzeugen« Mohammad Zuheir Siddiq aufzunehmen. Khaddam, der bislang nur billige Verleumdungen in die Welt setzte, wohnt auf Kosten der Familie Hariri in deren Pariser Villa. Siddiq hingegen, ein verurteilter Betrüger, der nach eigenen Angaben dank seiner die vier Generäle belastenden Aussage zum Millionär geworden war, zählt offenbar noch immer zu den »Kronzeugen« der Kommission, obwohl er seine Beschuldigungen längst zurückgezogen hatte. Brammertz, so Beiruts Buschfunk, soll zwischenzeitlich auch Syriens Präsidenten Bashar Assad erneut befragt haben.

Der Belgier, der sich mit dem Untersuchungsmaterial zwei Tage nach Beginn der israelischen Aggression nach Zypern abgesetzt hatte, kehrte erst am 14. August nach Beirut zurück, um nun die Bildung eines internationalen Tribunals gegen die vier »verdächtigen« Generäle voranzutreiben.

Zwischendurch hatten ausländische Medien dafür gesorgt, dass h diese Sache am Köcheln bleibt, darunter auch die »Welt«, die berichtete, Syrien habe geplant während der Kämpfe zwischen Israel und Hisbollah, Drahtzieher des Hariri-Mordes zu befreien. Mitarbeiter des syrischen und libanesischen Geheimdienstes hätten im Beiruter Rumia-Gefängnis eine Revolte angezettelt. Ziel sei es gewesen, die Haupttore zu öffnen, um eine Massenflucht zu ermöglichen. Im Tumult sollten die vier hochrangigen Mitglieder der libanesischen Sicherheitsdienste von syrischen Agenten nach Damaskus gebracht werden, um einem Verhör durch den UN-Ermittler zu entgehen. Libanesische Augenzeugen außerhalb der Haftanstalt hätten von Landrovern erzählt, die vor dem Gefängnis mit laufendem Motor warteten. Die Befreiungsaktion sei gescheitert, so die Berichte, weil die Gefängniswärter rechtzeitig Verstärkung rufen konnten. Bereits drei Wochen vor dieser Zeitungsente hatte der zuständige libanesische Staatsanwalt dies allerdings dementiert.

All das arbeitet dem im Auftrag der USA und der UNO ermittelnden Brammertz selbstredend zu, der in Bezug auf die vier ohne jeglichen Schuldbeweis einsitzenden Generälen Unrecht sprach.

* Aus: Neues Deutschland, 6. September 2006


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